Jacob Hacker ist Professor für Politikwissenschaft an der Elite-Universität Yale in New Haven. Der 1971 geborene Amerikaner meldet sich in zahlreichen Medien als kluger Kommentator des Zeitgeschehens zu Wort. In seinem hochgelobten, 2010 mit Paul Pierson veröffentlichten Buch "Winner-Takes-All-Politics", belegt Hacker mit vielen Daten, dass die Politiker in Washington einen großen Anteil daran haben, dass die Einkommen in den USA in den vergangenen dreißig Jahren von unten nach oben verteilt wurden. Mit mehreren Kollegen erstellt Hacker den Economic Security Index: Dieser zeigt wie sich die Verteilung von Einkommen in den USA in den letzten 25 Jahren verändert hat.
SZ.de: Professor Hacker, im Präsidentschaftswahlkampf haben Barack Obama und Mitt Romney stets die Chance vom Aufstieg durch Fleiß und Talent beschworen. Wie geht es dem American Dream?
Jacob Hacker: Ich fürchte, dass die Menschen seit einer Generation das Gefühl haben, dass diese Idee verloren geht. Der Begriff definierte in den 1930ern Amerika als Land, in dem das Leben für jeden besser, reicher und vollwertiger sei. Vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis in die 70er Jahre gab es diesen Gesellschaftsvertrag: Wenn du hart arbeitest und für deine Familie sorgst, wirst du ein gutes Leben in der Mittelschicht führen, in dem dich dein Arbeitgeber absichert. Deinen Kindern wird es besser gehen als dir, wenn du in ihre Bildung investiert und sie fleißig lernen.
Davon ist heutzutage nicht mehr viel zu spüren.
Nein. Die Mittelklasse muss seit etwa 15 Jahren miterleben, dass ihre Löhne stagnieren, während die Kosten für Wohnraum und Hochschulbildung dramatisch steigen. Immer mehr Amerikaner geben in Umfragen an, dass sich das Land in die falsche Richtung bewegt. Seit einem Jahrzehnt belegen Studien, dass die soziale Ungleichheit in den USA rascher wächst als in anderswo und hierzulande nur eine sehr kleine Schicht vom Wachstum profitiert. Bestürzend finde ich Daten der OECD, wonach die Chancen für junge Amerikaner, ein erfolgreicheres Leben als ihre Eltern zu führen, deutlich geringer sind als in Westeuropa.
Was schockiert Sie daran?
In den USA waren die Leute stets eher bereit als in Europa, Ungleichheit zu akzeptieren, doch dies basierte auf der Überzeugung, dass Amerika auch mehr Chancen biete. Und immer mehr Bürger fürchten, dass die Schere zwischen Arm und Reich weiter aufgeht und sich die wirtschaftliche Ungleichheit auch auf die Politik überträgt. Wenn Demoskopen fragen, ob normale Amerikaner in der Politik Gehör finden, dann verneint dies eine Mehrheit. Zugleich fühlen sie, dass Banken, Großunternehmen und andere finanzkräftige Interessengruppen sehr großen Einfluss haben.
Sie argumentieren in ihrem Buch, das Sie mit Paul Pierson geschrieben haben, dass die Politik in Washington mitverantwortlich für die Ungleichheit ist.
In den Siebzigern begannen Amerikas Konzerne, in Lobbyarbeit zu investieren. Sie haben eigene Denkfabriken aufgebaut, um das öffentliche Meinungsklima zu verändern. Sie waren so erfolgreich, dass Republikaner wie Demokraten gleichermaßen Deregulierung und Steuersenkungen unterstützen. Heute gibt es in Washington ein riesiges Ungleichgewicht zwischen jenen Gruppen, die sich mit hohen Summen Gehör verschaffen können und jenen, denen das Geld fehlt.
Aber die Politiker müssten doch auf die Interessen der Mittelklasse achten. Multimillionäre haben auch nur eine Stimme bei der Wahl - und für Mehrheiten braucht es die breite Masse.
Natürlich ist das Stimmrecht die am gerechtesten verteilte Einflussmöglichkeit. Doch um Wähler zu organisieren, braucht es Geld - und das ist immer ungleicher verteilt. In Amerika fließen enorme Summen in den Lobbyismus, es gibt eine regelrechte Einflussindustrie aus Beratern und Juristen. Anfang der Neunziger wurden 300 Millionen Dollar für Lobbyismus ausgegeben. 2009 waren es drei bis vier Milliarden Dollar. Dabei erfassen die offiziellen Zahlen nicht, was Milliardäre wie die Koch-Brüder investieren, um Kandidaten zu unterstützen, die ihre konservativen Werte teilen.
Auch die Wahlkämpfe werden immer teuer: 2012 haben sowohl Obama als auch Romney mehr als eine Milliarde eingeworben und dann wieder ausgegeben.
Unsere Politiker verbringen zu viel Zeit damit, Gelder für ihre Wiederwahl einzusammeln. Dies bietet Lobbyisten genug Möglichkeiten, für die Anliegen ihrer Klientel zu werben. Ein wichtiger Faktor dafür ist das Drehtür-Phänomen: Viele Abgeordnete, deren Mitarbeiter sowie Regierungsbeamte heuern nach ihrer Abwahl oder nach einigen Jahren bei den Lobbyfirmen an. Davon profitieren beide: Die Firmen erhalten die Expertise sowie das persönliche Netzwerk der Politiker, während diese einen gut dotierten Job bekommen. General Electric leistet sich einen Stall an Ex-Regierungsmitarbeitern, die ihnen bei ihrer Steuerstrategie hilft - und zahlt deshalb zum Beispiel keine Einkommensteuer in Amerika.