Jamaika:Mit Nervosität, Mut und Fantasie

Länderrat Bündnis 90/Die Grünen

Gut gelaunt: Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt und Parteichef Cem Özdemir im Länderrat.

(Foto: Britta Pedersen/dpa)

Fast einmütig stimmt der Parteirat der Grünen für Sondierungsgespräche mit FDP und Union. Voraus ging ein Versprechen von Cem Özdemir.

Von Stefan Braun, Berlin

Winfried Kretschmann kennt seine Rolle bei den Grünen. Er ist, gerade in schwierigen Zeiten, so etwas wie der König unter den Realisten. Und also ruft Baden-Württembergs Ministerpräsident am Samstag beim Länderrat der Grünen in den Saal: "Demokratie ist nur vor der Wahl ein Wunschkonzert. Wir müssen das jetzt annehmen, was die Wähler da so zusammengewählt haben." Seiner Meinung nach werde es sehr schwer, ein Bündnis aus Union, FDP und Grünen zustandezubringen. Kretschmann plädiert dafür, hart zu verhandeln. Gleichzeitig müsse aber klar sein, dass die Preise für eine Koalition stimmen müssten - und zwar für alle. Das hören viele zwar nicht so gerne, aber widersprechen wollen sie ihm fürs Erste auch nicht, und deshalb stimmt die große Mehrheit des kleinen Parteitags dafür, Sondierungsgespräche aufzunehmen. Eine Vorentscheidung für eine Koalition ist das noch lange nicht. Die große Schlacht wird erst vor der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen geschlagen.

Parteichef Cem Özdemir verspricht: Es werde keine Nebenabsprachen geben

Wie heikel die Lage bei den Grünen in diesen Tagen ist, zeigt Parteichef Cem Özdemir gleich zu Beginn des Treffens. Und das mit einem Versprechen: Nein, es werde neben den offiziellen Sondierungen "keine Gespräche" und auch sonst keine Nebenabsprachen geben. Ja, die beiden Spitzenkandidaten würden die Gespräche führen - aber alle im Sondierungsteam würden am Ende mitentscheiden. Niemand müsse misstrauisch sein, keiner müsse Sorgen haben, dass irgendjemand geheime Zusagen machen werde. Der Parteirat hat also noch gar nicht richtig begonnen - da kommt auch schon ein sehr großes Versprechen. Selbst wenn die Grünen ziemlich froh sind über ihre 8,9 Prozent bei den Wahlen, so ahnen doch alle, wie schwer die nächsten Wochen für sie werden.

Hintergrund war ein Zeitungsbericht, in dem vor wenigen Tagen vermeintliche Absprachen mit der FDP aufgedeckt wurden. Die Grünen-Spitze dementierte sofort, ebenso die FDP-Führung. Trotzdem ist klar, dass solche Gerüchte vor allem bei den Grünen viele nervös machen. Kein Wunder, dass Özdemir diese Gefahr so früh wie möglich bannen möchte.

Wie fragil vieles gerade ist, wird auch beim Auftritt von Robert Habeck deutlich. Der Schleswig-Holsteiner, der hartnäckig als neuer Parteichef gehandelt wird, beginnt seine Rede mit einer Überraschung. Er lobt das Ergebnis nicht, obwohl wahrscheinlich auch er am Wahlabend froh war. Er erinnert daran, dass 2013 das Ergebnis kaum schlechter war als diesmal. Trotzdem habe man die damalige Führung sofort abgestraft. "Politik ist ein scheißhartes Geschäft", sagt Habeck. "Und mir tut leid, dass wir mit euch damals so hart umgegangen sind."

Habeck macht das sicher aus Mitgefühl. Er weiß aber auch, dass die ganze Partei die damals Bestraften noch brauchen wird. Deshalb wendet er sich direkt an Jürgen Trittin und Claudia Roth - beide sind jetzt ins Vierzehner-Team für die Sondierungsgespräche berufen worden. Und beide, daran lässt Habeck keinen Zweifel, werde man beim Ja oder Nein zur einer Koalition sehr brauchen. Habecks Botschaft: "Wir sind froh, dass Jürgen und Claudia, Kretsch und Reinhart (Bütikofer) mit dabei sind."

Was danach folgt ist eine ziemlich offene Debatte, in der nur sehr wenige bereits die Aufnahme von Sondierungen ablehnen. Der Kölner Marc Kersten warnt davor, mit Angst in die nächsten Wochen zu gehen. Er will vor allem eines erreichen: dass nicht vor lauter Angst nichts gemacht wird.

Ähnlich klingt auch die linke Bundestagsabgeordnete Agnieszka Brugger. Sie er-zählt, dass sie vor allem im Wahlkampf oft erklärt habe, ihr fehle die Fantasie für ein Jamaika-Bündnis. Trotzdem habe sich für sie mit dem Wahltag etwas geändert. Jetzt reiche es nicht mehr, von der fehlenden Fantasie zu reden. "Jetzt geht es darum, die Fantasie ganz besonders anzustrengen." Andere, wie Thomas Dyhr, ein linker Grüner aus Brandenburg, halten dagegen. Mit einer CDU, bei der mancher die Atomkraft wieder einführen wolle, mit einer CSU, die nach rechts rücke, mit einer FDP, die gegen Europa argumentiere - da fehle ihm wirklich die Vorstellungskraft. "Ich kann dafür nicht meine Hand heben", sagt er am Ende. Er bekommt von keinem einzigen Delegierten Beifall.

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