Jahn folgt auf Birthler:"Wir wurden zu Staatsfeinden erzogen"

In der DDR-Amtssprache hieß so einer "Zersetzer": Der Bürgerrechtler Roland Jahn wird Herr über die Stasi-Akten. Der Bundestag wählte den parteilosen Journalisten mit absoluter Mehrheit.

C. von Bullion

Es ist so gar nichts Ätzendes an dem Mann, und wenn man ihn mit einer chemischen Substanz vergleichen wollte, wäre es keine Säure, sondern so was wie Juckpulver. Erst lachen die Leute, dann werden sie nervös, und schließlich gehen sie sich selbst an den Kragen.

Ausstellung 'Friedliche Revolution 1989/90'

Alte Bekannte sind der Liedermacher Wolf Biermann (links) und der künftige Chef der Stasi-Unterlagenbehörde, Roland Jahn, hier bei einer Ausstellung über die friedliche Revolution von 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz. Als Student hatte Jahn gegen die Ausbürgerung Biermanns 1976 protestiert und war dafür exmatrikuliert worden. Sechs Jahre später ereilte Jahn das gleiche Schicksal: Er wurde gegen seinen Willen in den Westen abgeschoben.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Am Mittwoch startet Roland Jahn mal wieder so ein Juckpulverexperiment. Da taucht er in einem Fraktionssaal des Bundestags auf, die Abgeordneten der Linkspartei wollen ihn kennenlernen, Jahn ist 57 Jahre alt, nicht groß, nicht laut. Er hat oft so ein zögerndes Lächeln im Gesicht und einen Blick, der hinter die Dinge zu gucken scheint. Jetzt steht er sozusagen im Feindesland. An diesem Freitag wird der Bundestag Roland Jahn zum Herrn der Stasi-Akten bestellen, im März wird er Marianne Birthler beerben, und wenn er zwei Amtszeiten übersteht, wird er derjenige sein, der in der Behörde das Licht ausmacht, als letzter.

Das ist kein einfacher Job für einen, der Journalist ist und als Unbeugsamer unter den DDR-Bürgerrechtlern gilt. Weil er als Revolutionär über Monate ins Gefängnis gesteckt und mit Gewalt außer Landes gezerrt wurde, weil er vom Westen aus weitergemacht und Bilder aus der DDR geschmuggelt hat, die zum Ende des SED-Staats beitrugen. "Zersetzer" hieß so einer in der Amtssprache der DDR, und Roland Jahn hat das nicht vergessen, aber wie gesagt: Er revanchiert sich auf seine Weise.

Im Bundestag, als er sich der Linkspartei vorstellt, erzählt Jahn, dass er sich nicht als Stasi-Jäger sieht, sondern einen "differenzierten Blick auf DDR-Biographien" wünscht. Wohlwollen im Saal, der Mann kommt hier an, das werden hinterher etliche erzählen. Leider sagt Roland Jahn auch, dass die Linke als "Nachfolgepartei der SED" eine besondere "Verantwortung" für die Aufarbeitung trage. Eine Prise Juckpulver ist das sozusagen, schon bricht Unruhe aus. Die Nachfolgepartei der SED sei man ja wohl nicht, moniert der West-Abgeordnete Ulrich Maurer. Na ja, widerspricht der Ost-Abgeordnete Stefan Liebich, die Partei habe sich als SED-Nachfolger gegründet, also trage sie auch Verantwortung.

"Die haben angefangen, sich zu streiten", wird Jahn vergnügt erzählen, als er am Tag danach in einem Kaffeehaus in Prenzlauer Berg sitzt. Er wohnt in der Nähe, ist jetzt Fernsehjournalist und einer in Parka und Rollkragepulli, der sich nur zögernd einem Gespräch öffnet. Roland Jahn will nicht so tun, als sei er schon im Amt. "Ich habe Respekt vor der Arbeit von Marianne Birthler, deshalb werde ich nicht den Nebenbeauftragten spielen", sagt er als erstes.

Was will er verändern in der Behörde? Wie will er die Akten für Stasi-Opfer offen halten, auch wenn sie ins Bundesarchiv wandern? 30 Jahre nach Gründung der Behörde soll das passieren, also womöglich in Jahns zweiter Amtszeit. Kopfschütteln, er sagt dazu nichts, verrät nur eines: Dass er den Leuten Mut machen will, über ihre DDR-Biographien zu sprechen, in denen es ja nicht nur das Gute gab und das Böse, sondern vor allem das Dazwischen. "Wie Diktatur funktioniert, wie Anpassung funktioniert, wie Angst funktioniert, das ist mein Anliegen", sagt er. "Ich habe selbst als Rädchen in der Diktatur funktioniert."

Roland Jahn, ein Rädchen in der Diktatur? Das ist eine bescheidene Beschreibung eines Lebens, für das kaum einer den Mut aufbrachte, damals. Auch Jahns Eltern tun es nicht, sie leben in Jena, halten Distanz zum System, aber raten ihrem Sohn: "Halt mal lieber den Mund." Der Vater hat mit 17 ein Bein verloren und ist sozusagen ein lebendes Mahnmal gegen den Totalitarismus. "Die Auswirkung des Weltkriegs war jeden Tag am Abendbrottisch zu besichtigen", sagt Roland Jahn, der früh in diese "Zwickmühle" geraten ist, wie er es nennt. Er muckt auf, einerseits, und fürchtet andererseits, den Vater, der sich zum Ingenieur hochgeschuftet hat, um die Existenz zu bringen.

Überhaupt bleibt vieles ein Kompromiss, findet Jahn, der zur FDJ und auf die Uni geht, weil er nicht abseits stehen will, und zur Bereitschaftspolizei, weil er muss. Aber er bringt eben auch die Courage auf, sich im Ministerium zu beschweren, als Langhaarige schikaniert werden. Es hilft, "das war ein Riesenerlebnis". Dass man etwas verändern kann, gemeinsam, ist sein Motto geworden, die Obrigkeit, sagt er, hat den Rest besorgt. "Wir wurden zu Staatsfeinden erzogen."

Bei Partys gibt es Polizeiprügel, wer sich beschwert, landet in Haft. Also wächst die Wut, Jahn rasiert sich einen Bart, der halb Hitler- halb Stalinbärtchen ist. Oder schaltet eine Anzeige für einen Freund, der in Stasi-Haft umgekommen ist. Als sie ihn einsperren, sechs Monate, denkt er, "denen zeig ich's". Manchmal. "Manchmal gibt es Tage, da brichst du zusammen und heulst, und fragst dich: Ist es das wert?" 1983 fangen sie ihn, legen ihn in Ketten, er schreit, wird in einen Zug gezerrt und nach Bayern entsorgt. Ein Schock ist das, den letzten Blick ins Saaletal vergisst er nie. "Es war, als ob man ertrinkt. Dieses Gefühl, jetzt läuft die Heimat weg."

Er bleibt seiner Heimat dann doch erhalten, schmuggelt eine Kamera in die DDR, Freunde drehen da den Zerfall, den Dreck, die Demos, und schleusen die Bilder raus in die Welt. Roland Jahn ist ins Erzählen gekommen. Er kann das gut. Und er wird nicht damit aufhören.

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