Ist es sicher, dass MH17 abgeschossen wurde?
Die offiziellen Untersuchungen haben keine Hinweise darauf ergeben, dass Flug MH17 wegen eines technischen Defekts abgestürzt sein könnte. Es erscheint vielmehr als gesichert, dass die Maschine von einer Luftabwehrrakete abgeschossen wurde - vermutlich einer vom Boden aus abgefeuerten russischen Boden-Luft-Rakete. Darauf deuten die Auswertung der Blackbox, die Art der Schäden an den Wrackteilen sowie deren Verteilung über mehrere Quadratkilometer am Boden hin (mehr hier dazu).
Die zunächst von Russland vertretene These, ein ukrainischer Kampfjet könne die Boeing vom Typ 777 abgeschossen haben, scheint vom Tisch - selbst russische Experten schließen sie inzwischen nahezu zweifelsfrei aus (so auch der Chefentwickler eines russischen Kampfjets).
Eine zentrale Frage ist, von wo aus die mutmaßliche Boden-Luft-Rakete abgefeuert wurde. Sie ist noch nicht zweifelsfrei geklärt. CNN meldete allerdings am Donnerstag unter Berufung auf einen offiziellen Untersuchungsbericht, der noch unter Verschluss gehalten wird, dass das Flugzeug von einer russischen Buk-Rakete getroffen worden sei - und die sei aus einer Region abgeschossen worden, die unter Kontrolle der prorussischen Separatisten stand.
Wer ist verantwortlich für den mutmaßlichen Abschuss?
Die Regierung der Ukraine und westliche Staaten gehen davon aus, dass Flug MH17 unabsichtlich von ostukrainischen, prorussischen Separatisten abgeschossen wurde, mittels einer russischen Buk-Flugabwehrrakete. Russland hingegen zeigt sich überzeugt, dass die Verantwortlichen für den mutmaßlichen Abschuss in Kiew zu suchen sind. Die Rakete sei von einem Gebiet aus abgefeuert worden, dass die ukrainischen Streitkräfte kontrolliert hätten, heißt es aus dem Kreml. Den Recherchen von SZ, WDR und NDR zufolge gibt es für den Abschuss einer Boden-Luft-Rakete durch die ukrainische Armee allerdings bislang keine belastbaren Hinweise . (Mehr zum Stand der Täter-Theorien hier)
Wer untersucht den Absturz?
Als Land, in dem das Unglück passierte, wäre eigentlich die Ukraine für die Untersuchung des Flugzeugabsturzes verantwortlich gewesen. Eine unabhängige Prüfung durch Kiew wäre jedoch aufgrund des Krieges in der Ostukraine kaum möglich gewesen. Deshalb wurde die Leitung der Ermittlungen im Juli 2014 an die Niederlande übergeben. Von dort stammten die meisten Opfer des Absturzes.
Zwei Teams kümmern sich um die Aufarbeitung des mutmaßlichen Abschusses. Das Dutch Safety Board untersucht die Gründe für den Absturz der Maschine. Außerdem zieht es daraus Schlüsse für die Flugsicherheit, vor allem was das Überfliegen umkämpfter Gebiete angeht. Das Team besteht aus Flugunfallexperten aus den Niederlanden, Malaysia, der Ukraine, den USA, Großbritannien, Australien und Russland.
In der Schuldfrage ermittelt hingegen ein Joint Investigation Team unter der Leitung des niederländischen Staatsanwalts Franz Westerbeke. Außerdem sind Malaysia, Australien, Belgien und die Ukraine sowie die EU-Justizbehörde Eurojust an der Suche nach den Verantwortlichen für die Katastrophe beteiligt.
Wie ist der Stand der offiziellen Ermittlungen?
Im September 2014 veröffentlichte das Dutch Safety Board einen Zwischenbericht. Er erhärtete den Verdacht, dass die Maschine abgeschossen wurde und dass dies mittels einer Boden-Luft-Rakete geschehen sei (mehr dazu hier).
Inzwischen gibt es offenbar auch eine erste Version des Abschlussberichts - er wird aber noch unter Verschluss gehalten. Am 1. Juli 2015 teilten die Ermittler in einem auch auf ihrer Homepage veröffentlichten Schreiben an die International Civil Aviation Organization (ICAO) mit, dass ein Entwurf des Endberichts am 2. Juni an die an der Untersuchung beteiligten Staaten versendet worden sei. Diese hätten nun 60 Tage Zeit, um den Bericht zu kommentieren. Der endgültige Bericht werde voraussichtlich im Oktober veröffentlicht. Wie erwähnt, dringen aber über CNN erste Erkenntnisse daraus bereits jetzt an die Öffentlichkeit.
Auch bei den strafrechtlichen Ermittlungen soll es Fortschritte geben. "Wir kommen überzeugenden Beweisen immer näher", teilte Staatsanwalt Westerbeke Ende Juni in Rotterdam mit. Verdächtige seien zwar formell noch nicht identifiziert worden. Aber eine Gruppe möglicher Beteiligter ist nach den Worten des Staatsanwaltes im Visier der internationalen Ermittler. Dabei gehe es sowohl um mögliche "Auftraggeber als auch Ausführer". "Wir versuchen, bei der Kommandokette so weit wie möglich vorzudringen", sagte Westerbeke.
Das Joint Investigation Team hält es ihm zufolge für am wahrscheinlichsten, dass Flug MH17 von einer Buk-Rakete, also einer russischen Boden-Luft-Rakete, abgeschossen wurde. Alternative Szenarien würden aber noch geprüft, sagte der Staatsanwalt. Erst Ende des Jahres sollen die Ermittlungsergebnisse vorgelegt werden.
Ob die Untersuchungen am Ende in der Öffentlichkeit ein klares Bild ergeben, muss sich allerdings erst zeigen. Problematisch ist vor allem, dass die Regierungen der an der Untersuchung beteiligten Staaten dank einer Geheimhaltungsklausel die Veröffentlichung von Details verhindern können.
Welche Folgen werden die Untersuchungen haben?
Damit die Schuldigen nicht ungestraft davonkommen, sprechen sich Malaysia und die Niederlande für die Einrichtung eines UN-Tribunals aus, das die strafrechtliche Verantwortung klären soll. Ein solches Gericht biete die größte Chance, mögliche Täter strafrechtlich zu verfolgen, sagte Ministerpräsident Mark Rutte vor Kurzem in Den Haag. "Von Anfang an war Gerechtigkeit für die Opfer unsere Priorität", sagte Rutte. "Jetzt bitten wir die UN um Unterstützung bei der Einrichtung eines internationalen Tribunals."
Einen entsprechenden Resolutionsentwurf hat Malaysia der Nachrichtenagentur AFP zufolge bereits vorgelegt. Auch die Ukraine, Australien und Belgien unterstützen den Vorstoß. Russland, das ein Vetorecht im UN-Sicherheitsrat hat, erteilte einem UN-Tribunal allerdings bereits eine Absage. Die Einrichtung einer solchen Stelle sei voreilig und kontraproduktiv, sagte Präsident Wladimir Putin dem Moskauer Präsidialamt zufolge.
Hätte das Unglück verhindert werden können?
Drei Tage vor dem Abschuss von Flug MH17 wurde über der Ostukraine eine ukrainische Transportmaschine abgeschossen. Sie flog auf einer Höhe von mehr als 6000 Metern. Die Regierung in Kiew ließ daraufhin den Luftraum sperren, allerdings nur bis zu einer Höhe von 9750 Metern, also knapp unterhalb der Höhe, auf der üblicherweise internationale Passagiermaschinen fliegen. Experten halten das für nicht ausreichend (hier Nähere zu den Gründen). Im Namen mehrerer Hinterbliebener wurde deshalb die Ukraine beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verklagt.
Nach Informationen von SZ, WDR und NRD war sich aber auch die Bundesregierung nach dem Abschuss der Transportmaschine der Gefahr für zivile Flugzeuge bewusst. Trotzdem unterließ sie es, die Lufthansa oder andere Fluglinien vor einem Überflug der Ostukraine zu warnen.
Wie steht es um Opfer und Hinterbliebene?
Von den 298 Menschen an Bord der Boeing 777 waren 196 Niederländer. Weitere Passagiere stammten unter anderem aus Malaysia, Australien, Indonesien, Großbritannien, Belgien, den Philippinen, Kanada und Neuseeland. Auch vier deutsche Frauen starben bei dem Absturz.
Die Identifizierung der Opfer gestaltete sich äußerst schwierig. Sterbliche Überreste der Passagiere fanden sich - wie auch die Trümmer des Flugzeugs - verstreut auf einem Gebiet von mehreren Quadratkilometern. Sie wurden nach und nach geborgen und in Särgen in die Niederlande gebracht. Ende Juni 2015 waren niederländischen Medienberichten zufolge fast alle Opfer identifiziert - über Leichenteile, zum Teil auch nur über kleinste Knochenfragmente. Von zwei Passagieren fanden sich gar keine sterblichen Überreste mehr.
Malaysia Airlines begann schon wenige Wochen nach dem mutmaßlichen Abschuss damit, Hinterbliebenen Entschädigungen anzubieten. Nach dem Montrealer Übereinkommen, das auch die Haftung im Falle von Flugzeugkatastrophen regelt, werden solche Zahlungen unabhängig vom Nachweis einer Schuld geleistet. Sollten die Untersuchungen einen oder mehrere Schuldige zutage fördern, könnten die Angehörigen entsprechend Klage einreichen. Ob das Aussicht auf Erfolg hätte, hängt allerdings stark davon ab, wer letztlich als Verantwortlicher ausgemacht wird.
Und so soll auch das Ziel einer gerade in Chicago eingereichten Klage gegen einen Separatistenführer letztlich nicht der Erhalt von Geld, sondern von Antworten sein. Dem britischen Telegraph zufolge verklagen Hinterbliebene in den USA Separatistenführer Igor Girkin alias Strelkow auf 900 Millionen US-Dollar (etwa 826 Millionen Euro). Sie werfen dem Russen, der zeitweilig als Verteidigungsminister der nicht anerkannten "Volksrepublik" Donezk aufgetreten war, vor, den Abschuss der Boeing 777 durch seine Rebellenarmee angeordnet, unterstützt oder begünstigt zu haben. Girkin hatte sich damit gerühmt, den Ukraine-Krieg mit Unterstützung Mokaus geschürt zu haben.