Süddeutsche Zeitung

G-20-Gipfel:Außenseiter im Land der Ahnen

Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro wird in Rom von allen geächtet - nur im Geburtsort seines Urgroßvaters im Veneto haben manche Freude an ihm.

Von Oliver Meiler, Rom

Beinahe wäre untergegangen, dass auch Jair Bolsonaro am G-20-Gipfel in Rom teilgenommen hat. Gäbe es da nicht eine kurze Videosequenz, aufgenommen mit einem Handy. Man sieht darauf den Pulk rund um den brasilianischen Präsidenten bei der Piazza Navona, wo Brasiliens Botschaft steht. Ein milder Sonntagabend, viel Volk auf der Straße. Bolsonaro spaziert, er flaniert. Plötzlich kommt es zum Handgemenge zwischen seinen Leibwächtern und brasilianischen Journalisten. Ein Reporter berichtet später, er habe den Präsidenten nur gefragt, warum er am zweiten Gipfeltag gar nicht mehr an den Sitzungen teilgenommen habe. Dann sei er von Bodyguards gestoßen und in den Magen geschlagen worden, das Handy habe man ihm entrissen und auf den Boden geworfen. Anderen soll es ähnlich gegangen sein. Es war der unrühmliche Abschluss eines denkwürdig unrühmlichen Aufenthalts.

Von allen hohen Gästen des Gipfels war Bolsonaro der einzige, der keine bilateralen Gespräche mit Kollegen führte. In den großen Themen dieser Zeit, der Pandemie und dem Klimaschutz, vertritt der rechte und oftmals ausfällige Präsident verstörende Positionen. Daheim fand eine parlamentarische Untersuchungskommission, dass Bolsonaro für sein ständiges Kleinreden von Corona ein Prozess wegen Vergehens gegen die Menschlichkeit gemacht werden sollte. Mehr als 700 000 Brasilianer sind an Covid-19 gestorben. Er aber sagt, die Medien übertrieben. Auch das Drama um die Brandrodungen im Amazonas spielt er herunter.

Da drängelte sich natürlich niemand vor, um öffentlich mit ihm zu reden. Auf dem Gruppenfoto der G20 steht er ganz am Rand, wie ein Partycrasher. Und als sich die Mächtigen zum Wurf der Münze an der Fontana di Trevi zusammenfanden, war er nicht dabei. Eine Schlusspressekonferenz? Gab er nicht.

Als dann alle weiterreisten nach Glasgow zum COP26, machte sich Bolsonaro auf nach Anguillara Veneta, einem kleinen Ort in der norditalienischen Provinz Padua. Von dort stammt Urgroßvater Vittorio, der nach Brasilien auswanderte. Der Gemeinderat, angeführt von Bürgermeisterin Alessandra Buoso von der rechtspopulistischen Lega, hat neulich beschlossen, Bolsonaro die Ehrenbürgerschaft von Anguillara zu verleihen - allen Protesten zum Trotz. Auch Matteo Salvini, der Chef der Lega, hält Bolsonaro für einen durchwegs ehrenwerten Nachfahren von Auswanderern. Salvini will ihn begleiten, wenn er im toskanischen Pistoia den Friedhof besucht, auf dem brasilianische Gefallene des Zweiten Weltkriegs liegen. Auch gegen alle Proteste.

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