40 Jahre Prager Frühling:Treffpunkt Prag

'Prager Frühling' - Einmarsch in Prag

Die Prager Bevölkerung umringt am ersten Tag der Besetzung die einrollenden sowjetischen Militärfahrzeuge.

(Foto: dpa)

Der Einmarsch der Sowjets in Prag bedeutete das Ende des Traums von einem lebbaren Sozialismus. Im geteilten Deutschland löste das ganz unterschiedliche Reaktionen aus.

Franziska Augstein

Am 21. August 1968 wurde der Ostdeutsche Peter Ensikat, ein angehender Kindertheatermacher und Satiriker, zeitig am Morgen geweckt. Er hatte bei Freunden übernachtet, und nun kam, für Ensikat war es viel zu früh, jemand zu ihm ins Zimmer und weckte ihn mit Worten, die für ihn eigentlich in einen Albtraum gehörten: "Die Russen sind in Prag einmarschiert." Ensikat war sofort wach. An jenem Vormittag begann er wieder zu rauchen, er tut es bis heute.

Sehr viele, die mit den Verhältnissen in der DDR nicht zufrieden waren, hatten ihre Hoffnungen auf den Prager Frühling gesetzt. Sie waren nicht gegen den Sozialismus, sondern dagegen, wie die KPs fast aller Länder ihn exekutierten.

In der Tschechoslowakei hatte Alexander Dubcek, der im Januar 1968 eingesetzte Erste Sekretär des Zentralkomitees der tschechoslowakischen KP, der Politik eine ganz neue Richtung gegeben: Die Partei sollte die Gesellschaft nur "führen", sie aber nicht "dirigieren".

Hoffnungen in der DDR

Die Zeitschrift des Schriftstellerverbandes, Literární noviny, die im November 1967 verboten worden war, durfte unter dem Namen Literární listy wieder erscheinen. Damit betrachteten die Tschechen die Zensur als de facto abgeschafft.

In der DDR hatten systemkritisch eingestellte und dabei sozialistisch denkende Leute wie Peter Ensikat darauf gesetzt, dass die Sowjetunion den Prager Frühling tolerieren werde. Sie erhofften sich davon nicht bloß eine allmähliche Veränderung der DDR-Politik; sie erhofften sich, zu sehen, dass der Sozialismus als freiheitliche Gesellschaftsordnung funktionieren könne. Ensikat nennt das einen "lebbaren Sozialismus". Dubcek sei als Politiker in der DDR so beliebt gewesen wie außer ihm später nur Gorbatschow.

Walter Ulbricht hatte jegliche Liberalität, die er einst gehabt haben mochte, längst aufgegeben. Natürlich beeilte er sich, den Einmarsch in Prag zu begrüßen. Sein Volk sah das anders. Es gab keine großen Demonstrationen gegen die Sowjets. Dazu war die Stimmung im Land schon lange viel zu gedrückt. Der Einmarsch in Prag war auch ein Déjà-vu: 1953 war das gleiche in Ost-Berlin geschehen, 1956 in Budapest. Man wusste, wie das aussieht, wenn die Truppen des Brudervolks kommen.

Einzelne waren es, die sich mit der Zerschlagung ihrer Hoffnungen nicht stille abfinden wollten. Der Opernregisseur Horst Bonnet zum Beispiel. Er und seine Frau zeichneten mit der Hand einige kleine Flugblätter, die sie am Bahnhof Friedrichstraße verteilten. Der Historiker Norbert Frei hat in seinem Buch "1968" einige der kleinen heroischen Taten einzelner Bürger aufgezählt: An der Autobahn bei Henningsdorf hängten Unbekannte ein Bettlaken auf, darauf stand: "Freiheit für Dubcek".

In Erfurt machten etwa 200 Jugendliche ihrem Zorn mit Sprechchören Luft. Ein Hallenser Bürger forderte vor dem Theater der Freundschaft mit Lenin-Zitaten zum Nachdenken auf. In Ost-Berlin zählte die Stasi "an 212 Stellen 272 Losungen".

Im Westen gegen Vietnam

Hochirritiert war die Regierung darüber, dass ausgerechnet die Kinder hochstehender Funktionäre und/oder überzeugter Kommunisten protestierten, darunter Thomas Brasch und Robert Havemanns Söhne Florian und Frank. Sie wurden festgenommen und zu Haftstrafen von ein bis zwei Jahren verurteilt. Auch der Regisseur Bonnet bekam diese Strafe. Man kann sich vorstellen, wie wenige Flugblätter er und seine Frau handschriftlich fabrizieren konnten.

Während der vorhergehenden Monate waren viele Leute aus der DDR nach Prag gereist, um ihre Freunde dort zu bestärken und sich Bestätigungen ihrer Hoffnungen zu suchen. Außerdem war Prag der Treffpunkt, wo man Westmenschen traf: Für die Tschechoslowakei brauchten die DDR-Bürger kein Visum.

Für die Westler, die in jener Zeit nach Prag reisten, nahm sich der Prager Frühling anders aus. Viele waren zu Haus damit beschäftigt, gegen den Vietnamkrieg zu protestieren. Sie erhoben sich gegen den Autoritarismus der Adenauerära, von ihren Altvorderen begehrten sie zu erfahren, was die während der Nazi-Zeit gemacht hatten. Am Prager Frühling waren Angehörige von K-Gruppen besonders interessiert: Was sich da abspielte, ging sie an.

Zustimmung von der DKP

Ehemalige tschechische Dissidenten beklagen bis heute, der Einmarsch in Prag habe die westdeutsche Linke nicht sonderlich beschäftigt. Der Journalist und damalige Maoist Christian Semler hat das anders wahrgenommen, wobei er einräumt, dass er nur über Berlin sprechen könne: "Am Tag des Einmarschs gab es in Berlin eine Demonstration vor dem Schöneberger Rathaus, am frühen Abend demonstrierten wir vor der tschechischen Botschaft.

Auffällig war, dass in Berlin nur die Linken auf die Straße gingen. Konservative taten das nicht." Es gab einen Sprechchor, der sich angeblich gut intonieren ließ: "Dubcek! Svoboda!" Auch der alte General, nun Präsident der tschechischen Republik, galt als Held, weil er die Zusammenarbeit mit der Sowjetunion verweigert hatte.

Auf der nächsten Seite: Wie die K-Gruppen aus dem Westen reagierten.

Treffpunkt Prag

Für Semler als Maoisten war die Sache klar: Die Sowjetunion hatte eine verbrecherische Untat begangen. Es gab damals noch keine pro-chinesische Organisation in Berlin. Semler war sozusagen nur rein privat als Maoist unterwegs. Dabei half ihm natürlich, dass China den "sozialimperialistischen Hegemonismus" der UdSSR scharf verurteilte. Nicht dass die Chinesen für Dubcek gewesen wären, sie nutzten lediglich die Gelegenheit, ihre Feindschaft zur UdSSR einmal mehr zu bekräftigen.

Die West-Berliner K-Gruppen waren freilich nicht alle begeistert vom Prager Frühling. Die von Moskowitern gesteuerte DKP hieß den Einmarsch für gut, wenn auch, wie Semler sagt, "mit Bauchschmerzen". Außerdem gab es unter den jungen West-Berliner Kommunisten viele, die Dubcek für einen Repräsentanten genau der Form von Sozialismus hielten, die sie nicht wollten.

Sie waren darauf aus, einen Rätesozialismus einzurichten. Mit den Worten des Politikwissenschaftlers Wolfgang Kraushaar gesagt, ging es ihnen "letztlich um die Einheit von Demokratie und Öffentlichkeit". Sie wollten sich weder von Parlamentariern noch von einer Kommunistischen Partei vertreten lassen. Der tschechische Parteichef schien ihnen in seinem Reformbestreben nicht weit genug zu gehen. Aber auch diese Leute demonstrierten gegen den Einmarsch in Prag.

Gar nicht dabei waren jene, auf die es den West-Berliner Kommunisten sehr ankam: Vietnam erklärte den Einmarsch für gut, und deshalb gingen die Vietnamesen in West-Berlin auch nicht demonstrieren. Die Kubaner veröffentlichten eine halbherzige Stellungnahme, die letztlich - so Semler - auf eine Zustimmung zum Einmarsch hinauslief. Das war bitter: Enge Verbündete aus dem Ausland, auf die man als kommunistischer Internationalist ja besonders setzte, machten beim Protest nicht mit.

Die ostdeutschen Medien haben den Einmarsch in Prag begrüßt. Die westdeutschen verurteilten ihn. Das entsprach den Frontlinien des Kalten Kriegs. Interessant ist, wie sich die westdeutschen Linken und die Studentenbewegung verhielten. Von manchem, was sie unternahmen, werden die Dubcek-Anhänger in Prag nichts erfahren haben. Eine Tschechin hat erzählt: Am Tag, als die Truppen des Warschauer Pakts Prag übernommen hatten, wuschen viele Frauen, die sie kannte, die Wäsche. Es gab nichts besseres mehr zu tun. Der Traum von einem lebbaren Sozialismus: Er war vorbei.

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