Fall Khashoggi:Saudi-Arabien düpiert die Welt

FILE PHOTO: A demonstrator holds a poster with a picture of Saudi journalist Jamal Khashoggi outside the Saudi Arabia consulate in Istanbul

Der Leichnam Khashoggis wurde bis heute nicht gefunden.

(Foto: REUTERS)

Ein Jahr nach dem Mord an Jamal Khashoggi legt der Westen den Fall kurzerhand als innersaudische Angelegenheit ab. Für die Menschen in der arabischen Welt ist das eine zynische Botschaft.

Kommentar von Dunja Ramadan

Vor einem Jahr ging der saudi-arabische Publizist Jamal Khashoggi in das Konsulat seines Landes in Istanbul - und verließ es lebend nicht wieder. Ein saudisches Mordkommando, von dem die Führung in Riad nichts gewusst haben will, tötete den Kolumnisten. Sein Leichnam wurde bis heute nicht gefunden. Es gibt noch viele, viele Fragen, aber die saudische Führung verweigert Antworten.

Jamal Khashoggi hatte Antworten. So viele, dass es ihn wohl das Leben kostete. In seinem letzten Artikel für die Washington Post schrieb er, Araber seien entweder uninformiert oder falsch informiert. Er hatte recht. Menschen in der arabischen Welt müssen die Welt durch Freund-Feind-Schablonen betrachten, die der Staat ihnen vors Gesicht hält. Wer in Riad oder Dubai den Fernseher oder das Radio anschaltet, der glaubt zu wissen: Hinter allem Übel stecken Iran, Katar und die Muslimbrüder. Und wer in Doha oder Teheran lebt, der kann nur die reichen Golfnachbarn und ihre Verbündeten als Urheber aller Probleme sehen.

Längst tobt in der Region ein Krieg um Wahrheiten. Seit der Katarkrise 2017 wird er brutaler geführt als je zuvor. Wer die Regierung in Riad oder Abu Dhabi offen kritisiert, gilt als Verräter oder ausländischer Agent. Und beiden wünscht man alles, auch den Tod. Staatsnahe Journalisten erinnern an Gladiatoren, ihr Studio ist das Kolosseum, dort führen sie Oppositionelle vor, umjubelt vom treuen Volk. Wer nicht mitjubelt, macht sich verdächtig, Das Vergehen: Vaterlandsverrat.

Wer Informationen in der arabischen Welt verstehen will, muss ein Geflecht aus politischen Interessen und Allianzen entwirren. Khashoggi wollte den Zuschauern und Lesern, den einfachen Arabern, helfen, er wollte einen öffentlichen Raum schaffen, den es in der arabischen Welt nicht gibt. Er wollte gemeinsam mit anderen Intellektuellen Menschen informieren, in ihrer Muttersprache. Doch damit forderte er ein ganzes System heraus, das auf Propaganda, Eindimensionalität und Willkür fußt. Denn es ist die Unmündigkeit der Bürger, die den Regimen ihre Existenzgrundlage gibt - und die Bürger zu einem Leben in Unwissenheit verdammt. Als Kenner des saudischen Königshauses und der arabischen Welt wusste Khashoggi, was Autokraten am meisten fürchten, und was das Volk am meisten braucht: Meinungsfreiheit und Offenheit.

Kaum ein Wort ist im Arabischen so negativ besetzt wie Neugier. Neugierig zu sein bedeutet, sich Probleme zu erschließen. Aber: Wer wissenshungrig ist, stößt schnell an Grenzen, die man besser sofort akzeptiert. Diktaturen und autokratische Staatsmodelle haben diese geistige Verarmung über Jahrzehnte herbeigeführt, denn Wissen ist Macht. Und der Westen trägt diese Systeme bis heute mit.

Nach der Ermordung Khashoggis fand im Westen kaum Beachtung, dass der Mann sterben musste, weil er seine Meinung sagte. Weil er Kritik übte. Am saudischen Jemenkrieg, an der Allmacht des Kronprinzen.

Dieser Mord rührt an die Grundsätze der Menschenrechte

Für den Westen wird der Fall Khashoggi gerade als innersaudische Angelegenheit abgeheftet, bei der auch mal Hauptverdächtige verschwinden können. Bis heute lautet die offizielle Version des Königshauses, ein Verhör sei aus dem Ruder gelaufen. Doch der Mord, so zeigen die Ermittlungen der UN-Sonderberichterstatterin Agnès Callamard, war von langer Hand geplant - und es gibt stichhaltige Beweise dafür, dass der Staat Saudi-Arabien dafür die Verantwortung trägt, insbesondere Kronprinz Mohammed bin Salman.

Trotzdem ist das saudische Königreich längst dabei, in die internationale Gemeinschaft zurückzukehren. Vor allem die USA unter Donald Trump garantieren, dass der Kronprinz die Affäre bisher unbeschadet überstanden hat. Auch die Untätigkeit der Europäer trägt dazu bei.

Der moralische Abgrund, der sich in dem bestialischen Mord zeigt, schreit nach umfassender Vergeltung und Isolation des Kronprinzen. Der weitreichende Einfluss des Königreichs in der Region, die Bedeutung Riads für die Balance des Verhältnisses zu Iran und die innere Unantastbarkeit des Herrscherapparats verlangen indes nach mehr Nüchternheit. Selten sind Maßstäbe der Gesinnung und Verantwortung so unbarmherzig miteinander kollidiert.

Genau wie vor dem Arabischen Frühling setzen westliche Staaten im Umgang mit Autokraten auf Stabilität statt auf Sanktionen. Zwar hat die Bundesregierung den Rüstungsexportstopp gegen Saudi-Arabien verlängert - doch das reicht nicht aus. Die arabische Zivilgesellschaft schreit nach Hilfe. Sie muss gestärkt werden. Es genügt nicht mehr, Inhaftierungen von Oppositionellen, Aktivisten und Journalisten am Rande ein bisschen zu kritisieren und dann zum Tagesgeschäft überzugehen. Vielmehr müssen Menschenrechtsverletzungen sanktioniert werden. Politische und wirtschaftliche Konsequenzen müssen spürbar sein.

Der Mord an Khashoggi rührt an die Grundsätze der Menschenrechte, darunter das Recht auf Leben und das Recht auf freie Meinungsäußerung. Die Leichtigkeit, mit der Saudi-Arabien über diese Grundsätze hinweggeht, düpiert nicht nur die Völkergemeinschaft, sondern wirkt sich unmittelbar auf die Menschen in der Region aus, die Kritik an Autoritäten üben und damit ihr Leben aufs Spiel setzen. Sie hören eine zynische Botschaft: Danke für euren Mut, danke, dass ihr euch für das einsetzt, wofür wir im Westen eigentlich stehen, aber wir können euch leider nicht schützen.

In seinem letzten Artikel kam Khashoggi auch auf die Haltung des Westens zu sprechen: Wenn autokratische Systeme Journalisten und Oppositionelle verfolgten, dann reagiere die internationale Gemeinschaft nicht mehr entschlossen. Vielleicht, so Khashoggi, werde das Vorgehen noch verurteilt. Und dann folge schnell Stille. Das klingt so, als hätte er sein eigenes Schicksal vorhergesagt.

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