Italien:Zwischen Sorge und Sorglosigkeit

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Es ist Sommer in Mailand, und die Italiener genießen ihre Freiheit nach dem Lockdown. (Foto: Luca Ponti/imago/Pacific Press Agency)

Premier Giuseppe Conte will den Ausnahmezustand wegen der Corona-Pandemie bis Ende des Jahres verlängern. Die Politik reagiert irritiert auf diesen Vorstoß.

Von Oliver Meiler, Rom

Sondervollmachten sind immer umstritten, gerade in Demokratien, und so soll es ja auch sein. Selbst in Zeiten einer Pandemie. Dennoch: Als Italiens Premier Giuseppe Conte dieser Tage am Rande eines Auftritts in Venedig sagte, es sei schon vernünftig, dass die Regierung drauf und dran sei, den Ausnahmezustand wegen Corona bis zum Ende des laufenden Jahres zu verlängern, dachte er wohl nicht, dass dieser Satz eine größere Debatte auslösen würde. Er schickte sogar noch nach: "Das überrascht sicher niemanden."

Doch da hat sich Conte getäuscht, zumindest die Politik reagierte irritiert. Nun soll die Entscheidung vom Parlament diskutiert und genehmigt werden, obschon das Gesetz die Verhängung des Ausnahmezustands eigentlich dem Ministerrat vorbehält. Das Plazet der Kammern soll ihr mehr Legitimität verschaffen. Oppositionschef Matteo Salvini von der rechten Lega sagte, die Italiener hätten "Vertrauen und Respekt" verdient. Was er damit genau meinte, war nicht klar.

Niemand denkt ernsthaft, Conte strebe nach autokratischen Sonderbefugnissen. Doch in einer parlamentarischen Republik sind Ausnahmeregelungen, die die Exekutive über die Maßen stärkt, immer ein besonderes Politikum. Conte regiert in der Krise seit einem halben Jahr mit sogenannten DPCM. Das Akronym steht für Decreto del Presidente del Consiglio dei Ministri, also Dekret des Präsidenten des Ministerrats. Die sind nur im Notstand zugelassen und brauchen keine Zustimmung des Parlaments, sie treten sofort in Kraft. Die Einrichtung von Sperrzonen rund um Infektionsherde, Landeverbote für Flüge aus einzelnen Ländern oder die Schließung der Schulen - solche Prozesse gehen im Ausnahmezustand schlank und schnell. Alle Maßnahmen, die am Ende zum fast totalen Lockdown und dem Shutdown der Wirtschaft führten, hatten ihren Ursprung in einem DPCM. Die Italiener finden mehrheitlich, dass ihr Premier das Instrument in der akuten Phase 1 zurecht und mit nachvollziehbarer Konsequenz eingesetzt hat. Nun fragt man sich aber, ob der schnelle Weg - am Parlament vorbei - noch immer notwendig ist, jetzt, da das Land die erste Welle der Pandemie ganz gut unter Kontrolle gebracht hat.

Es kommen in Italien zwar noch immer täglich zwischen 100 und 200 Neuinfektionen dazu, vor allem im Norden des Landes. Da und dort bilden sich auch lokale Ansteckungsherde, zuletzt etwa in Rom, Bologna, im sizilianischen Palmi und im norditalienischen Vicenza. Doch die Behörden reagieren prompt, kreisen die Seuchenherde ein. Auch die Zahl der Todesfälle ist zuletzt stark gesunken, am Samstag zum Beispiel meldete der Zivilschutz sieben weitere Covid-19-Opfer.

Ist also die Ausdehnung des Ausnahmezustands um weitere sechs Monate übertrieben? Es stehen sich zwei Denkschulen gegenüber. Die erste argumentiert, dass die Notlage fürs Erste überwunden sei. Sie hört auf Virologen und Ärzte, die sagen, das Virus habe an Intensität verloren, man sehe das am Zustand der Patienten: Solche mit schweren Symptomen seien viel seltener geworden. Die Intensivstationen vieler Krankenhäuser sind leer, auch die im Ospedale Papa Giovanni XXIII. in Bergamo.

In einem Flugzeug aus Bangladesch mit Ziel Italien saßen 36 infizierte Passagiere

Wer dieser ersten Denkschule anhängt, hält sich vielleicht auch nicht mehr so streng an die Vorschriften. Die italienischen Medien zeigen Bilder von überfüllten Stränden, von heimlich organisierten Partys und Konzerten. Auch die Disziplin beim Maskentragen nimmt etwas ab - zumindest draußen. Das mag auch an der anhaltenden Hochsommerhitze liegen, unter der weite Teile des Landes leiden.

Die zweite Denkschule pocht auf Vorsicht. Auch sie lässt sich von Virologen und Epidemiologen leiten und steht eher auf der Seite der Regierung. Nichts garantiere, dass auf die erste nicht eine zweite Welle im Herbst folge. Außerdem sei die Gefahr groß, dass das Virus durch die Hintertüre wieder nach Italien komme - aus dem Ausland, über Touristen. Oder über ausländische Bewohner, die das Land während der akuten Phase verlassen haben und nun wieder zurückkommen.

Die Rückkehr von Hunderten Bangladeschern mit Charterflügen aus ihrer Heimat etwa löste in den vergangenen Tagen in Rom eine mittlere Aufregung aus: In einer Maschine allein saßen 36 infizierte Passagiere. Bald wurden in der Gemeinde der Bangladescher 77 Positive gezählt, sie leben meistens eng an eng in kleinen Wohnungen. Und da sie hauptsächlich als Köche und Kellner in italienischen Restaurants arbeiten oder kleine Lebensmittelläden betreiben, war die Sorge groß, dass sich der Herd schnell auswächst. Die Regierung reagierte schnell, testete viel und untersagte alle Flüge aus Bangladesch. Von einem Tag auf den anderen, per Notstandsdekret.

© SZ vom 13.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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