25 Jahre Deutsche Einheit:Schwarz - Rot - Blattgold

Die Deutschen feiern ein großartiges Jubiläum: Vor einem Vierteljahrhundert wurde die Einheit besiegelt. Aber wieso sind die Bürger in Ost und West so verdrossen?

Von Heribert Prantl

Vor 25 Jahren begann das größte bürokratische Experiment der Weltgeschichte. Nach achtwöchigen Verhandlungen war die Versuchsanordnung fertig. Auf fast tausend Seiten (im Bundesgesetzglatt waren es dann 356) wurde beschrieben, wie das Experiment abzulaufen habe. Die Laborleiter und Verhandlungsführer, Wolfgang Schäuble, Innenminister der Bundesrepublik, und Günther Krause, Parlamentarischer Staatssekretär beim DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière, unterschrieben am 31. August 1990 im Berliner Kronprinzenpalais den "Vertrag über die Herstellung der Einheit Deutschlands".

Noch nie zuvor war ein Staat so geordnet und penibel aufgelöst worden wie in diesem Vertrag die DDR. Der Vertrag war eine Glanzleistung der Bürokratie, ein Wunderwerk an Effizienz. Er regelte das Schicksal der Nationalen Volksarmee der DDR genauso wie das der DDR-Verordnung über unterirdische Hohlräume. Beide hatten nicht mehr lang Bestand. Im Osten blieb kein Stein auf dem anderen.

Außer der Uhr- und Jahreszeit änderte sich im Osten fast alles; im Westen fast nichts

18 Jahre vor dem Einigungsvertrag war an selber Stelle, im Kronprinzenpalais Unter den Linden, der Grundlagenvertrag zwischen der DDR und der BRD unterzeichnet worden. Wer die Metaphorik liebt, kann die deutsche Spaltungsgeschichte, den Nachkriegsweg der Bundesrepublik anhand der deutschen Farben beschreiben: Schwarz-Rot-Gold. Dem Schwarz der CDU-Adenauer-Zeit mit der Westbindung Westdeutschlands folgte das SPD-Brandt-Rot mit der neuen Ostpolitik; dann kommt das Gold der Wiedervereinigung. Ist es Blattgold? Wie golden die Blätter des Einigungsvertrags sind, darüber wird gestritten. Für die Ostdeutschen änderte sich damit, so zitiert der Publizist Peter Bender in seinem Buch über "Deutschlands Wiederkehr" eine Thüringerin, "alles außer der Uhrzeit und der Jahreszeit". Für Westdeutsche änderte sich zunächst außer den Postleitzahlen nichts.

Der heutige Bundesinnenminister Thomas de Maizière, der in der DDR-Verhandlungskommission seines Cousins, des DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière, arbeitete (er war vom Bundeskanzleramt dahin abgeordnet), erinnerte sich vor ein paar Jahren an die Veränderungsbereitschaft West wie folgt: Sie "war null". Der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble begründete dies damals so: Es handele sich ja um den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik, "nicht um die umgekehrte Veranstaltung". Die Einheit, so wie im Einigungsvertrag konzipiert, war die Erweiterung Westdeutschlands, nicht die Vereinigung zweier gleichwertiger Staaten. DDR-Verhandlungsführer Krause war nicht gram deswegen: "Wir waren", sagt er unter Hinweis auf das Ergebnis der DDR-Volkskammerwahlen vom März 199o, "gewählt worden, um die DDR abzuschaffen und den Beitritt zur Bundesrepublik zu organisieren."

Zwei Optionen hielt das Grundgesetz bereit, um die Einheit ins Werk zu setzen: den Beitritt der ostdeutschen Bundesländer nach Artikel 23 - und die Neukonstituierung Deutschlands durch eine neue Verfassung gemäß Artikel 146. Die Befürworter einer neuen Verfassung hatten einen schönen Slogan ("Kein Anschluss unter dieser Nummer", gemeint war Artikel 23), aber nicht die Mehrheit. Kohl & Co. lehnten es vehement ab, die langwierigere Option zur Einheit zu wählen, also eine neue, gemeinsame Verfassung zu schreiben. Die DDR-Bürgerrechtler, die Grünen und ein Teil der Sozialdemokraten im Westen hatten sich diese Möglichkeit gewünscht. Aber da führte nach dem Willen von Kohl kein Weg hin; auch wenn die neue Verfassung wohl zu neunzig Prozent dem Grundgesetz entsprochen hätte.

Die deutsche Einheit wäre eine wunderbare Gelegenheit gewesen, das Grundgesetz zu reformieren. Sie verstrich; genutzt wurde nicht einmal die kleine Chance, die der Einigungsvertrag offenließ. Dort findet sich, in Artikel 5, der Auftrag, sich "mit den im Zusammenhang mit der deutschen Einheit aufgeworfenen Fragen zur Änderung oder Ergänzung des Grundgesetzes zu befassen". Von diesem Auftrag blieb fast nichts übrig. Gewiss: Ein "Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen" wurde festgeschrieben; die Förderung der Gleichberechtigung neu verankert. Und weiter? Nichts weiter. Keine Bürgerbeteiligung, keine Volksbegehren, keine Volksentscheide, keine Plebiszite. Das Grundgesetz blieb mehr oder minder so, wie es war: Die Verfassungskommission von 1992/93 war, weil die CDU/CSU das nicht wollte, kein Marktplatz für ostdeutsche Erfahrungen, kein Forum für gesellschaftliche Selbstvergewisserung. An die 300 000 Eingaben, die plebiszitäre Elemente forderten, blieben ohne Echo.

Was wäre geworden, wenn? Was wäre heute, wenn das Plebiszit ins Grundgesetz geschrieben worden wäre? Diese Frage nach der hypothetischen Kausalität ist ein beliebtes Spiel. Wenn mit der Einheit das Plebiszit ins Grundgesetz gekommen wäre: Vielleicht wäre längst positiv über Europa abgestimmt worden. Vielleicht wären gute, klärende Diskussionen vorausgegangen. Vielleicht hätte sich die allgemeine Unzufriedenheit mit dem politischen Betrieb und Personal nicht so krass entwickelt. Diese Unzufriedenheit reicht heute bis weit in die Mitte der Gesellschaft.

In die neue Präambel des Grundgesetzes schrieb der Einigungsvertrag eine Schwindelei. Dort steht nämlich seit 1990, dass nun "die Einheit Deutschlands vollendet" sei. Vollendet? Das ist übertrieben. Es begann im Osten bald nach dem Vollzug der Einheit die posteuphorische Phase der Depression; Deindustrialisierung und Privatisierung führten zu hoher Arbeitslosigkeit. Das ist wohl ein Grund dafür, warum die Zufriedenheit mit der real existierenden Demokratie in Osten nach wie vor niedriger ist als im Westen.

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