25 Jahre Ost-West-Fusion:Nur auf der Straße können die Grünen den Osten gewinnen

Bündnis 90 / Die Grünen Fusion 1993

Die 1. Bundesversammlung der damals frisch fusionierten Partei Bündnis 90 / Die Grünen fand in Leipzig statt.

(Foto: dpa)

Vor genau 25 Jahren schlossen sich Bündnis 90 und die Grünen zu einer Partei zusammen. Innerparteilich hat die Vereinigung funktioniert. Doch in den neuen Ländern kommt die Partei nicht voran.

Kommentar von Constanze von Bullion

25 Jahre ist es her, dass die ostdeutschen Bürgerrechtler von Bündnis 90 sich mit den westdeutschen Grünen zu einer neuen Partei zusammentaten. Eine Fusion auf Augenhöhe war da geplant, und beide Seiten konnten dabei etwas lernen. Die grünen Westler hatten die Oppositionellen der DDR lange als fromme Peaceniks belächelt. Nun gewannen sie Respekt vor Lebensläufen, in denen politischer Widerstand wesentlich riskanter gewesen war als im Westen. Grüne Ostler wiederum lernten damals, dass zur Politik Marke West nicht nur der aufrechte Gang gehörte, sondern das klare, bisweilen auch das harte Wort.

Ein Vierteljahrhundert ist vergangen, und Bündnis 90 ist ein Begriff wie aus dem Museum. Die Grünen heißen jetzt wieder die Grünen, so als habe es nie eine Ost-West-Fusion gegeben. Macht nichts, sagen die Parteioberen, es gebe doch etliche Ostdeutsche auf wichtigen Posten. Die Bundestagsfraktionschefin Katrin Göring-Eckardt, Bundesgeschäftsführer Michael Kellner oder die Fraktionsvorsitzende im Europaparlament Ska Keller: allesamt ostdeutsch. Auch in den neuen Ländern wird mitregiert, in Thüringen, Sachsen-Anhalt, Berlin. Immerhin.

Das wars dann aber auch mit Fusionserfolgen. Denn dort, wo der ostdeutsche Wähler wohnt, ist in der Regel grüne Diaspora. In Mecklenburg-Vorpommern flog die Partei 2016 aus dem Landtag, in Brandenburg kam sie mit Mühe und Not auf 6,2 Prozent. Und wenn nächstes Jahr in Sachsen gewählt wird, dann geht es da nicht nur um die Frage, ob die AfD stärkste Kraft wird. Jenseits von Städten wie Leipzig oder Dresden kämpfen die Grünen um ihre Restbedeutung, gerade auf dem Land. Aus Gründen.

Die Grünen, eigentlich Bürgerrechtspartei, greifen die Themen der Bürger nicht auf.

25 Jahre nach der Parteifusion gelten die Grünen in den neuen Ländern als westdeutscher als andere westdeutsche Parteien - und werden bisweilen von Herzen dafür geschmäht. Das liegt vor allem am anti-autoritären Gründungskonsens der Partei. Er verträgt sich nicht gut mit den oft konservativen, auch national geprägten ordnungspolitischen Vorstellungen vieler ehemaliger Sozialisten.

Und da ist noch etwas anderes, das trennt. Die Grünen und Ihre Mitstreiter sind im Westen einst gegen eine post-faschistische Gesellschaft angerannt und im Osten gegen einen sozialistischen Unrechtsstaat. Eine Aufrührerpartei sind sie schon lange nicht mehr, aber eine freiheitssuchende. In Ostdeutschland aber ist das keine Empfehlung.

Wo eine ganze Generation von Industriearbeitern mit der Arbeit das Selbstwertgefühl verloren hat, ist Freiheit eben kein Sehnsuchtsort mehr. Der Begriff steht hier oft eher für Unzugehörigkeit und Deklassierung. Ein wirksames Mittel gegen das Gefühl der Demütigung aber ist Verachtung. Weshalb die Grünen im Osten gern mal so verächtlich gemacht werden wie die, vor die sie sich schützend stellen wollen: Fremde, Flüchtlinge, die am Rand.

Die Angst, nicht mehr mithalten zu können in einer globalisierten Welt ist in Ostdeutschland besonders groß. Das Gleiche gilt für Rassismus und die Sehnsucht nach einem autoritären Staat, der durchgreift. Die Grünen, eigentlich eine Bürgerrechtspartei, aber greifen diese Themen nicht auf. Gelegentlich kommentieren sie besorgt die dramatische Rechtsdrift post-sozialistischer Gesellschaften, sitzen sie ansonsten aber aus. So nach dem Motto: Wir können auch ohne den Osten.

Wenn die Grünen Meinungsführer im linken Lager werden wollen, wie ihre Anführer jetzt immerfort verkünden, dann müssen sie sich viel offensiver als bisher den Ostdeutschen nähern. Es reicht auch nicht, dass die Habecks, Baerbocks und Özdemirs sich in den Berliner Denkstuben die Köpfe über Migration und Gerechtigkeit heiß reden. Sie müssen das auch in Plauen und Putbus tun. Wer den Menschen dort nicht erklären kann, warum Solidarität kein Luxus für Besserverdiener ist, sondern der Kitt, der einen Sozialstaat zusammenhält, der braucht sich nicht zu wundern, wenn ihn der Wähler nicht ernst nimmt. Raus auf die Straße, die ostdeutsche, ist da die Losung. Zeit für ein paar ungemütliche Gespräche.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: