25 Jahre nach Solingen:Wie der Hass entstand

25 Jahre nach dem Solinger Brandanschlag

Vor dem abgebrannten Haus in Solingen zeigten türkische und deutsche Bürger vor 25 Jahren ihre Anteilnahme und ihr Entsetzen über den Anschlag.

(Foto: dpa)

Vor 25 Jahren verübten junge Deutsche auf das Haus der türkischen Familie Genç in Solingen einen Anschlag, der die Stadt und das Land schockierte. Die Täter hinter den Tätern waren Politiker, die gegen Flüchtlinge hetzten. Sie bereiteten der AfD den Weg.

Kommentar von Heribert Prantl

Was hat sich geändert in den 25 Jahren seit diesen Morden? Was hat sich geändert in Deutschland seit dem Brandanschlag von Solingen? Was hat sich geändert, seitdem junge, aufgehetzte Brandstifter in der Nacht vom 28. auf den 29. Mai 1993 das Wohnhaus der türkischen Familie Genç angezündet haben? Ist Deutschland ein friedlicheres, ein ausländerfreundlicheres Land geworden? Sind muslimische Bürgerinnen und Bürger akzeptierter und respektierter als damals?

Was hat sich geändert? Immerhin dies: Es ist heute unvorstellbar, dass sich ein Spitzenpolitiker nach einem solchen Mordanschlag so verhält, wie sich damals Kanzler Helmut Kohl verhalten hat. Er weigerte sich, an der Trauerfeier teilzunehmen. Sein Regierungssprecher Dieter Vogel verwies auf die "weiß Gott anderen wichtigen Termine" des Kanzlers; man wolle schließlich nicht "in Beileidstourismus ausbrechen".

Bundespräsident Richard von Weizsäcker war dann bei der Trauerfeier sensibler als der pampige Kanzler. Es gehe darum, so sagte er, den türkischen Bürgern in Deutschland das Gefühl zu nehmen, Bürger zweiter Klasse zu sein. 25 Jahre später ist das immer noch und immer wieder ein richtiger und wichtiger Satz.

Zwei Frauen und drei Mädchen kamen ums Leben: Saime, Hülya, Gülüstan, Hatice und Gürsün Genç. Dies geschah am Pfingstsamstag 1993, drei Tage nach der Änderung des Asylgrundrechts im Bundestag. Damit solle, so hieß es, den Rechtsextremisten "das Wasser abgegraben" und die Gewalt gegen Ausländer eingedämmt werden.

Solingen wurde zum Symbol für militante Ausländerfeindlichkeit

Der Mordanschlag war ein Hohn auf solches Argumentieren. Er war der Höhepunkt einer Serie von ausländerfeindlichen Verbrechen, die seit Ende 1990 immer dichter geworden war. Solingen wurde zum Symbol für Fremdenhass und militante Ausländerfeindlichkeit.

Fünf Jahre vor dem Anschlag hatte die politische Kampagne gegen angebliche "Asylmissbraucher" begonnen. Das Wort wurde das beliebteste in Wahlkämpfen. Die CDU/CSU hämmerte den Leuten in den Kopf, dass 95 Prozent aller Flüchtlinge "Wirtschaftsflüchtlinge" und "Simulanten" seien. Der damalige CDU-Generalsekretär Volker Rühe verschickte Pakete mit einschlägigen Muster-Presseerklärungen an alle CDU-Kreisverbände. Die politische Sprache betrieb Mobilmachung; "Fluchtwege" mussten abgeschnitten, "Abschreckung" musste praktiziert werden.

Rigorose Asylpolitik als vermeintliches Mittel gegen Rechtsradikale

Die Politik tat so, als gebe es ein verseuchtes Zimmer im Haus der Verfassung; nach der Grundgesetzänderung wurde daher gerufen wie nach dem Kammerjäger. Der Berliner CDU-Fraktionschef sprach von Ausländern, die "bettelnd, betrügend, ja messerstechend durch die Straßen ziehen" und dann "nur weil sie das Wort Asyl rufen", dem Steuerzahler sieben Jahre lang auf der Tasche lägen. Edmund Stoiber, CSU, wollte die deutsche Bevölkerung vor einer "totalen Überforderung" schützen; seine rigorose Flüchtlingspolitik sei, behauptete er, ein Beitrag zur Bekämpfung von Rechtsradikalen.

Das Asylgrundrecht wurde zum Symbol für die angebliche Überfremdung gemacht und die Zerschlagung des Symbols angekündigt - nicht von einer AfD (die gab es noch nicht), sondern von CSU, CDU, SPD und FDP. Das legislative Ergebnis: Der Bundestag strich mit den Stimmen der CDU/CSU, dem Großteil der Stimmen der FDP und einer Stimmenmehrheit der SPD den Artikel 16 des Grundgesetzes; an die Stelle des schlichten Satzes "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht" trat ein neuer, umständlicher Artikel 16 a, eine Miniaturisierung des Asylrechts.

Die Täter hinter den Tätern waren Politiker, die gehetzt haben

Herbert Schnoor, nordrhein-westfälischer Innenminister zur Solingen-Zeit, bekannte später, dass die Politik "eine Art Beihilfe zur Stärkung der Gewalt" geleistet habe: "Wenn junge Menschen erleben, wie Politik über Flüchtlinge und Ausländer spricht, dann muss man sich nicht wundern, wenn Jugendliche diese verbale Gewalt in brutale Gewalt übersetzen." Und der Bundesinnenminister Manfred Kanther gestand, dass die politische Debatte "Hitzegrade" erzeugt habe.

Vier junge Deutsche wurden wegen Mordes an fünf Menschen und wegen versuchten Mordes an 14 Menschen verurteil. Sie haben ihre Haftstrafen abgesessen. Sie waren die Täter. Die Täter hinter den Tätern waren Politiker, die gehetzt haben. Die Täter von Solingen haben deren verbale Gewalt in brutale Gewalt übersetzt und sind dafür vom Gericht bestraft worden. Die Politiker und ihre Parteien sind nicht von Gerichten bestraft worden. Aber sie selbst haben ihre Bestrafung in Wahlen heraufbeschworen: Man kann die Wahlerfolge der AfD als Bestrafung von CSU, CDU und SPD betrachten; da ist die Saat von damals aufgegangen.

In der AfD wird heute unentwegt so agitiert, wie damals, vor 25 Jahren, in den Parteien geredet wurde, die heute mit der AfD gestraft sind. Der Weg für diese AfD wurde damals präpariert. Damals wurde von CSU, CDU, SPD und FDP die Stimmung geschaffen, von der heute die AfD lebt.

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