Jamaika-Sondierungen:Wo sie hoffen, streiten, leiden

Beim Versuch zusammenzufinden, kommen Union, FDP und Grüne auf manche kreative Idee. Doch daneben stehen Vorschläge, die einfach nicht zusammenpassen. Ein Überblick.

Von Stefan Braun und Constanze von Bullion, Berlin

Irgendwann in der Nacht von Donnerstag auf Freitag wird es eine Entscheidung geben. Dann wollen die Spitzen von Union, Liberalen und Grünen entscheiden, ob es was wird oder sie sich nach vier Wochen Flirt wieder trennen.

Zum Start in diese letzte Woche der Sondierungen stehen die Verhandler bei vielen Themen mitten in den Auseinandersetzungen. An manchen Stellen zeichnen sich Kompromisse ab; an anderen lässt sich noch nicht erkennen, auf welche Linie sie sich verständigen könnten. Kein Wunder, dass Grünen-Chef Cem Özdemir am Montag erklärt, langsam laufe allen die Zeit davon. Krisen-Szenarien, wonach noch mehr als hundert Punkte heftig umstritten seien, werden weder dementiert noch bestätigt. Das zeigt: Es kann knapp werden. Ein Zwischenstand.

Kohle und Klima

Das Thema zählt zu den schwierigsten und heikelsten. Auch weil sich die Parteien da im Wahlkampf besonders hart gegenüberstanden. Die Kanzlerin hat wohl auch deshalb zuletzt einen Mittelweg angemahnt. Ja, die Klimaziele müssten eingehalten werden. Aber man dürfe bei all dem die Menschen, die beispielsweise im Kohleabbau arbeiteten, nicht vergessen. Klimapolitik müsse deshalb, mit einem Wort, sozial und wirtschaftlich akzeptabel ausfallen. Dazu passt nun, dass es in den Verhandlungen Überlegungen gibt, für einen von den Grünen geforderten Ausstieg aus der Braunkohle einen Kohleausstiegsvertrag mit der Wirtschaft anzustreben. Vorbild könnte der Atomausstieg sein. Mit einem solchen Plan verbunden wäre die Gründung von Auffanggesellschaften oder Fonds, mit denen die betroffenen Arbeitnehmer in den Braunkohlerevieren in der Lausitz und in Nordrhein-Westfalen sozial abgefedert werden könnten. Entschieden ist nichts, ein möglicher Weg aber könnte das sein.

Flucht und Migration

Der Familiennachzug für Flüchtlinge gehört zu den Schlüsselfragen der Sondierungen. Die Grünen wollen einem Jamaika-Bündnis nur zustimmen, wenn Kriegsflüchtlinge mit eingeschränktem Schutz, meist Syrer, ihre nächsten Angehörigen nach Deutschland nachholen können. Derzeit ist das nicht möglich. Der Familiennachzug für subsidiär Geschützte ist ausgesetzt, allerdings nur bis März 2018. Strittig ist nun, ob dieser Beschluss verlängert wird. CDU und CSU haben das gefordert; die Grünen hingegen wollen durch den Nachzug etwa von Ehefrauen oder Kindern für bessere Integration sorgen. Nach ihrer bisher harten Linie hat die CDU nun Zugeständnisse angedeutet. Präsidiumsmitglied Jens Spahn signalisierte zunächst, man könnte für jene, die legal ins Land gekommen seien, gut integriert seien, Deutsch lernten und Arbeit hätten, den Familiennachzug möglich machen. Später ruderte Spahn jedoch zurück: "Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte muss über März 2018 hinaus ausgesetzt bleiben. Nur um Missverständnissen aller Art vorzubeugen", schrieb er bei Twitter. Auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt lehnte am Montagmorgen einen Kompromiss öffentlich ab - bevor CDU und CSU den Unions-Dissens bei der Flucht hinter verschlossenen Türen klären wollten.

Denkbar wäre beim Familiennachzug auch ein Kompromiss, der eine Karenzzeit vorsieht. Demnach könnten subsidiär geschützte Flüchtlinge erst nach zwei Jahren Familienangehörige nachholen. Aus Sicht der CSU, die bei diesem Thema die Hauptwidersacherin der Grünen ist, hätte diese Variante den Vorteil, dass Familiennachzug so nur nach und nach möglich würde und nicht zu viele Angehörige auf einmal kämen. Für viele der subsidiär geschützten Flüchtlinge, die schon 2015/16 ins Land gekommen sind, wäre diese Wartezeit inzwischen schon verstrichen. Käme es zu einer solchen Regelung, könnten sie Ehepartner oder Kinder nachholen - das wäre ein Erfolg für die Grünen.

Strittig war am Montag noch, ob CDU und CSU sich mit der Forderung durchsetzen können, Maghreb-Staaten wie Algerien, Tunesien und Marokko zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären. Asylbewerber aus diesen Ländern könnten dann schneller abgeschoben werden. Für die FDP wäre eine solche Regelung bei den Herkunftsstaaten Bedingung für ein Ja zur Familienzusammenführung.

Der große Knackpunkt: Finanzen

Zumindest angenähert haben die Jamaika-Parteien sich dem Vernehmen nach bei den Rückführungszentren, in denen nach Wunsch von CDU und CSU Ankommende bleiben sollen, bis ihr Aufenthaltsstatus geklärt ist. Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin warnte zu Beginn der Sondierungen, es handle sich bei solchen Sammelstellen um nichts anderes als Abschiebegewahrsam. Parteichef Cem Özdemir machte hingegen früh klar, dass er mit Einrichtungen wie der in Heidelberg leben könne, wo Flüchtlinge mit guter Bleibeperspektive nicht einfach festgesetzt, sondern nach zügiger Einschätzung ihrer Anträge in dezentrale Wohnheime geschickt werden. Allerdings gibt es offenbar nach wie vor Streit um den Namen. Die Union will sie eigentlich "Abschiebezentren" nennen, die Grünen kämpfen für "Aufnahmezentren". Es geht bei all dem eben auch um Rhetorik.

Strittig bleibt bislang der sogenannte Spurwechsel. FDP und Grüne wollen qualifizierten Asylbewerbern mit guten Perspektiven im Rahmen eines Einwanderungsgesetzes den Einstieg in den Arbeitsmarkt ermöglichen. Die CSU lehnt dies bislang strikt ab. Sie befürchtet eine Sogwirkung auch für Asylbewerber mit geringen Bleibeperspektiven.

Inneres und Recht

Hier haben sich die Unterhändler auf einen interessanten Punkt verständigt. Sie wollen die Zusammenarbeit von Bund und Ländern bei allem, was mit dem Kampf gegen den Terror zu tun hat, deutlich ausbauen. Das bedeutet, dass Bundeskriminalamt und Bundesamt für Verfassungsschutz deutlich stärker als bisher eine Leitfunktion bekommen sollen. Außerdem wollen die Jamaika-Parteien die Arbeit des Gemeinsamen Terrorabwehrzentrums von Bund und Ländern verändern. Dieses soll nicht mehr nur dem Austausch von Informationen dienen. Künftig soll es dort auch zu klaren und verbindlichen Absprachen kommen. Anders als beispielsweise im Umgang mit dem späteren Berliner Attentäter Anis Amri soll es nicht mehr möglich sein, dass ein Dienst dem anderen die Verantwortung zuschiebt und sich am Ende keiner endgültig verantwortlich fühlt. Unstrittig ist überdies, dass Polizei und Justiz technisch und personell besser ausgestattet werden sollen. Bislang unauflöslicher Streitpunkt ist dagegen nach wie vor die Vorratsdatenspeicherung. FDP und Grüne lehnen jede Verschärfung ab, die Union hält dagegen.

Familie

Einig sind die vier Parteien sich beim Anliegen, gegen Kinderarmut vorzugehen, die Ganztagsbetreuung für Grundschüler auszubauen und Familien mit geringem und mittlerem Einkommen zu entlasten. Die FDP konnte sich nicht mit dem Wunsch durchsetzen, für Trennungskinder das Wechselmodell zum Regelfall zu erklären, also eine genau hälftige Betreuung der Kinder durch Mutter und Vater. CDU, CSU und Grüne lehnen dies ab. Über den Umgang mit Scheidungskindern sei nur im Einzelfall zu entscheiden. Erheblichen Ärger zwischen Union und FDP und Grünen gab es auch über das Familienbild, Patchwork-Familien und die Umsetzung der Ehe für alle. Eine Einigung stand am Montagmorgen auch noch bei der Frage aus, wie groß Unternehmen sein müssen, in denen Arbeitnehmern ein Recht auf Rückkehr in Vollzeit ermöglicht werden könnte; strittig bleibt das Ziel der Grünen, die Frauenquote in Führungsjobs auszubauen.

Bildung und Digitales

Hier haben sich die Unterhändler zügig darauf verständigt, künftig zehn Prozent des Bruttosozialprodukts in Schulbildung, Weiterbildung, Hochschulen und Forschung zu investieren und mehr Studenten Zugang zu Bafög zu ermöglichen. Harte Kontroversen gab es bis Montag aber über die Forderung von FDP und Grünen, das Kooperationsverbot abzuschaffen und dem Bund vor allem finanziell mehr Einfluss auf die Ausstattung der Schulen zu sichern. Insbesondere aus Bayern kommt hier Widerstand. Dissens gibt es schließlich in der Frage, wie der Ausbau schneller Internetverbindungen finanziert werden soll. Grüne und FDP wollen dafür Telekom-Anteile veräußern; die Union stemmt sich bisher dagegen.

Finanzen

Das ist und bleibt der größte Knackpunkt. Und das ist logisch. Viele Linien einer künftigen Regierungspolitik sind mit Geldfragen verbunden. Das gilt für die Klima- genauso wie für die Familien- oder die Flüchtlingspolitik. Vom Ruf der FDP nach einem Ende des Solidaritätszuschlags ganz zu schweigen. Hier zeichnet sich bislang wenig Konkretes ab. Außer, dass es für alle Ideen ein bisschen was geben könnte. Was das aber am Ende bedeutet, wird sich erst in der letzten langen Nacht entscheiden. Der Nacht von Donnerstag auf Freitag.

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