60 Jahre FDP:Das Chamäleon ist Geschichte

Die Geschichte der FDP ist eine Geschichte des politischen Wandels. Erst unter unter Guido Westerwelle folgte ein programmatischer Stillstand, der bis heute anhält.

Heribert Prantl

Dezembertage sind Schicksalstage bei der FDP: Am 12. Dezember 1948 wurde die Partei in Heppenheim an der Bergstraße als Zusammenschluss aller liberalen Parteien der westlichen Besatzungszonen gegründet. Mit diesem Tag beginnt eine glorreiche Geschichte: Die FDP wurde zu einer Partei, ohne die nichts ging in der alten Hauptstadt Bonn. Wer immer regieren wollte, der brauchte die Liberalen.

Dehler, Adenauer

Thomas Dehler (l.) war unter Konrad Adenauer (r.) der erste Justizminister Deutschlands. Später wurde er zum Kritiker Adenauers.

(Foto: Foto: dpa/pa)

Diese Geschichte einer wahrhaft staatstragenden Partei endet 37 Jahre später, wieder an einem 12. Dezember - am 12. Dezember 1985 um 16 Uhr und zwei Minuten: Damals wurde Joschka Fischer vom hessischen SPD-Ministerpräsidenten Holger Börner als erster grüner Minister in Deutschland vereidigt - und mit diesem Turnschuh-Event endet die Rolle der FDP als Königsmacher-Partei.

Die alte bundesrepublikanische Gleichung ("Eine große Volkspartei plus FDP = Regierung") stimmt seitdem nicht mehr. Ein Alleinstellungsmerkmal der FDP ist damit verschwunden. Und ihr gelang es auch nicht mehr, den Verlust ihrer Rolle als exklusive Mehrheitsbeschafferin programmatisch zu kompensieren - im Gegenteil: Das Progamm der FDP wurde nicht breiter, sondern enger.

Dafür steht wiederum ein Dezembertag, der 15. Dezember 1995. Damals wurde die Partei von einer Wanze gespalten: Eine Mehrheit der Parteimitglieder entschied sich für den großen Lauschangriff, also für die Einschränkung des Grundrechts der Unverletzlichkeit der Wohnung - und damit gegen die großen rechtsstaatlichen Traditionen der Partei, für die Namen wie der von Thomas Dehler stehen.

Er war der erste Justizminister der Bundesrepublik. Seine liberale Nachfahrin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Justizministerin im Kabinett Kohl, trat zurück; die Rechtsstaatsliberalen der FDP gingen in den Austrag - und feiern ihre Erfolge seitdem nicht mehr in der Partei, sondern beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, wo die liberalen Altvorderen Gerhart Baum und Burkhard Hirsch mit Verfassungsbeschwerden gegen die Sicherheitsgesetze von Schily und Schäuble vorgehen.

Zwei Jahre vor der Beschränkung des Wohnungsgrundrechts hatte die FDP schon mitgeholfen, das alte Asylgrundrecht nach Artikel 16 Grundgesetz zu stürzen, das der liberale Ahnherr Theodor Heuss, der erste Bundespräsident, als "Freiheitsstatue im Hafen der Verfassung" bezeichnet hatte. Auch da fiel die Entscheidung der FDP an einem Dezembertag - am 6.Dezember 1992.

Die Geschichte der Freien Demokraten in den ersten vierzig Jahren der Bundesrepublik beschreiben Kritiker als eine Chamäleon-Geschichte. Das klingt nach Beliebigkeit, war aber nicht so. In Wahrheit war die FDP der Moderator im politischen Wandel der Republik. In den konservativen Regierungen hat sie den Konservativismus, und in den sozialdemokratischen Regierungen den Sozialismus gebremst.

Das Chamäleon ist Geschichte

Jähe politische Umbrüche hat es in der alten Bundesrepublik nicht gegeben, weil es die FDP gab. Die Liberalen waren in der alten Bundesrepublik, zuletzt immer schwächer, eine Art Opposition in der Regierung. Sie haben den Versuch der jeweiligen Dogmatiker der großen Parteien verhindert, die reine Lehre in Politik zu übersetzen.

In den Regierungen Adenauer und Erhard profilierten sich die Liberalen als Rechtsstaatspartei, in den Regierungen Brandt und Schmidt als Hüter der Marktwirtschaft gegen einen Koalitionspartner, welcher der Wirtschaft zumindest anfangs suspekt war. So verkörperten und gewährleisteten sie die Kontinuität im wechselnden politischen Farbenspiel der Republik.

Das hatte seinen Preis: Die Bundes-FDP musste einen ständigen Wechsel ihrer Wähler und Mitglieder, ja sogar den Verlust von Spitzenfunktionären riskieren. 1982 zum Beispiel, als die FDP der Schmidt-SPD abtrünnig wurde und ein neues Regierungsglück mit der Kohl-CDU suchte, verlor sie 20 Prozent ihrer 86.500 Mitglieder - unter ihnen ihren Generalsekretär, den heutigen EU-Kommissar Günter Verheugen, der zur SPD wechselte.

Die Geschichte der FDP ist also eine Geschichte des politischen Wechsels - dem unter Guido Westerwelle ein programmatischer Stillstand folgte, der bis heute anhält.

Der erste Wechsel datiert vom Jahr 1969, als sich die FDP in eine linksliberale Partei zu verwandeln begann, die sich 1971, unter Anleitung von Generalsekretär Karl Hermann Flach, ein gesellschaftspolitisches Programm gab, wie es heute selbst bei der SPD revolutionär wäre: Die FDP bekannte sich 1971 im Freiburger Programm zur Umverteilung des Produktivvermögens, zur Eindämmung der Spekulation und zu einer "Art Parität" von Kapital und Arbeit. Stratege Flach verfolgte "nur ein Ziel, 1973 die Machtübernahme von Barzel-Strauß zu verhindern". Stattdessen machte dann der FDP-Außenminister Genscher zusammen mit Willy Brandt die neue Ostpolitik.

1982 gelang der FDP, ganz Chamäleon, die komplette Rückverwandlung. Sodann aber passierte etwas Sonderbares: Die FDP wollte kein Chamäleon mehr sein. Es gab keinen Versuch des Farbenwechsels mehr. Stattdessen tilgte die FDP die verbliebenen alten Farbtupfer. Auf dem Karlsruher Parteitag von 1996 inszenierte Generalsekretär Westerwelle den marktradikalen "Entwurf für die liberale Bürgergesellschaft" als Manifest eines neuen Zeitalters.

Die FDP predigte von da an Entstaatlichung, Privatisierung und Deregulierung mit solcher Verve, dass sich die großen Parteien davon anstecken ließen: Von 2003 an druckten Union und SPD die neoliberalen Programme, die bis dahin exklusiv von der der FDP herausgegeben worden waren.

Das Schöne für die FDP von heute ist, dass die Wähler keine Rache nehmen und eine Verbindung vom Scheitern des Neoliberalismus zur FDP nicht herstellen. Die Partei steht bei Umfragen und Wahlen erstaunlich gut da. Die alte Raffinesse bei der Regierungsbildung hat die FDP freilich verloren: Sie hat sich auf den Partner CDU/CSU fixiert. Die Grünen machen der FDP gerade vor, wie man sich neue Beweglichkeit verschafft.

Zu den historisch bedeutenden innerparteilichen Kraftakten gehört es, dass Unterwanderung der Partei von rechts außen verhindert wurde: In den frühen fünfziger Jahren wollten alte Nationalsozialisten die Partei an sich reißen - zuvor schon hatte die FDP im Bundestag gegen die Entnazifizierungsgesetze gestimmt. Und bis hinein in die neunziger Jahre gab es Versuche von Nationalliberalen, den Kurs der Partei scharf nach rechts zu korrigeren. Der letzte Anlauf, der von Alexander von Stahl, scheiterte 1998.

"Noch eine Chance für die Liberalen"- so hat Karl Hermann Flach 1971 seine berühmte Streitschrift für die FDP genannt. Die Jubiläumsaufgabe für die FDP besteht im Nachdenken darüber, wie man sich gute Chancen in einem Fünfparteienland bewahrt.

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