30 Jahre Gewerkschaft Solidarność:Die Geburt der Solidarität

Am 31. August 1980 unterzeichnete der Elektriker Lech Walesa das "Danziger Abkommen": Die unabhängige Gewerkschaft Solidarność wurde gegründet. Dies war der Anfang vom Ende des Kommunismus - nicht nur in Polen.

Cordula Sailer

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Am 31. August 1980 unterzeichnete der Elektriker Lech Walesa das "Danziger Abkommen": Die unabhängige Gewerkschaft Solidarność wurde gegründet. Dies war der Anfang vom Ende des Kommunismus - nicht nur in Polen. Sommer 1980: Das kommunistische Polen steckt in einer Wirtschaftskrise. Schon seit Jahren verschlechtern sich die Lebensbedingungen der Menschen dort zusehends. Am 2. Juli veranlasst die Regierung unter anderem eine drastische Preiserhöhung für Fleisch- und Wurstwaren. Eine Streikwelle bricht los: Zuerst protestieren die Eisenbahnangestellten in Lublin, dann legen immer mehr Arbeiter im ganzen Land ihre Arbeit nieder.  Am 14. August erreicht die Streikwelle auch die Leninwerft in Danzig. Nach der Entlassung der Kranführerin Anna Walentynowicz beschließen die Arbeiter, das Werftgelände zu besetzen und verschanzen sich hinter den Toren. Zu ihrem Anführer wird der junge Elektriker Lech Walesa. Bereits vier Jahre zuvor hatte er versucht, eine vom Staat unabhängige Gewerkschaft zu gründen und wurde entlassen. An diesem Tag weiß er, wo sein Platz ist: Er springt über das verschlossene Tor zu den Streikenden.

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Die Arbeiter verlangen unter anderem die Wiedereinstellung von Anna Walentynowicz sowie ein Denkmal für die Streikenden, die 1970 vom Militär vor der Werft erschossen wurden. Als den Forderungen nachgegeben wird, scheint der Streik nach zwei Tagen zu Ende zu gehen. Doch die Arbeiter entscheiden sich dazu, weiterzumachen. Unter Walesas Führung wird ein "Überbetriebliches Streikkomitee" gegründet, das mehr als 300 polnische Betriebe repräsentiert. Das Komitee arbeitet 21 Forderungen an die Regierung aus, die Redefreiheit, Streikrecht und vor allem das Recht auf unabhängige Gewerkschaften beinhalten.

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Nach langen Verhandlungen lenkt die Regierung ein. Am 31. August 1980 unterzeichnet Lech Walesa (Mitte), hier neben Vize-Ministerpräsident Mieczyslaw Jagielski (links), das "Danziger Abkommen" - mit einem Riesenkugelschreiber. Polen ist damit das erste Land im Ostblock, in dem freie Gewerkschaften zugelassen werden. Jagielski kommentierte die Einigung mit den Worten "Es gibt weder Sieger noch Verlierer" - und täuschte sich gewaltig, wie man heute weiß. Die Sowjetunion fühlt sich durch die Geschehnisse in Polen bedroht und zieht sogar Truppen nahe der polnischen Grenze zusammen, doch zu einem Einmarsch kommt es nicht. Regierungschef Wojciech Jaruzelski fühlt sich noch als Herr der Lage und versichert der Parteiführung in Moskau, selbst mit dem Gewerkschaftsproblem zurechtzukommen. Noch ahnt Jaruzelski nicht, dass er mit dem "Danziger Abkommen" das Ende des Kommunismus eingeläutet hat - nicht nur in Polen.

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Am 17. September 1980 gründen schließlich Vertreter von mehr als 30 örtlichen Streikkomitees in Danzig die Gewerkschaft Solidarność - zu Deutsch Solidarität. Lech Walesa wird zum Vorsitzenden gewählt. Die Gründung wird Anfang November durch den Obersten Gerichtshof anerkannt. Im folgenden Jahr hat die Gewerkschaft fast zehn Millionen Mitglieder - das waren mehr als die Hälfte der polnischen Arbeitnehmer.  

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Rückendeckung bekommt Solidarność auch von ihrem polnischen Landsmann Papst Johannes Paul II. Bereits während der Besetzung der Leninwerft zeigt er sich mit den Streikenden solidarisch. In einem offenen Brief an die polnischen Bischöfe ruft er dazu auf, die Arbeiter in ihrem Kampf um soziale Gerechtigkeit zu unterstützen. Der Papst lädt Walesa und die anderen Führungskräfte der Gewerkschaft am 15. Januar 1981 zu einer privaten Audienz ein. Dieser geistliche Beistand gab den Arbeitern im katholisch gepägten Polen in all den Jahren des Widerstandes Kraft und ist in seiner Wirkung nicht zu unterschätzen.

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Der erste Nationalkongress der Solidarność findet am 5. September 1981 in Danzig statt. Walesa posiert am Rednerpult mit dem Victory-Zeichen. Mit einer knappen Mehrheit wird er in seinem Amt als Gewerkschaftsführer bestätigt. Inzwischen haben sich in der Gewerkschaft zwei Lager herausgebildet: Auf der einen Seite steht Walesa, der sich für eine gemäßigte Auseinandersetzung mit der kommunistischen Regierung ausspricht, während eine eher national-konservative Gruppe um Andrzej Gwiazda und Jan Rulewski mehr in die Offensive gehen möchte.

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Die wirtschafliche Lage verbessert sich jedoch nicht. Durch weitere Streiks entsteht ein Engpass in der Lebensmittelversorgung. Leonid Breschnew, damals Parteichef der KPdSU fordert die polnische Staatsführung dazu auf, gegen die Gewerkschaft vorzugehen. Am 13. Dezember 1981 verhängt Jaruzelski das Kriegsrecht über sein eigenes Land - wie hier ein Sprecher des polnischen Fernsehens mitteilt. Solidarność wird verboten und Walesa mit anderen Gewerkschaftsführern vorübergehend interniert. Nun geht die Gewerkschaft als Freiheitsbewegung in den Untergrund. Es werden Büros im Ausland gegründet, unter anderem in Brüssel und Bremen.  

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Im Oktober 1983 wird Lech Walesa mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Seine Frau Danuta Walesa und ihr damals 13-jähriger Sohn Bogdan nehmen den Preis für ihn in Oslo entgegen. Walesa selbst reist nicht nach Norwegen: Aus Furcht, ausgebürgert zu werden, will er keinen Reisepass beantragen.

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Die Unruhen in Polen nehmen in den Folgejahren nicht ab. 1988 kommt es erneut zu zahlreichen Streiks und Demonstrationen. Auf Hilfe aus Moskau kann Jaruzelski nicht hoffen. Michail Gorbatschow war 1985 zum neuen Parteivorsitzenden der KPdSU gewählt worden. Seine politische Linie unterscheidet sich von der Breschnews - Gorbatschow plädiert für eine Umgestaltung der Sowjetunion und mehr Offenheit. Jaruzelski sieht nur noch einen Ausweg: Er bittet Lech Walesa um seine Hilfe. Dieser spricht wie hier in der Leninwerft zu den Arbeitern und bittet sie, ihren Streik zu beenden. Er hat Erfolg. Als Gegenleistung forderte Walesa die Einführung eines "runden Tisches".

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Der "runde Tisch" ist wohl der Anfang vom Ende für die kommunistische Herrschaft - nicht nur in Polen. Solidarność wird im Januar 1989 wieder offiziell als Gewerkschaft zugelassen. Am 6. Februar beginnen die Gespräche in Warschau. Oppositionelle aus den Reihen der Gewerkschaft sitzen als Gleichberechtigte mit Abgesandten der polnischen Regierung an einem Tisch. Sie versuchen, sich in politischen und ökonomischen Fragen anzunähern. Die Verhandlungen dauern bis zum 5. April an und führen zu einer Demokratisierung des Landes: Die ersten halbfreien Wahlen im kommunistischen Polen werden durchgesetzt. 

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Der Senat sowie 35 Prozent der Parlamentssitze werden am 4. Juni 1989 frei gewählt. Solidarnosc tritt als eigene Partei an und erhält 99 Prozent der Stimmen für den Senat sowie alle frei wählbaren Sitze im Parlament. Am 24. August wird mit Tadeusz Mazowiecki (Bild) schließlich der erste nichtkommunistische Regierungschef Polens nach dem Zweiten Weltkrieg gewählt.

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Walesa selbst wird am 9. Dezember 1990 für fünf Jahre zum polnischen Staatspräsidenten gewählt. Während seiner Amtszeit entwickelt sich Polen immer mehr zu einem marktwirtschaftlichen Land. Allerdings verlieren Walesa und die Solidarność an politischer Bedeutung. Bei den Parlamentswahlen 1993 verliert Solidarność die Beteiligung an der Regierung. Viele Polen machen sie für die negativen Auswirkungen der Wende verantwortlich. 

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Heute ist die Solidarność politisch einflusslos, besteht aber weiterhin als unabhängige Gewerkschaft. Auf der 25-Jahr-Feier der Gewerkschaft streckte Walesa seine Hand noch einmal mit dem Siegeszeichen in die Höhe - so wie früher. Gleichzeitig erklärte er am 31. August 2005 seinen Austritt aus Solidarność, da es nicht mehr dieselbe Gewerkschaft sei wie früher, mit anderen Zielen. Eine Ära geht zu Ende: Viele Jahre wurde Lech Walesa mit der Solidarność gleichgesetzt. So verglich die Berliner Zeitung seinen Austritt 2005 mit dem Austritt des Papstes aus der katholischen Kirche.

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