Schlacht von Waterloo:"Wie Hollywood, aber trotzdem wahr"

Reenactors Prepare To Commemorate The 200th Anniversary Of The Battle Of Waterloo

"Die Grausamkeit, den Lärm, den Schmerz, das kann man nicht nachbilden." Darsteller in den Uniformen der Soldaten der King's German Legion anlässlich des 200. Jahrestags der Schlacht von Waterloo.

(Foto: Dan Kitwood/Getty Images)

Fast 200 000 Soldaten bekämpften sich 1815 bei Waterloo. Doch entschieden wurde die Schlacht von nicht einmal 400 Deutschen - behauptet der Historiker Brendan Simms.

Von Paul Munzinger

SZ: In ihrem Buch "Der längste Nachmittag" erzählen Sie die Geschichte von knapp 400 deutschen Soldaten, die am 18. Juni 1815 den Bauernhof von La Haye Sainte gegen die napoleonischen Truppen verteidigen - und so letztendlich die Schlacht von Waterloo entscheiden. Klingt ein bisschen nach Hollywood, finden Sie nicht?

Brendan Simms: Tatsächlich erinnert das an die Spartaner bei den Thermopylen, wie im Film "300". Die Geschichte klingt nach Hollywood, aber sie ist trotzdem wahr - und wirklich dramatisch.

Kann man die Schlacht von Waterloo wirklich auf die Verteidigung dieses Bauernhofs herunterbrechen?

Ja. Die Deutschen hielten den Bauernhof bis etwa 18 Uhr, ehe sie sich zurückziehen mussten. Ohne diese Widerstandsleistung wäre Napoleon sehr viel früher durch das Zentrum der alliierten Truppen durchgebrochen und hätte Wellington höchstwahrscheinlich besiegt, bevor die Preußen in größerer Zahl eingreifen konnten. Wobei man natürlich sagen muss, dass es nicht nur diese 400 - oder genauer 378 - waren, sondern auch die Soldaten, die im Laufe des Nachmittags als Verstärkung geschickt wurden. Die ursprüngliche Gruppe aber sind die Schützen des 2. leichten Bataillons der King's German Legion, der Königlich Deutschen Legion.

Brendan Simms

Der irische Historiker Brendan Simms lehrt Geschichte der internationalen Beziehungen an der Universität Cambridge. Im vergangenen Jahr legte er mit "Kampf um Vorherrschaft. Eine deutsche Geschichte Europas 1453 bis heute" (Europe. The Struggle for Supremacy) eine kontroverse Darstellung der europäischen Staatenwelt in den letzten 500 Jahren vor (hier eine Rezension). Einen vergleichsweise winzigen Ausschnitt dieses großen Gesamtbildes schildert er in seinem Buch "Der längste Nachmittag" (The Longest Afternoon): den Kampf um den Gutshof La Haye Sainte während der Schlacht von Waterloo.

Was für eine Einheit war das?

Das war eine Einheit der regulären britischen Armee, keine Hilfstruppen, wie man sie aus dem 18. Jahrhundert kennt. Sie wurde hauptsächlich aus Hannoveranern zusammengestellt, die sich mit der französischen Besetzung Hannovers 1803 nicht abfinden konnten oder wollten. Der König von England war damals auch Kurfürst, ab 1814 König von Hannover. Die Truppe hatte sich in Spanien und Portugal bewährt, sie war hoch angesehen. Dass die King's German Legion mit der Verteidigung von La Haye Sainte beauftragt wurde, war kein Himmelfahrtskommando, sondern ein Kompliment.

Warum war der Bauernhof so wichtig?

Er war taktisch von allerhöchster Bedeutung. Napoleons Strategie zielte darauf ab, die Truppen der Alliierten einzeln zu schlagen. Den Preußen hatte er ja einige Tage zuvor bei Ligny eine herbe Niederlage zugefügt. Als die Preußen dann am 18. Juni im Laufe des Nachmittags im Anmarsch waren, musste er Wellington rasch besiegen, um nicht den Briten und Preußen auf einmal gegenüberzustehen. Dazu musste er einen Frontalangriff auf die alliierte Mitte wagen. Genau dort befand sich das Gehöft La Haye Sainte.

Waterloo

Die 400 Deutschen waren, wie Sie schreiben, "alle durchnässt, hungrig erschöpft und in einigen Fällen verkatert, ehe die Schlacht auch nur begonnen hatte". Wie konnte dieser Haufen die französischen Truppen überhaupt so lange aufhalten?

Den 400 Deutschen standen anfangs mehr als 2000 Franzosen gegenüber. Beide Seiten wurden im Laufe des Tages immer wieder verstärkt, aber dieses Verhältnis hat sich nie wirklich verändert. Es war ein ungleicher Kampf, aber nicht so ungleich, wie es die Zahlenverhältnisse auszudrücken scheinen: Die Deutschen waren in der Deckung, der Hof lag in einer Senke und war für die Franzosen schwer zu sehen. Sie hatten nicht die Möglichkeit, ihre Artillerie wirklich zur Geltung zu bringen.

Wie muss man sich den Nachmittag in dem Bauernhof vorstellen?

Es war die Hölle. Es brannte, überall lagen Tote, die Verwundeten mussten unter notdürftigsten Bedingungen versorgt werden. Es muss wirklich schrecklich gewesen sein. Der Kommandeur, Georg von Baring, empfand auch keinen Triumph, als die Schlacht vorbei war, sondern Trauer. Er setzte sich hin und weinte.

Sie zitieren einen Offizier, der einen Infanteristen nach der Schlacht an der Mauer lehnen sieht, "mit zurückgebeugtem Kopf, beide Augäpfel hingen auf den Wangen, eine Kugel war auf einer Seite in seinen Kopf eingedrungen und auf der anderen Seite wieder hinaus. Soviel zur Ehre! Wird sie ihm seine Augäpfel ersetzen? Nein."

Viele der Protagonisten vertuschten nicht, dass das eine ganz grausame Sache war. Sie sahen das durchaus kritisch und wehrten sich gegen die Rhetorik der Nichtteilnehmer, die die Schlacht nachträglich verherrlichen und überhöhen wollten.

Sie schreiben, die Bundeswehr solle sich ein Beispiel an der King's German Legion nehmen. Finden Sie ernsthaft, die deutsche Armee sollte sich im 21. Jahrhundert auf Soldaten berufen, die auf Franzosen schossen?

Die Bundewehr schlägt sich seit 50 Jahren mit der Frage nach der Tradition herum, mit der Suche nach positiven Anknüpfungspunkten in der Vergangenheit. Hier ist einer. Der Kampf gegen Napoleon war ein guter Kampf. Er richtete sich gegen einen Hegemon, der ganz Europa mit Krieg überzogen hatte und ihm seinen Willen aufzwingen wollte. Und zum anderen war es eine Mission, die ausgeführt wurde, ohne Soldaten sinnlos zu verheizen. Gekämpft wurde bis zur letzten Patrone, aber eben nicht bis zum letzten Mann. "Nur" 22 der fast 400 Soldaten starben, weil rechtzeitig der Rückzug angeordnet wurde. Das ist der Unterschied zu den Spartanern bei den Thermopylen.

1965, anlässlich des 150. Jahrestags der Schlacht von Waterloo, wollte die Queen an der Waterloosäule in Hannover einen Kranz für die King's German Legion niederlegen. Die Bundesregierung erlaubte ihr das nicht.

Die Bundesregierung wollte die Franzosen nicht reizen, zumal direkt zu Beginn der deutsch-französischen Verständigung. Waterloo ist für Frankreich ein schwieriges Thema, auch heute noch. Die Belgier haben das gerade wieder erlebt. Sie wollten zum 200. Jubiläum der Schlacht eine Euro-Gedenkmünze herausbringen. DIe Franzosen haben sich da quergestellt.

La Haye Sainte ist immer noch ein landwirtschaftlicher Betrieb. Wie sieht es dort heute aus?

Das Gelände drumherum hat sich stark verändert, doch das Gehöft steht praktisch genau so, wie es damals stand. Die Gebäude sind renoviert worden, die abgebrannte Scheune wurde wieder aufgebaut. Die Mauern sind so dick, dass man keinen Handyempfang hat. Einschusslöcher gibt es keine, aber der belgische Graf, der dort wohnt, findet immer wieder eine Kugel. Eine davon liegt jetzt bei mir im Büro.

Zum Gedenktag werden Tausende Menschen die Schlacht von Waterloo an den Originalschauplätzen nachstellen. Was halten Sie von solchen Veranstaltungen?

Aus meiner SIcht ist solches Interesse an der Geschichte grundsätzlich positiv. Das macht die Vergangenheit auch interessant für Gruppen, die sich sonst nicht dafür interessieren. Ich würde nur davor warnen zu glauben, dass man bei solchen Nachbildungen die Erfahrung von damals nachempfinden kann. Die Grausamkeit, den Lärm, den Schmerz, das kann man nicht nachbilden.

Die Reportage von Kurt Kister über Waterloo damals und heute mit SZ plus lesen:

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