Jalloh-Prozess:"Keinen Bock"

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2008 wurden die beteiligten Polizisten zunächst freigesprochen. Doch der Fall löste eine Kaskade weiterer Verfahren aus.

Von Hans Holzhaider

Am 8. Dezember 2008 verkündete Richter Steinhoff das Urteil: Freispruch für beide Angeklagte. Sein Versuch, das Urteil zu begründen, ging zunächst im lautstarken Protest aus dem Publikum unter. Zuhörer beschimpften das Gericht als Schweine, Lügner und Mörder, Justizbeamte mussten die Richter und Schöffen abschirmen. Als schließlich leidlich Ruhe eingekehrt war, sagte Steinhoff, viele der Polizeizeugen hätten "bedenkenlos und grottendämlich" falsch und unvollständig ausgesagt. Er schloss seine Urteilsbegründung mit dem denkwürdigen Satz: "Ich habe keinen Bock, zu diesem Scheiß noch irgendwas zu sagen." Im Januar 2010 hob der BGH dieses Urteil auf. Bei der erneuten Verhandlung vor dem Landgericht Magdeburg wurde S. wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassung zu einer Geldstrafe verurteilt. Begründung: Jalloh hätte angesichts seiner hilflosen Lage ständig auch optisch überwacht werden müssen. Dieses Urteil wurde rechtskräftig.

Im November 2013 präsentierte die "Initiative zum Gedenken an Oury Jalloh" ein von ihr in Auftrag gegebenes Gutachten eines britischen Brandsachverständigen. Er kam zu dem Schluss, dass der Zustand von Jallohs Leiche nur durch den Einsatz von drei bis fünf Litern Brandbeschleuniger zu erklären sei. Darauf hin leitete die Staatsanwaltschaft Dessau ein neues Ermittlungsverfahren ein. Im Juni 2017 übertrug die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg das Verfahren an die Staatsanwaltschaft Halle, die es im Oktober 2017 mit der Begründung einstellte, es gebe kein eindeutiges Ergebnis in Bezug auf eine Brandlegung durch Dritte. Eine Beschwerde dagegen wies die Generalstaatsanwaltschaft ab; diese Entscheidung wurde 2019 durch das Oberlandesgericht Naumburg bestätigt. Gegen die Verfahrenseinstellung legte die "Initiative in Gedenken an Oury Jalloh" Verfassungsbeschwerde ein, über die noch nicht entschieden ist.

Nicht nur die Justiz beschäftigte sich mit dem Tod des afrikanischen Asylbewerbers. 2018 beauftragte der Landtag von Sachsen-Anhalt den ehemaligen rechtspolitischen Sprecher der Grünen im Bundestag, Jerzy Montag, und den früheren Münchner Generalstaatsanwalt Manfred Nötzel mit einer Analyse der Ermittlungen und der Gerichtsverfahren im Fall Jalloh. Im August 2020 legten Montag und Nötzel ihren 300-seitigen Bericht vor. Sie konstatieren zwar "zum Teil gewichtige Unstimmigkeiten und Widersprüche" in den Ermittlungsverfahren, ziehen aber ebenso wie die beiden Gerichte nicht in Zweifel, dass Jalloh die Matratze selbst angezündet habe. Anderslautende Gutachten, die die Verwendung von Brandbeschleunigern nahelegen, seien "kein verwertbaren Beweise". Offene Ermittlungsansätze zur Verfolgung eines Mordes oder Mordversuchs sehen die Berichterstatter nicht.

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