Eher nebenbei erwähnt Hans Woller in seiner jüngst erschienenen Mussolini-Biografie die Parallele zwischen der Radikalität des populären Nationalisten Giuseppe Garibaldi ("Rom oder der Tod") und dem unbedingten Eroberungswillen des "ersten Faschisten" Benito Mussolini.
Aber unterschwellig zieht sich der Hinweis auf diese Parallele wie ein roter Faden durch dieses Buch, das weit mehr ist als eine Biografie des "Duce" und Erfinders der totalitären Massendiktatur: nämlich eine luzide Analyse der zentralen ideologischen Innovation, die der Faschismus nun einmal war - oder sollte man nicht besser sagen: ist?
Denn was den Faschismus ausmacht - dieses Gemisch aus Allmachts- und Gewaltfantasien, nationaler Selbstüberschätzung, universalem Heilsversprechen und identitärem Rassismus, gepaart mit einer permanenten Inszenierung von Politik als Trommelfeuer auf immer neue Gegner - ist wohl nicht auf die im Frühjahr 1945 zu Ende gehende Epoche beschränkt.
Woller beschreibt Mussolini als Person, in der sich all diese Merkmale des Faschismus fokussieren. Mal gab sich der Duce autoritär-konservativ, mal als radikaler Revolutionär, der keinen Stein auf dem anderen und keinen Menschen so lassen wollte, wie er war.
Mussolini, der Mythomane
Mal gehörte er zu den zögerlich Abwartenden, mal zu den radikalen Umwälzern, aber immer war er ein Taktiker, der Gefahren früher als andere witterte und sich der Gegner, die ihm gefährlich werden konnten, auf brutale Art entledigte - und dies betraf vor allem die, mit denen er die sozialistischen Wurzeln seines Welt- und Menschenbildes einst geteilt hatte.
Vor allem aber war Mussolini ein Mythomane: Sich selbst stilisierte er, im Wissen um die Macht der Bilder und darin seiner Zeit voraus, als virile und omnipotente Persönlichkeit, und in der gleichzeitig drohenden und lockenden Diktion seiner Reden machte er aus Banalitäten weltgeschichtliche Ereignisse.
Ein solches Ereignis war der zum Gründungsmythos der "Bewegung" erhobene Marsch auf Rom im Oktober 1922, mit dem Garibaldis 20. September 1870 wiederauferstehen sollte: Tatsächlich jedoch reiste Mussolini im Nachtzug aus Mailand an, während der Tross seiner Schwarzhemden im Regen der römischen Campagna unschlüssig ausharrte.
Einen Auszug aus der Biografie stellt der Verlag hier zur Verfügung.
Hans Wollers biografische Studie erlaubt nicht nur hier einen nüchternen Blick hinter die Kulissen der faschistischen Liturgie, deren Auftakt nicht erst der sagenumwobene Marsch auf Rom war. Zu Recht weist der Autor darauf hin, dass die Ridikülisierung des Diktators die Zwillingsschwester seiner Dämonisierung ist und ebenso wie Empörung oder Empathie jegliche vertiefte Erkenntnis über diesen unheimlich-banalen Gewaltherrscher verhindert.
Aus deutscher Perspektive ist das mit "Addis Abeba, 5. Mai 1936. Der Imperialist" überschriebene Kapitel besonders erhellend, weil es Mussolini, noch vor jedem Schulterschluss mit Hitler, als grausamen Kolonialherrn in Ostafrika zeigt, der quasi im Schatten zentraleuropäischer Spannungen seinen eigenen schmutzigen Krieg führt und seine Weltmachtträume zu verwirklichen sucht; dass er damit eine unselige Tradition der liberalen Monarchie fortführte, macht den Rassismus gegenüber den Afrikanern und seine Befehle zum Giftgaseinsatz nicht weniger schlimm.
Indem Woller jedes einzelne der Kapitel mit einem Ort, einem Schlüsseldatum und einer Charakterisierung betitelt, zeichnet er eine biografische Parabel, die im Juli 1883 im Geburtsort Predappio ihren Ausgang nimmt und sich über Trient, Reggio Emilia, Rom, München und Berlin nach Menaggio am Comer See erstreckt, wo der eineinhalb Jahre zuvor entmachtete Mussolini am 25. April 1945 in die Hände kommunistischer Partisanen geriet.