30 Jahre Solidarność:Zerstrittene Helden

Zum Jubiläum der polnischen Gewerkschaft Solidarność schickt das Ausland Lob und Glückwünsche. Doch in Polen dominieren politische Grabenkämpfe und Buhrufe die Feier. Lech Walesa, der traurige Held, tritt gar nicht auf.

Pfiffe für Regierungschef Donald Tusk, Applaus für Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski, demonstrative Abwesenheit von Lech Walesa: Die polnische Gewerkschaft Solidarność ist 30 Jahre nach ihrer Entstehung politisch tief gespalten, wie sich auf ihrem Jubiläumskongress am Montag in Gdynia (Gdingen) gezeigt hat.

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Dreißig Jahre nach ihrer Gründung ist die polnische Gewerkschaft Solidarność tiefer gespalten als je zuvor.

(Foto: AFP)

"Echte Solidarität schließt den Hass aus", mahnte der Regierungschef. Als er und Staatspräsident Bronislaw Komorowski den Saal verließen, gab es wie schon bei seiner Rede laute Priffe von den Delegierten.

Demonstrativ beklatschten dagegen die Teilnehmer Jaroslaw Kaczynski, den Chef der national-konservativen Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Er hob die Rolle seines am 10. April bei einem Flugzeugabsturz gestorbenen Zwillingsbruders Lech bei der Gründung der Solidarność 1980 hervor. Er soll damals wie die Werftarbeiter für mehr Rechte gekämpft haben, während andere, die heute Tusk nahestehen, zu schnell den Kompromiss mit der Regierung hätten schließen wollen. Jaroslaw Kaczynski warf den Regierenden vor, sie bedienten sich - wie in der Zeit der Diktatur - der Manipulation und Lüge.

Bei der Zeremonie in der Nähe der Hafenstadt Gdansk (Danzig) verlas der US-Botschafter in Polen, Lee Feinstein, eine Grußbotschaft von US-Präsident Barack Obama. Dieser würdigte Solidarność als Vorbild für alle freiheitsliebenden Menschen in der Welt: "Die Solidarność-Bewegung ist eine Quelle der Inspiration im Kampf für Freiheit für alle Bürger der Welt." Die Polen hätten mit ihrem Aufbegehren gegen die kommunistische Herrschaft "uns an die Kraft von jedem von uns erinnert, unser eigenes Schicksal zu schreiben", lobte Obama in seiner Botschaft. "Im Angesicht von Tyrannei und Unterdrückung wählten sie Freiheit und Demokratie und dadurch veränderten sie ihr Land und den Lauf der Geschichte."

Die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Cornelia Pieper (FDP), würdigte die Gründung der Solidarność als "großartigen Beitrag Polens zur Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas". "Ohne die Solidarność in Polen hätte es den Fall der Berliner Mauer nicht gegeben", erklärte Pieper in Berlin. Die polnische Gewerkschaftsbewegung habe auch den Bürgern der damaligen DDR gezeigt, "dass Widerstand gegen die politische Unmündigkeit erfolgreich sein kann".

An der Zeremonie nahm auch der polnische Präsident des Europaparlaments, Jerzy Buzek, teil. Der Streikführer von 1980 und erste Chef der Solidarność, Lech Walesa, blieb dem Kongress in Gdingen demonstrativ fern. Walesa warf der Führung der Gewerkschaft vor, sich in die politischen Machtkämpfe eingemischt zu haben. Nachdem die Solidarność Demokratie erkämpft habe, sei er dafür gewesen, dass die Gewerkschaft "mit der Politik aufhört", sagte er der Nachrichtenagentur AFP. Sie agiere aber weiter politisch, statt sich mit Gewerkschaftsthemen zu befassen. "Ich bedaure, dass Solidarność heute nicht mehr meine Gewerkschaft ist," fügte Walesa hinzu.

Walesa ist mit vielen Solidarność-Anführern zerstritten, auch weil die Gewerkschaft seinen früheren Weggefährten und heutigen politischen Gegner Jaroslaw Kaczynski bei der Präsidentschaftswahl im Juli unterstützte. In Erinnerung an den Kampf für Freiheit und Demokratie unter der kommunistischen Herrschaft hatte Walesa am Sonntag mit Ministerpräsident Tusk an einem Denkmal in Danzig für die Opfer der Unterdrückung durch die Kommunisten einen Kranz niedergelegt.

Am 31. August 1980 hatten die Arbeiter der Leninwerft in Danzig der kommunistischen Staatsführung Polens nach einem 14-tägigen Streik die Erlaubnis für die Gründung einer unabhängigen Gewerkschaft abgetrotzt. Im folgenden Jahr zog die Regierung ihre Erlaubnis zurück und verhängte das Kriegsrecht. Dadurch sollte die Solidarność zerschlagen werden, die inzwischen bereits rund zehn Millionen Mitglieder hatte. Die Bewegung bestand jedoch im Untergrund fort, 1983 erhielt ihr Anführer Lech Walesa den Friedensnobelpreis. 1989 handelte die Solidarność freie Wahlen aus, im folgenden Jahr wurde Walesa für fünf Jahre zum polnischen Präsidenten gewählt.

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