Italien:Berlusconis Lotterleben im gelähmten Land

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"Unmoral und Würdelosigkeit": Mit seinen Ausschweifungen verärgert Premier Berlusconi die Kirche wie die eigene Partei und riskiert den Bruch der Regierungskoalition.

Andrea Bachstein, Rom

Die "Rubygate"-Affäre um Silvio Berlusconis Kontakte zu einer Minderjährigen und die Konflikte innerhalb des Regierungslagers setzen Italiens Ministerpräsidenten weiter unter Druck. Damit gehen Spekulationen einher, dass eine Übergangsregierung mit einem anderen Premier gebildet werden könnte. Gemutmaßt wird in diesem Zusammenhang, dass die von der Berlusconi-Partei PDL abgespaltenen Parlamentsgruppen Fli am Wochenende endgültig den Bruch vollziehen werden.

"Das Land ist von Lähmung erfasst, und die Regierung unternimmt nichts": Die Kritik an Berlusconi wird lauter. (Foto: REUTERS)

Die Indignation über den Lebensstil des Regierungschefs wächst italienischen Medien zufolge sowohl unter Amtsträgern wie an der Basis seiner Partei PDL. So haben Politiker, Kirchenvertreter und der Unternehmer-Verband das Verhalten des Premiers direkt und indirekt kritisiert. Der 74-jährige Berlusconi selbst sagte zum Thema am Dienstag bei der Eröffnung einer Messe in Mailand: "Besser eine Leidenschaft für schöne junge Mädchen, als schwul zu sein."

Bereits beim EU-Gipfel in Brüssel hatte er geäußert, er werde seine Lebensart nicht ändern, als er auf "Rubygate" angesprochen wurde. Im Zentrum der Affäre steht die Frage, ob Berlusconi wegen einer 17-jährigen Marokkanerin, die den Spitznamen Ruby Rubacuore benutzt hatte, sein Amt missbraucht hat. Die Staatsanwaltschaft in Mailand ist dabei zu klären, ob der Premier im Mai Polizisten gedrängt hat, Vorschriften zu umgehen. Er hatte erwirkt, dass die minderjährige Ruby aus dem Gewahrsam von Polizei und Jugendbehörden entlassen wurde. Berlusconi bestreitet nicht, dass er telefonisch beim Polizeipräsidium in Mailand zugunsten des Mädchens interveniert hat. Druck auf die Beamten will er jedoch nicht ausgeübt haben.

Die wegen Diebstahls festgenommene Heimausreißerin hatte im Frühjahr an Abendgesellschaften in Berlusconis Villa in Arcore teilgenommen - gegen Bezahlung. Deshalb wird gegen zwei Freunde des Premiers wegen Förderung von Prostitution ermittelt. Berlusconi müsse zurücktreten, sollten sich die Vorwürfe wegen Amtsmissbrauchs bestätigen, verlangt Gianfranco Fini, der Premier beschädige das Ansehen Italiens. Abgeordnetenpräsident Fini ist Führungsfigur der Fli-Fraktionen im Parlament, ohne deren Stimmen die Regierungskoalition keine Mehrheit hat. Fini sagte, nur wenn sich der Premier den wirklichen Problemen Italiens widme, werde Fli ihn weiter stützen. Die Fraktionschefs der PDL in Senat und Abgeordnetenkammer antworteten Fini, er müsse sich entscheiden: Entweder er unterstütze die Regierung, oder er müsse die Verantwortung für eine Regierungskrise tragen.

"Das Land ist von Lähmung erfasst"

Die weitere Verschärfung der Spannung im Regierungslager kommt, während die Koalition um ein Immunitätsgesetz streitet. Einigen Punkten des Entwurfs will Fli nicht zustimmen. Berlusconi braucht das Gesetz, weil die jetzige Regelung voraussichtlich im Dezember ungültig wird.

Unter Anspielung auch auf Rubygate hat der Unternehmerverband Confindustria in den vergangenen Tagen Berlusconi kritisiert. "Das Land ist von Lähmung erfasst, und die Regierung unternimmt nichts", sagte Confindustria- Präsidentin Emma Marcegaglia bei einer Verbandskonferenz. Die Politik müsse den Sinn für die Würde der Institutionen wiederfinden.

Ähnlich äußerten sich Exponenten der katholischen Kirche. Der Mailänder Erzbischof, Kardinal Dionigi Tettamanzi, sprach am Sonntag von "vielen Formen der Unmoral und Würdelosigkeit". Zudem kritisierte der angesehene Theologe und Erzbischof von Chieti, Bruno Forte, "absolut negative Beispiele" der Politiker. Nach Bekanntwerden von "Rubygate" wurde die Zeitung der Bischofskonferenz noch expliziter: "Persönliche Mäßigung" sowie "anstandsvoller Respekt, vor dem, was er repräsentiert", schrieb L'Avvenire, seien die "Minimalanforderungen an einen Premier". Unterdessen sind in den Medien neue Zeugenaussagen bekannt geworden über private Feste Berlusconis, bei denen Drogen und Prostituierte im Spiel gewesen sein sollen.

© SZ vom 03.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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