Süddeutsche Zeitung

Italiens Regierung unter Druck:Bäumchen-Wechsel-Dich um Berlusconi

Italien steht künftig unter Aufsicht des IWF. EU-Kommissionspräsident Barroso sagt, das Land habe es so gewollt, Berlusconi flüchtet sich in vage Formulierungen. Bevor die Kontrolleure kommen, steht dem Premier mal wieder eine Vertrauensabstimmung bevor. Die absolute Mehrheit fehlt ihm - zurzeit.

Andrea Bachstein

Hat er oder hat er nicht? - das war die Frage in Italien. Hat Ministerpräsident Silvio Berlusconi in Cannes darum gebeten, dass der Internationale Währungsfonds (IWF) sein Land unter besondere Beobachtung stellt? Zunächst gab es darauf sehr unterschiedliche Antworten.

Römische Regierungskreise dementierten, dass es überhaupt so eine Aufsicht geben wird, allenfalls gehe es um "Ratschläge" der Währungshüter. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso sagte hingegen, Italien habe selbst angefragt: Nicht nur die EU, sondern auch der IWF soll überwachen, ob Rom die Sparprogramme auch umsetzt.

Möglicherweise wollte Barroso dem Italiener einfach die Möglichkeit geben, sein Gesicht zu wahren. Berlusconi erging sich dann in Wortklauberei. Es sei keine "Überwachung" durch den IWF, sondern es gehe um die "Bescheinigung" für die ergriffenen Maßnahmen. Die Souveränität des Landes sei nicht berührt. Einen vom IWF angebotenen Kredit - die Rede ist von 44 Milliarden Euro - habe er jedenfalls als unnötig zurückgewiesen.

Seine Regierung steht nun also unter doppelter Beobachtung, ein blamables Zeugnis für sie. Dass die EU Italien schon seit Wochen quasi unter Aufsicht gestellt hat, ist dort mit Sorge zur Kenntnis genommen worden - und wird auch ein wenig als eine Demütigung empfunden.

Andererseits sind auch viele dankbar. Die EU ist nicht erst jetzt letzte Hoffnung vieler Italiener, vor allem jüngerer Menschen. Sie wünschen sich Druck aus Europa auf ihre unfähige Regierung in Rom - den entscheidenden Druck, der sie endlich von Berlusconi befreien möge. Denn dass er zumindest genauso wie die Staatsschulden Ursache des Misstrauens gegenüber Italien ist, daran zweifeln nicht einmal Regierungsmitglieder.

Dass nun auch noch viermal im Jahr der IWF prüft, wie es vorangeht - statt wie routinemäßig einmal - scheint niemanden besonders aufzuregen. Für die Bürger hat das keine konkrete Bedeutung. Und um zu beurteilen, was die Politik anrichtet, brauchen sie keine IWF-Experten.

Stattdessen bewegt sie vielmehr die Frage, ob Berlusconi noch regiert, wenn nächste Woche die Kontrolleure der EU in Italien eintreffen. Die Mehrheit seiner Regierung ist wieder einmal am Wegbröckeln. Und ehe IWF oder EU die Krisenbekämpfung beurteilen können, müssten die Programme erst noch in Vertrauensabstimmungen beschlossen werden.

Zwei Abgeordnete haben am Donnerstag Berlusconis PDL den Rücken gekehrt und sind zur christdemokratischen UDC gewechselt. Jetzt liegt das Regierungslager zwei Stimmen unter der absoluten Mehrheit von 316. Weitere sechs PDL-Abgeordnete sind schon halb auf dem Absprung, und in Kleinparteien, die Berlusconi stützen, bewegt sich auch einiges.

Doch das Bäumchen-wechsel-dich-Spiel ist noch unübersichtlich. Dass es einige sehr bewegliche Abgeordnete im Parlament gibt, konnte Berlusconi schon öfter für sich nutzen. Und die Fraktionswechsel sagen auch nichts über Ja und Nein zu Spargesetzen.

Am Dienstag wird das Bild klarer. Dann steht zum zweiten Mal die Annahme des Rechenschaftsberichts von 2010 an. Im ersten Versuch ist er durchgefallen, und Berlusconi konnte sich nur durch eine Vertrauensfrage retten. Die politische Szene wappnet sich jedenfalls für alle Fälle. Staatspräsident Giorgio Napolitano sondiert seit Tagen bei allen Parteien die Lage: Gibt es noch eine Mehrheit mit Berlusconi, oder Chancen, eine neue Mehrheit zu bilden - mit oder ohne Berlusconi?

Eine Übergangsregierung aus Experten, an der Spitze der frühere EU-Kommissar Mario Monti, gehört genauso zu den Optionen wie eine kleine Lösung - Kabinettsminister Gianni Letta löst den Premier ab, und im Frühjahr wird vielleicht gewählt.

Silvio Berlusconi hat in Cannes sein bestes Pokerface aufgesetzt und gesagt, seine Mehrheit stehe. "Die kommen schon wieder zurück", meinte er über die Abtrünnigen. Alles andere wäre Verrat an Italien. Und während andere seinen Countdown schon in Tagen zählen, sagte er: "Ich habe nicht den Eindruck, dass meine Regierungszeit vor dem Ende steht." Außerdem sei er unersetzlich.

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SZ vom 05.11.2011/str
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