Süddeutsche Zeitung

Jahrestag der Aufstände in Syrien:"Es geht um Menschenwürde, nicht um Politik"

Heute vor einem Jahr begann der blutige Protest in Syrien mit wenigen Demonstranten - heute setzen ihn Tausende fort. Der Exil-Syrer Mohammed Kahlawi protestiert in Deutschland gegen das Regime. Ein Gespräch mit dem Musiker und Aktivisten über deutsche Freunde, das Gefühl der Bedrohung und seinen Traum für die Zeit nach Assad.

Nakissa Salavati

Die Bilder aus Syrien gehen ihm nicht mehr aus dem Kopf. Der syrische Musiker und Aktivist Mohammed Kahlawi demonstriert seit Beginn der Proteste in Syrien vor genau einem Jahr für Solidarität mit dem syrischen Volk. Auf seinem Youtube-Kanal veröffentlicht er Videos, um auf die Lage in seiner Heimat aufmerksam zu machen. Obwohl Kahlawi Angst um seine Familie in der Heimat hat, zeigt er sich in Deutschland öffentlich. "Ich darf nicht schweigen", sagt der 40-Jährige. Auch am 15. März, dem Jahrestag des Beginns der blutigen Ausschreitungen, geht er in München für Menschenwürde auf die Straße.

Süddeutsche.de: Vor einem Jahr begannen die blutigen Proteste in Syrien. Wie haben Sie dieses Jahr in Deutschland verbracht?

Mohammed Kahlawi: In diesem Jahr habe ich, wie alle anderen Syrer auf dieser Welt, viel gelitten: Wir waren hilflos, wir haben zugeschaut, uns waren die Hände gebunden. Wir haben versucht, in Deutschland auf Syrien aufmerksam zu machen. Das war am Anfang sehr schwierig, das Interesse gering. Mittlerweile hat sich das geändert, auch, weil die Massaker kein Ende nehmen. Jeder Tag beginnt mit einem neuen Massaker.

Süddeutsche.de: Sie haben für den 15. März zu einem Solidaritätsmarsch in München aufgerufen.

Kahlawi: Für uns ist der 15. März 2011 ein historischer Tag. Wie die Mondlandung. Wirklich, ohne zu übertreiben. Die Mauer der Angst war sehr hoch: Syrien ist ein Polizeistaat mit 17 Geheimdiensten. Viele haben gesagt, die Menschen würden sich nicht trauen. Am 15. März aber sind 40, vielleicht 50 Menschen in Syrien einem Aufruf zur Demonstration gefolgt. Für uns sind das Helden. Nach so vielen Opfern möchten wir würdigen, dass sich die Menschen nicht einschüchtern lassen. Und dass sie versuchen, friedlich zu bleiben. Das ist was ich möchte: eine friedliche Revolution. Wenn es aber so weitergeht, gibt es eine Explosion.

Süddeutsche.de: Auch Sie gehen auf die Straße, allerdings in Deutschland. Während des vergangenen Jahres haben Sie in vielen Städten demonstriert. Wie groß ist die Solidarität?

Kahlawi: Wir Syrer gehen oft auf die Straße. Deutsche Unterstützer gibt es weniger. Wir haben aber drei, vier gute deutsche Freunde, die sich sehr engagieren. Für die meisten Deutschen ist Syrien aber weit weg. Die Tunesier und Ägypter in München sind zu beschäftigt mit ihrer eigenen Heimat. Enttäuscht bin ich von den Parteien: Die Bürgermeister unterstützen uns, alle anderen haben keine Zeit. Wir hoffen aber, dass am Donnerstag mehr als 200 Menschen kommen. Es geht uns um Menschenwürde, nicht um Politik.

Süddeutsche.de: Fühlen Sie sich in Deutschland vom syrischen Regime bedroht?

Kahlawi: Ja. Ich möchte nicht über persönliche Details sprechen. Wir werden beobachtet. Wir kennen das Risiko, aber die Menschen in Syrien opfern sich und ihre Kinder. Da darf ich nicht schweigen.

Süddeutsche.de: Haben Sie Kontakt zu Freunden und Verwandten in Syrien?

Kahlawi: Wenig, und wenn dann nur über Skype und viele Ecken. Ich versuche, sie nicht noch mehr in Gefahr zu bringen. Ich glaube, es geht allen nicht sehr gut, die Lage ist angespannt.

Süddeutsche.de: Warum sind Sie nach Deutschland gekommen?

Kahlawi: Ich liebe die Freiheit und konnte die Verehrung der Person Assad nicht länger ertragen. Vor 15 Jahren habe ich mich vom Militär freigekauft. Mit Geld geht in Syrien alles. Nun ist Deutschland meine zweite Heimat.

Süddeutsche.de: Wie informieren Sie sich über die Ereignisse in Ihrer früheren Heimat?

Kahlawi: Ich informiere mich überall: Ich sehe mir den syrischen Propagandasender genauso an wie deutsche Medien, Facebookseiten, Oppositionsvideos. Ich kenne Syrien und kann meist einschätzen, wann die Informationen glaubwürdig sind und wann nicht.

Süddeutsche.de: Kann das Morden in Syrien nur durch internationalen Eingriff gestoppt werden?

Kahlawi: Das Regime fällt auseinander, wenn die Soldaten desertieren. Dafür brauchen wir eine Schutzzone. Es kommt mir so vor, als seien die Rollen international verteilt: Wir lehnen uns zurück und sagen, Russland hat das Vetorecht, wir können nichts machen. In anderen Fällen hat man doch etwas gemacht, zum Beispiel im Kosovo.

Süddeutsche.de: Gegner einer Schutzzone argumentieren, dass sie nur unter Einsatz von Militär möglich wäre, schließlich liegen die Rebellenhochburgen nicht in der Peripherie.

Kahlawi: Sie sind dichtbesiedelt, aber im Grenzgebiet! Die größte Rebellenstadt Homs liegt an der Grenze zu Libanon, Idlib nahe der Türkei und Daraa grenzt an Jordanien. Dort könnte man Schutzzonen einrichten oder Fluchtwege sichern. Eine militärische Intervention im Land lehne ich aber ab.

Süddeutsche.de: Wie ist die Grundstimmung unter den Syrern, die Sie kennen?

Kahlawi: Von den Anhängern des Regimes habe ich mich distanziert. Unter den Oppositionellen gibt es zwei Richtungen: Die Minderheit ist knallhart gegen jede Art einer Intervention von außen. Aber beim syrischen Regime sieht man derzeit: Die können eine verbrannte Erde hinterlassen, bevor sie aufgeben. Die meisten sind also zum Entschluss gekommen, dass es ohne Hilfe nicht geht. Außerdem versucht Assad, einen Bürgerkrieg zu provozieren, die Konfessionen werden gegeneinander aufgehetzt. Aber wir verstehen uns seit Jahrhunderten gut.

Süddeutsche.de: Vertrauen Sie dem Syrischen Nationalrat, der sich öffentlich als Stimme der Opposition etabliert?

Kahlawi: Er arbeitet langsam, weil er ein großes Spektrum Oppositioneller vereint. Aber wir vertrauen ihm erst einmal, denn für die Übergangsphase brauchen wir einen Sprecher. Danach schauen wir ihm aber auf die Finger: Wer gute Arbeit leistet, wird gewählt, wer es nicht tut, wird abgewählt. Das ist unser Traum.

Süddeutsche.de: Wenn Assad gehen sollte, welche Optionen sehen Sie für Syrien?

Kahlawi: Man sollte uns dann die Chance geben, uns zu wandeln, denn das wird nicht von heute auf morgen gehen. Es existiert keine parteilich organisierte Opposition, sie ist entweder verhaftet oder im Ausland. Aber in den fünfziger Jahren gab es bereits parlamentarisches Leben in Syrien. Es ist uns also nicht fremd. Mit dem Militärputsch und der Machtergreifung der Assad-Familie ist Syrien den Bach heruntergegangen. Wir wünschen uns alle einen Rechtsstaat.

Süddeutsche.de: Was werden Sie bis zum möglichen Sturz Assads tun?

Kahlawi: Ich hoffe, dass das Regime versteht, dass es kein Zurück mehr gibt: Wer einmal die Luft der Freiheit geschnuppert hat, wird sein Leben dafür geben. Ich hoffe, dass das Regime merkt, dass Massaker nur dazu führen, dass die Angst weiter schwindet. Und ich hoffe, dass die restlichen Schweigenden endlich den Mut haben, etwas zu machen. Dann würde diese Zeit des Mordens schneller vorbeigehen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1309037
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
süddeutsche.de/mikö/lala
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.