Italiens Mitte-links-Kandidat Bersani:Der Anti-Populist

Supporters attend as Italy's Democratic Party leader Bersani waves a flag during his political rally in downtown Naples

Auf ihn hoffen alle Berlusconi-Gegner: Pierluigi Bersani von der Demokratischen Partei Italiens.

(Foto: REUTERS)

Ganz Europa schaut gebannt nach Rom: 50 Millionen Italiener sind zur Wahl gerufen. Die besten Aussichten hat der Mitte-links-Kandidat Pierluigi Bersani. Geduldig, hartnäckig und uneitel hat er den Italienern klargemacht, dass er Mario Montis Sanierungskurs weitergehen will - wenn auch mit sozialen Korrekturen.

Von Andrea Bachstein, Rom

Pierluigi Bersani hat sich während des gesamten Wahlkampfs Mühe gegeben, in seinen Reden nicht zu dick aufzutragen. Es war ja auch eine Tour durch Hallen und Fernsehstudios, weil Italien erstmals im Winter wählt.

Aber jetzt, im Endspurt, ist der Chef der italienischen Sozialdemokraten doch noch einmal auf einen großen Platz gegangen, auf die Piazza Plebiscito mit ihrer Kolonnadenkulisse in Neapel, und er spricht große Worte. "Das ist eine Wahl von historischer Bedeutung", ruft er der Menge am Donnerstagabend zu, "alles entscheidet sich jetzt." Nicht nur, ob 20 Jahre Berlusconismus endlich "archiviert" würden, sondern auch, ob der Einzug von Beppe Grillos Protestbewegung ins Parlament die Demokratie in Italien gefährde. "Das Europa der Progressiven erwartet, dass wir gewinnen", beschwört Bersani seine Zuhörer.

Von allen Kandidaten, über die Italiens Wähler am Sonntag und Montag abstimmen werden, hat Bersani die besten Aussichten, das Amt des Premierministers zu erobern. Neue und alte Parteien, Politiker und Politik-Kulturen konkurrieren diesmal, und der Spitzenkandidat des Mitte-links-Bündnisses ist einer, in dessen Person sich einiges davon vereint.

Bersani stammt aus der nun so viel geschmähten, alten politischen Klasse, die in den vergangenen Jahrzehnten fast nichts vorangebracht hat. Vor 20 Jahren war der jetzt 61-Jährige schon Präsident seiner Heimatregion Emilia-Romagna, zwischen 1999 und 2006 hatte er mehrmals Ministerämter inne. Jetzt tritt er an als Mann des Fortschritts, der die Politik und die Gesellschaft, die Wirtschaft und überhaupt alles reformieren und modernisieren will.

Verschlungener Weg vom Kommunismus zur Sozialdemokratie

Bersani hat den scheidenden Premier Mario Monti bei dessen Reformen im Parlament unterstützt, auch wenn ihm nicht alle Maßnahmen gefallen haben und die Anhänger der PD protestierten. Aus Verantwortung für Italien habe er das getan, sagt Bersani an diesem Abend in Neapel, wie er es schon oft vorher gesagt hat. Bersani handelte damals nicht zum kurzfristigen eigenen Vorteil; so ein Verhalten ist für die "alte" Politik in Italien nicht gerade typisch.

Auch Bersani ist einen großen Teil des verschlungenen Weges gegangen, den die gesamte italienische Linke vom Kommunismus zur Sozialdemokratie zurücklegte. Als er 2009 Vorsitzender der Partito Democratico (PD) wurde, hatte die Partei in ihren ersten beiden Lebensjahren schon zwei andere Chefs verschlissen. Und noch immer konkurrieren in der PD diverse Strömungen, aber Pierluigi Bersani hat es geschafft, sie zu stabilisieren.

Die PD ist jetzt die einzige Partei in Italien, die organisatorisch und programmatisch den Parteien gleicht, wie man sie in Deutschland kennt. Dass sie ihre Kandidaten in Urwahlen bestimmt hat, gehört zum neuen Geist, den Bersani verkörpert. Das hat ihm und der PD viele Sympathien eingebracht, weil die Kandidatenauswahl transparenter und demokratischer wurde als vom Wahlrecht vorgesehen. Doch bis er im Stichentscheid bei den für alle Bürger offenen Vorwahlen Spitzenkandidat wurde, musste Bersani einige Nehmerqualitäten zeigen.

Viele hielten ihm vor, dass er nicht seinem Konkurrenten Matteo Renzi den Vortritt ließ, dem aufmüpfigen, jungen Bürgermeister von Florenz. Ob das ein Fehler war, kann niemand beantworten. Demoskopen fanden heraus, dass Renzi attraktiver gewesen wäre für enttäuschte Berlusconi-Wähler; doch Bersani überzeugt dafür eingefleischte Sozialdemokraten mehr.

Er will keinen Personen-Kult wie ihn Berlusconi pflegt

Jahrelang hatte Pierlugi Bersani aus den eigenen Reihen hören müssen, er sei zu wenig charismatisch, profiliert und angriffslustig. Er habe es als Oppositionsführer dem Premier Silvio Berlusconi zu leicht gemacht. Und tatsächlich ist er keiner, der spontan Menschen begeistern kann. Doch Bersani entwickelte aus den Eigenschaften, die andere für Schwächen hielten, seine Stärken: Geduldig, hartnäckig und uneitel agiert er. Wenn er ohne Krawatte und hemdsärmelig auftritt, wirkt das nicht wie falsche Volkstümlichkeit. Der Mann, der gerne rustikale Toscano-Zigarren raucht, hat nach so vielen Jahren als Berufspolitiker kein Problem, auf der Straße mit jedermann zu reden.

Der Bersani, den man vor Zehntausenden am Rednerpult bei großen Demonstrationen erlebte, ist kein anderer als der, den man vor Leuten in weißen und grünen Kitteln sehen konnte bei einer kleineren Wahlkampfveranstaltung in einem Hörsaal des römischen Krankenhauses San Camillo Forlanini. Er will keinen Personenkult, wie ihn Berlusconi pflegt. Die Partei soll auf Programm und Mannschaft setzen, nicht auf den großen Vorsitzenden - Bersani betont das wie ein Mantra.

Kritiker halten die Bündnis-Zusage an die linke Ökopartei für einen Fehler

Pierluigi Bersani hat den Italienern gesagt, dass die Zeiten noch eine Weile schwierig bleiben, dass er den mit Europa vereinbarten Sanierungskurs weitergehen will - wenn auch mit sozialen Korrekturen. Zuverlässig und glaubwürdig aufzutreten, darauf ist es ihm angekommen. Und das ist ein Signal durchaus auch an das Ausland, das so besorgt auf Italien blickt. Für Bersani - und da liegt er trotz einiger Meinungsverschiedenheiten, auf der Linie von Mario Monti - soll diese Wahl das Ende des Populismus in Italien markieren. Bersani hat den Rivalen Berlusconi im Wahlkampf zu ignorieren versucht, aber "Märchenerzähler" hat er ihn doch genannt. Und das will er selbst auf gar keinen Fall sein.

Bersani verweigert schöne Versprechungen, und dafür lobt ihn Nichi Vendola. Der Regionspräsident von Apulien ist Vorsitzender der linken Ökopartei SEL, Bündnispartner der PD, und hatte sich in den Vorwahlen selbst als Spitzenkandidat des Mitte-links-Lagers beworben. "Bersani hat die Sprache der Wahrheit und der Ernsthaftigkeit gewählt", beschreibt Vendola jetzt den Stil Bersanis. Bis zum Schluss hat er ihn durchgehalten.

So wie die Bündnisvereinbarung mit Vendola. Die halten nämlich einige Kritiker auch für einen Fehler. Vendola, bekennend homosexuell, sei zu weit links angesiedelt, vergraule bürgerliche Wähler für die PD, lautet der Vorwurf. Dafür, so die Gegenrechnung, hole er die Stimmen derer, denen die PD nicht mehr links genug ist. Ob Bersani recht behält, wird man erst am Montagabend wissen. Aber er könnte dann wegen Vendola nochmals in ein Dilemma geraten: falls die PD Mario Monti als Koalitionspartner brauchen sollte. Der Wirtschaftsprofessor hält nämlich nichts von Vendolas Vorstellungen.

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