Italien:Wohnen, wo andere saßen

Italiens Haftanstalten sind berüchtigt, der Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte hat die Zustände gerügt. Nun will der Staat drei seiner Größten verkaufen.

Von Thomas Steinfeld

Das Gefängnis von Poggioreale, im frühen 20. Jahrhundert erbaut und an der östlichen Peripherie der Altstadt Neapels gelegen, ist eines der berühmtesten italienischen Gefängnisse - nicht nur wegen der vielen Mafiosi, die hier einsaßen und einsitzen. Poggioreale ist eine Art Stadt in der Stadt, errichtet für etwa 1300 Strafgefangene, und sie war von vornherein überbelegt. So ist es immer noch - es sind mindestens 300 Insassen zu viel. Vier Männer müssen sich einen Raum von wenigen Quadratmetern teilen, während sie kaum etwas anderes tun können, als auf den Tag der Entlassung zu warten und sich gegenseitig das Leben zur Hölle zu machen. Selbstmorde sind häufig.

Andrea Orlando, der italienische Justizminister, hat nun laut einem Bericht der Mailänder Tageszeitung Corriere della Sera angekündigt, Poggioreale verkaufen zu wollen, zusammen mit zwei anderen, kaum minder bekannten Haftanstalten: dem Gefängnis Regina Coeli in Rom und dem Gefängnis San Vittore in Mailand. Alle drei sind zentral gelegen und von architekturhistorischer Bedeutung, in allen Fällen ist eine andere Nutzung denkbar - etwa als Apartment-Anlage nach dem Modell der Turiner Kaserne La Marmora.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hatte die Verhältnisse in italienischen Haftanstalten schon vor zwei Jahren für "entwürdigend und unmenschlich" erklärt und Italien empfindliche Strafen angedroht, sollte das Land nicht bald die Haftbedingungen entscheidend verbessern. Zumindest baulich hat sich wenig geändert, seit der Schriftsteller Cesare Pavese, 1935 wegen antifaschistischer Umtriebe hier inhaftiert, dem Gefängnisleben sein Gedicht "Poggio Reale" gewidmet hat. Es erzählt vom Blick des Insassen durch ein kleines Fenster und schließt mit den Worten "dev'essere morto" - "er muss tot sein".

Den Erlös aus dem Verkauf der drei historischen Gefängnisse will das Justizministerium für den Bau von Haftanstalten verwenden, die sich, wie Andrea Orlando erklärt, überhaupt erst zur Rehabilitierung von Strafgefangenen eignen. San Vittore, ein sternförmiger Bau aus dem späten 19. Jahrhundert, lag einst jenseits der Stadtgrenzen Mailands, befindet sich heute aber im Stadtzentrum. Während der deutschen Besetzung betrieb die SS einen der Flügel des Gebäudes in eigener Regie.

Das Gebäude hat einen festen Ort in der Mailänder Populärkultur, in der sein Name oft als Bezeichnung für "Gefängnis" schlechthin verwendet wird. Regina Coeli in Rom hingegen ist ein Konvent aus dem 17. Jahrhundert, das seit 1881 als Haftanstalt dient. Es liegt in Trastevere, nur etwa einen Kilometer vom Vatikan entfernt und war unter Touristen berühmt, weil die Örtlichkeiten eine Kommunikation mit den Gefangenen per Zuruf erlaubte. Einige der berühmtesten italienischen Intellektuellen verbrachten hier ihre Haftstrafen, darunter der marxistische Philosoph Antonio Gramsci, der spätere Staatspräsident Sandro Pertini, der Regisseur Luchino Visconti sowie der Schriftsteller Curzio Malaparte.

Mit den Plänen für einen Verkauf der alten Gefängnisse stehe man allerdings erst am Anfang, warnt Andrea Orlando. Er hat Grund für diese Vorsicht. Der italienische Staat unternahm in den vergangenen Jahren viele Versuche, Liegenschaften zu verkaufen, von leer stehenden Festungen bis hin zu Inseln in der venezianischen Lagune. Nur in wenigen Fällen hatte er Erfolg.

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