Jamaika-Sondierungen:90 ungelöste Fragen und ein Berg Konflikte

Fortsetzung der Sondierungsgespräche

Angela Merkel, Jens Spahn (re.), Alexander Dobrindt (2. v. li.), Andreas Scheuer und Stefan Müller (li.) auf dem Weg zu einer weiteren Verhandlungsrunde.

(Foto: dpa)
  • Bei der Kohlekraft etwa kreist der Streit um die Frage, wie viel Kohlendioxid die Bundesrepublik einsparen müsste, um ihr Klimaziel für 2020 zu erreichen.
  • Eine Analyse für das Bundesumweltministerium ging zuletzt von etwa 100 Millionen Tonnen aus.
  • Union und FDP halten diesen Wert für überhöht, sie sehen die sogenannte Klimalücke nur zwischen 32 und 66 Millionen Tonnen.

Von Michael Bauchmüller, Constanze von Bullion und Cerstin Gammelin, Berlin

Mehr als 90 ungelöste Fragen wurden bei den Jamaika-Sondierungen gezählt. Und statt kleiner schien der Berg der Konflikte noch größer zu werden. Manches Nein aber ist taktischer Natur: Die Unterhändler wollen Kompromisse nicht zu früh besiegeln, um so noch Verhandlungsmasse für die entscheidende Nacht am Donnerstag zu haben. An einigen zentralen Punkten immerhin war am Montag Bewegung zu erkennen.

Flucht und Migration

Der CDU-Politiker Jens Spahn überraschte die Sondierer am Montagmorgen mit einem Interview in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung. Spahn wurde gefragt, wo Union und FDP den Grünen beim Thema Flucht entgegenkommen könnten. Spahns Antwort: "Wer legal ins Land kommt, sich anpasst, Deutsch lernt, Arbeit hat und so beweist, dass er Teil dieser Gesellschaft sein will, soll auch dauerhaft bleiben dürfen und erleichtert die Möglichkeit zum Familiennachzug erhalten."

In Berlin wurde das so verstanden, dass die Union den Grünen beim Familiennachzug mit subsidiärem Schutz entgegenkommt und ihn für gut Integrierte ermöglichen will. Aus der CSU waren zuletzt Signale gekommen, wonach ein Kompromiss beim Familiennachzug möglich schien. Diskutiert wurde etwa, Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz Angehörige nachholen zu lassen, aber erst nach einer Karenzzeit von zwei Jahren und wenn sie sich erfolgreich auf eigene Beine stellen.

Spahns Vorschlag klang ähnlich, wurde aber gleich von der CSU konterkariert. Auf die Frage, ob es einen Kompromiss gebe, antwortete CSU-Landeschef Alexander Dobrindt im ARD-Morgenmagazin: "Nein, wir haben klare Vereinbarungen mit der CDU getroffen." Gemeint war das Regelwerk zur Migration, in dem CDU und CSU vereinbart haben: "Der Familiennachzug zu subsidiär Geschützen bleibt ausgesetzt." Wenig später twitterte Spahn: "Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte muss über März 2018 hinaus ausgesetzt bleiben. Nur um Missverständnissen aller Art vorzubeugen." Als Rückzieher ist das nicht unbedingt zu werten. Denkbar wäre, dass die Union darauf besteht, den Familiennachzug für subsidiär geschützte Flüchtlinge auch weiter auszusetzen, besonders gut integrierte Flüchtlinge aber von dieser Reglung auszunehmen.

Klimapolitik

Bei der Kohlekraft kreist der Streit um die Frage, wie viel Kohlendioxid die Bundesrepublik einsparen müsste, um ihr Klimaziel für 2020 zu erreichen. Eine Analyse für das Bundesumweltministerium ging zuletzt von etwa 100 Millionen Tonnen aus. Union und FDP halten diesen Wert für überhöht, sie sehen die sogenannte Klimalücke nur zwischen 32 und 66 Millionen Tonnen.

Die Grünen dagegen gehen von einer Lücke von 90 bis 120 Millionen aus. Sie fordern, etwa die Hälfte dieser Treibhausgase, 50 Millionen Tonnen Kohlendioxid, durch das Abschalten von Kohlekraftwerken einzusparen. Die andere Hälfte müsste anderweitig reduziert werden. Unmöglich, hieß es bei Union und FDP. Jetzt aber wird zumindest in der CDU über ein Kohleausstiegsgesetz nachgedacht, vergleichbar mit dem Atomausstiegsgesetz. Diskutiert wird auch, zehn Kohlekraftwerksblöcke abzuschalten. Aus Sicht der Grünen wäre das zwar ein Fortschritt beim Thema Kohle, aber zu wenig, um die Klimaziele zu erreichen. Um in Kohleregionen wie Nordrhein-Westfalen und der Lausitz Strukturprobleme und soziale Härten abzufedern, könnte ein Fonds oder eine Auffanggesellschaft geschaffen werden.

Finanzen

Die Parteichefs von CDU, CSU, FDP und Grünen saßen Sonntagabend zusammen, um herauszufinden, ob der bislang verfügbare finanzielle Spielraum von 30 Milliarden Euro an nicht verplanten Haushaltsmitteln deutlich vergrößert werden könnte. Wie aus Verhandlungskreisen verlautete, war die Runde zu keinem abschließenden Ergebnis gekommen. Man werde bis Donnerstag weiter suchen, hieß es. Zwar habe man im Bundeshaushalt noch Mittel identifiziert. Die Rede war hinterher von insgesamt 40 bis 45 Milliarden Euro bis 2021.

Aber den Durchbruch, mit dem die angekündigte Entlastung bei Steuern und Sozialabgaben bei gleichzeitiger Abschaffung des Soli-Zuschlages finanziert werden könnte, habe es nicht gegeben. Die FDP hat die ersatzlose Abschaffung des Soli-Zuschlags zu einer entscheidenden Forderung erhoben. Das würde den Bund knapp 80 Milliarden Euro kosten. Der Wirtschaftsflügel der Union verlangt Entlastungen bei der Einkommensteuer, ursprünglich im Volumen von 30 bis 40 Milliarden Euro. Selbst wenn man kalkuliert, dass sich die Länder beteiligen, ist klar: Weder die eine noch die andere Forderung ist finanzierbar, beide sowieso nicht.

Die Sondierer spielen Möglichkeiten durch, um die Einnahmen zu erhöhen, also den Verkauf der Staatsbeteiligungen, die Abschaffung von Steuersubventionen, einen höheren Spitzensteuersatz für Topverdiener. Abgelehnt hat die Union Forderungen der FDP, schon beschlossene Sozialleistungen auf den Prüfstand zu stellen. FDP-Fraktionsvize Michael Theurer wirbt dafür, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung um 0,5 Prozentpunkte zu senken und die zur Kranken- und Pflegeversicherung um je 0,1 Punkte. "Wenn das intelligent gemacht wird, können wir die Bürger um zwölf Milliarden Euro entlasten", sagte er.

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