Süddeutsche Zeitung

Jamaika-Sondierungen:Bis zum Morgen - und immer weiter weg vom Ziel

Angela Merkel lächelt kurz, Wolfgang Kubicki muss anderthalb Stunden duschen und bei den Themen Klima und Migration platzen alte Konflikte wieder auf - Eindrücke aus der Sondierungsnacht.

Von Nico Fried und Mike Szymanski, Berlin

Ein FDP-Verhandler will Kanzlerin Angela Merkel kurz lächeln gesehen haben. Da ist es schon nach zwei Uhr in der Früh am Freitag im Haus der Parlamentarischen Gesellschaft in Berlin. Die Chef- und Unterhändler für ein Jamaika-Bündnis aus CDU, CSU, FDP und Grünen sitzen schon den Tag, den Abend und die Nacht über in wechselnden Runden zusammen. Ein Lächeln der Kanzlerin! Dann kann es doch nicht so schlecht laufen, glaubt der Liberale. Aber das ist ein Irrtum.

Kurz nach vier Uhr morgens können es die Verhandler plötzlich nicht eilig genug haben, in die nasskalte Novembernacht hinauszukommen. Bloß noch weg. All die Stunden - umsonst. Die Nacht hat nicht das erhoffte Jamaika-Bündnis gebracht, sondern nur neuen Streit. Die Parteichefs haben sich auf den Freitagvormittag, elf Uhr, zunächst in kleiner Runde vertagt. Auch am Wochenende soll weiterverhandelt werden.

Armin Laschet, CDU-Politiker und Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident, sagt nach dem Ende der Gespräche: "Es gab bei vielen Themen ein Verstehen der anderen Positionen. Aber es gibt halt keine Ergebnisse, und das ist das Traurige."

Unbedingt wollten die Verhandler die Einigung noch in dieser Nacht, um am nächsten Morgen ihren Gremien ein etwa 60 Seiten langes, vereinbartes Papier vorlegen zu können, das einem Jamaika-Bündnis Konturen gegeben hätte. Aber - so ist es aus den Reihen der Verhandler zu hören - zu keinem Zeitpunkt wäre man auch nur in die Nähe dieses Ziels gekommen. Das Gegenteil sei der Fall - die Zahl der Konflikte hätte im Laufe der Verhandlungen sogar wieder zugenommen.

Ein Grüner streut Machtkampf-Gerüchte über die CSU

Nach außen hin sieht es an diesem Verhandlungstag lange so aus, als wären es alleine CSU und Grüne, die überhaupt nicht zueinanderfinden würden. Vor allem in der Flüchtlingspolitik liegen beide Parteien auseinander. Die CSU lehnt den umstrittenen Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten ab. Als "unverrückbar" hat Landesgruppenchef Alexander Dobrindt diese Position bezeichnet; und genauso unbeweglich gibt sich die CSU dann auch in den Gesprächen. Oder doch nicht?

Vor der Tür, wo die Journalisten warten, verbreitet sich inzwischen die Botschaft, die Christsozialen lieferten sich gerade einen internen Machtkampf. Beim Thema Flüchtlinge gehe seither gar nichts mehr voran, heißt es aus grünen Verhandlungskreisen. Wenig später tritt CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer vor die Tür. Von einem Machtkampf innerhalb der CSU könne keine Rede sein, seine Partei sei "mega geschlossen" und stehe wie ein "monolithischer Block - und zwar die ganze Nacht". Auch Seehofer wird am Ende der Sondierungsnacht noch einmal ausdrücklich darauf eingehen und sagen: Es müssten sich "manche wie die Grünen fragen, warum sie solche Falschbehauptungen in die Welt setzen".

Das ist jedenfalls gegen Mitternacht das Klima, in dem Kompromisse gedeihen sollen. Die Parteichefs nehmen das Thema erst einmal vom Tisch und versuchen unter sich in anderen Streitfragen zu Lösungen zu kommen. Aber auch das gestaltet sich offenbar schwierig. Plötzlich brechen Konflikte auf, die längst als beigelegt galten. Die Grünen hatten beispielsweise als Kompromiss angeboten, auf das Datum 2030 für das Ende des Verbrennungsmotors zu verzichten. Jetzt ist es zurück - wenn auch nur indirekt, über Klimaschutzziele speziell für den Verkehr, auf die die Grünen bestehen würden. "Es muss ehrlich gespielt werden", beschwert sich FDP-Unterhändler Michael Theurer.

Zusammen wollen sie 100 Milliarden Euro ausgeben

Bald wird klar, dass die Probleme nicht nur zwischen CSU und Grünen bestehen. Alle Parteien wollen auch kostspielige Vorhaben in einem Jamaika-Bündnis durchgesetzt sehen. Zusammen belaufen sich ihre Ausgabenwünsche auf mehr als 100 Milliarden Euro. Zur Verfügung stehen etwa 45 Milliarden Euro. Kanzleramtschef Peter Altmaier hat angeblich bei den Partnern Gegenfinanzierungsvorschläge abgefragt. Die Liberalen haben die Abschaffung des Solidaritätszuschlags - zwar in Stufen, allerdings bis zum Ende der Legislaturperiode komplett - zu ihrem wichtigsten Vorhaben gemacht. Das würde bedeuten, dass für die Vorhaben der anderen Parteien aber kein Geld mehr übrig bliebe. Das geht Union und Grünen zu weit. Am Ende heißt es dann auch bei der FDP, das Gesamtpaket stimme noch nicht.

Altmaier wird gefragt, ob denn alle wirklich Jamaika wollten. Er sagt: "Der Umstand, dass wir bis in diese frühen Morgenstunden verhandeln, ist ja ein Zeichen dafür, dass wir hart ringen. Es ist besser, man klärt die Dinge vor dem Ende der Verhandlungen als danach. Denn dann erspart man sich viel Ärger und viel Streit."

Geklärt sind die Konflikte keineswegs. Und in dieser Nacht dürften sich die potenziellen Jamaika-Partner auch weder Ärger noch Streit erspart haben. Dabei hatte Merkel am Donnerstagmorgen noch in einer Art Eröffnungsansprache für die Schlussrunde gesagt, für Deutschland könne "etwas sehr Wichtiges" entstehen, wenn die Parteien trotz ihrer unterschiedlichen Positionen in der Lage seien, "gemeinsam für die Menschen im Lande zu handeln". Am besten scheint noch FDP-Vize Wolfgang Kubicki mit der Lage umgehen zu können. Während sich andere mürrisch ins Bett verabschieden, sagt er: "Ich gehe jetzt eineinhalb Stunden duschen und dann gehe ich ins Fernsehen und versuche, einen guten Eindruck zu hinterlassen und Optimismus zu verbreiten." Das Jamaika-Bündnis lässt derweil auf sich warten.

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