Italien:Das Bahnwunder ist vorbei

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Am Bahnhof von Venedig stehen mehrere Schnellzüge. Von Norditalien konnte man bisher sehr zügig in den Süden des Landes reisen. (Foto: BumbleDee/Imago)

Einst gerühmt, jetzt geschmäht: Die italienischen Züge stecken im Bahnchaos. Verkehrsminister Matteo Salvini reagiert hilflos und kämpft ohnehin schon mit vielen Problemen.

Von Marc Beise, Rom

Noch vor einem Jahr waren ausländische Reisende in Italien voll des Lobes, wenn die Rede auf den Zugverkehr kam. Wer deutsche Verhältnisse gewohnt war, freute sich über den Komfort in den Waggons und vor allem die Pünktlichkeit der Fernzüge in Italien. In gut drei Stunden von Mailand nach Rom, in einer Stunde von Rom nach Neapel, Abfahrt alle 20 Minuten: Die Hochgeschwindigkeitszüge Frecciarossa von der staatlichen Trenitalia und der private Konkurrent Italo legten auf einem eigenen Gleissystem besonders in Nord-Süd-Verbindungen eine Performance hin, die allenfalls noch von spanischen Anbietern übertroffen wird.

Dabei übersahen viele, dass das Reisen schon nicht mehr so gut klappt, wenn man von West nach Ost will oder zurück, also von einem Meer zum anderen. Auch der Nahverkehr lässt zu wünschen übrig. Mit dem vergangenen Sommer aber verlor das Bahnwunder zusehends seinen Glanz. Immer wieder machen seither Verspätungen und Zugausfälle Schlagzeilen, und die Gründe dafür sind meist dieselben, die auch die Deutsche Bahn anführt: veraltete Systeme und Wartungs- und Modernisierungsarbeiten an einzelnen Stellen des Bahnnetzes, die Auswirkungen bis in weite Ferne haben.

Die Engpässe im Bahnnetz in Norditalien bleiben bestehen

Derzeit läuft ein großes Investitionsprogramm, die Rede ist von mehr als 1000 Baustellen. Dabei sollen 100 Milliarden Euro bis 2029 verbaut werden, sie stammen aus dem EU-Corona-Wiederaufbaufonds, von dem Italien besonders profitiert. Wobei Bahnexperten monieren, dass diese Gelder teilweise an den falschen Stellen eingesetzt werden. So sei es ehrenwert und politisch wichtig, im strukturschwachen Süden zu investieren, das Geld verdient Italien aber im Norden und da gibt es weiter und noch auf viele Jahre neuralgische Engpässe.

Zusätzlich häufen sich die Pannen. So gab es im Oktober 2024 viel beachtete technische Probleme in zwei Bahnhöfen in Rom, und im Januar kam es in Norditalien nun zu chaotischen Zuständen, zahlreiche Züge mussten gestrichen werden. Grund soll hier ein Schaden an der Oberleitung im Bahnhof Mailand gewesen sein. Auch in dieser Woche fielen wieder viele Züge aus.

Für Hohn und Spott sorgt, dass Trenitalia auf ihrer Website den Kunden an einem Tag sogar geraten hat, gar nicht erst zu reisen. Und auch diese Geschichte wird immer gerne erzählt: dass ein Hochgeschwindigkeitszug für die Passagiere überraschend eine Stunde zu früh abgefahren ist - um pünktlich anzukommen.

Viele kritische Fragen muss er sich nun anhören: Italiens Verkehrsminister Matteo Salvini. (Foto: Alessandro Bremec/IMAGO/NurPhoto)

Natürlich steht angesichts einer solchen Situation der Verkehrsminister im Feuer, zumal wenn er wie in Italien einer der bekanntesten, selbstbewusstesten und krawalligsten Politiker des Landes ist: Matteo Salvini. Er ist als Chef der rechtspopulistischen Partei Lega einer der Architekten der Drei-Parteien-Rechtsregierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Oppositionschefin Elly Schlein vom sozialdemokratischen Partito Democratico nennt Salvini „den schlechtesten Verkehrsminister der Geschichte“, und Fünf-Sterne-Chef und Ex-Ministerpräsident Giuseppe Conte ätzte, dass Salvini sich wohl mehr um Elon Musks Satelliten als um die italienischen Züge kümmere.

Salvini, der die Nähe zu Trump und Musk zelebriert, hatte sich zuvor sofort und uneingeschränkt für einen Deal der Republik Italien mit dem Tech-Milliardär Elon Musk ausgesprochen, dessen Firma Space-X die Kommunikation auch im Militär und Katastrophenschutzbereich betreuen möchte. Das ist umstritten, selbst die bekennende Musk-Freundin Meloni agiert da bisher noch vorsichtig. Angelo Bonelli von den Grünen forderte Meloni auf, „ernsthaft darüber nachzudenken“, Salvini zum Rücktritt zu zwingen. Salvini wird sich im Parlament verteidigen müssen, in dieser Woche war er ungewöhnlich selten zu sehen, bei wichtigen Terminen fehlte er oder ließ sich vertreten.

Schriftlich argumentiert er so, wie man das erwarten konnte. Schuld an dem Desaster seien „jahrzehntelanges Desinteresse an der Bahn und fehlende Investitionen“. Er selbst habe seit seinem Amtsantritt vor zwei Jahren „seine Bemühungen vervielfacht“, eine Trendwende herbeizuführen, „und dies trotz bürokratischer Hindernisse und der zahlreichen Streiks, die von den linken Gewerkschaften ausgerufen wurden“.

Salvini wäre es mutmaßlich am liebsten, wenn Meloni ihn wieder zum Innenminister berufen würde. Das ist ein Amt, das er für sich als angemessen betrachtet und in dem er in einer früheren Regierung als Verfechter einer brachialen Anti-Migrationspolitik bekannt wurde. Bei der Regierungsbildung vor zwei Jahren war er aber mit dem Amt des Verkehrs- und Infrastrukturministers abgespeist worden. Umso mehr triumphierte Salvini, als er Ende 2024 in Palermo überraschend in einem Prozess freigesprochen wurde, bei dem ihm sechs Jahre Haft drohten, weil er als Innenminister 2019 über Wochen ein privates Rettungsschiff mit Flüchtlingen am Anlegen gehindert hatte.

Prompt forderten seine Anhänger, der Hardliner solle ins Innenministerium zurückkehren dürfen. Meloni denkt aber offenkundig nicht daran, Salvini dieses Geschenk zu machen – sie drängt ihn im Gegenteil politisch weiter zurück. So will sie ihre Partei Fratelli d’Italia, die mit knapp 30 Prozent Zustimmung die klar stärkste Fraktion in der Koalition ist, bei künftigen Regionalwahlen auch im Norden sichtbarer aufstellen, auch dort, wo die Lega bisher in der internen Aufteilung der Rechten die Führungsrolle beansprucht, weil sie einst stärkste Partei war und auf bis zu 30 Prozent Zustimmung kam. Jetzt aber liegt die Lega landesweit deutlich unter zehn Prozent, und Salvini gelingt es bisher nicht, die Partei aus diesem Loch herauszuführen. Deshalb gerät er intern zunehmend unter Druck – verstärkt wird über seinen Sturz durch die starken Politiker des Nordens spekuliert. Die negativen Schlagzeilen zur Bahn kommen ihm da gar nicht recht.

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