Italien:Vorwärts, um zurückzukehren

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Der Ex-Premier hat ein Buch veröffentlicht - Matteo Renzis Mix aus Memoiren und Wahlkampf.

Von Oliver Meiler, Rom

Wenn Politiker mal etwas Großes schreiben wollen, eine wichtige Rede oder gar ein Buch, nehmen sie sich normalerweise Ghostwriter. Matteo Renzi, Italiens früherer Premier und Chef des regierenden Partito Democratico, hat sein neues Buch "Avanti" (Vorwärts) selber geschrieben. 280 Seiten, auf dem Umschlag das Foto einer gewellten Straße im Wald. Der Leser hört Renzi förmlich reden, aus jeder Zeile. Seine rhetorischen Ticks, die Kadenz der Tiraden, die florentinische Ironie - alles da. Fehlt nur der toskanische Akzent.

Herausgekommen ist ein Mix aus persönlichen, fast intimen Memoiren und politischem Manifest, mit dem Renzi den Anspruch anmeldet, Italien bald wieder zu regieren. Und weil die Italiener in weniger als einem Jahr neu wählen, kommt dem Buch unmittelbare Bedeutung zu: Es nimmt die Kampagne eines Protagonisten vorweg.

Zunächst schaut Renzi aber zurück auf das "Debakel" des 4. Dezember vergangenen Jahres, die klare Niederlage beim Referendum über seine Verfassungsreform. Sein wahrer Fehler, schreibt er, sei nicht gewesen, dass er die Abstimmung zu einem Plebiszit über seine Person stilisierte: "Ich habe zu spät gemerkt, dass andere den Termin politisierten - und das darf einem Politiker nicht passieren." Die Niederlage habe ihn so stark getroffen, dass er tatsächlich überlegt habe, alles hinzuwerfen und das Leben zu leben, um endlich auch wieder an den Elterngesprächen seiner Kinder in der Schule teilnehmen zu können.

Ungewohnt selbstkritisch, aber eine Dosis Häme kann er nicht fehlen lassen

Doch Renzi wäre nicht Renzi, hätte er im "Debakel" nicht auch einen Triumph erkannt - seinen Triumph. 40 Prozent Ja-Stimmen für seine Reform seien ein grandioses Ergebnis, schreibt er, zumal ja alle gegen ihn gewesen seien. Daraus, und aus den Ermunterungen aus dem Volk, die ihm zuteil wurden, habe er die Überzeugung gewonnen, dass er dem Land noch mehr geben könne. Sehr lange brauchte er nicht für diese Selbstüberzeugung. Seine "tausend Tage" an der Regierung bilanziert Renzi ungewohnt selbstkritisch. Er lobt sich für die Arbeitsmarktreform, den "Jobs Act", rügt aber die "Buona Scuola", seine eigene und nicht so gut geratene Schulreform. Zwischendurch bedenkt Renzi seine Rivalen aus dem linken Lager, Massimo D'Alema und Pierluigi Bersani, sowie seine Amtsvorgänger Mario Monti und Enrico Letta mit viel Kritik und - er kann es nicht lassen - einer Dosis Häme.

Ganz unbescheiden wird er, wenn er schildert, wie sich Italien unter seiner Regie neu und stärker positioniert habe in der Welt. Mit Angela Merkel und, vor allem, mit Barack Obama stimmte auch die persönliche Chemie. Renzi erzählt, wie Merkel bei einem Treffen seiner Tochter Ester eine SMS geschickt habe, als sich die gerade mit dem Vater austauschte. Mit Obama mühte er sich schon im Fitnesscenter ab, Schulter an Schulter auf dem Laufband.

Zuweilen war es aber offenbar nötig, dass er an internationalen Gipfeln hemdsärmelig wurde und mit Vetos drohte. "A testa alta nel mondo", heißt das Kapitel, "mit erhobenem Haupt in der Welt". Er akzeptiere nicht, so Renzi, dass Italien gemaßregelt werde in der EU, als wäre es ein "undisziplinierter Schüler". Dass sich Brüssel in jüngerer Vergangenheit oft kulant zeigte gegenüber Rom, geht etwas unter. Renzi hat nun eine unorthodoxe Idee, um sich mehr Spielraum zu verschaffen bei der Gestaltung seiner Politik, sollte er an die Regierung zurückkehren. Im Kapitel zu Europa fordert er, dass Italien für fünf Jahre ein Haushaltsdefizit von 2,9 Prozent des Bruttoinlandprodukts eingeräumt werde, eine Dezimalstelle unter dem einstigen Maastrichter Kriterium und gegen die viel strengeren Abmachungen aus dem Fiscal Compact. Damit soll die Regierung Steuern senken können, was unweigerlich zu nachhaltigerem Wirtschaftswachstum führe. Die Antwort aus Brüssel kam prompt und scharf. Auch Italiens Wirtschaftsminister distanzierte sich von "diesen Ideen von außen". Doch das muss Renzi nicht kümmern: Er regiert ja nicht, er macht Wahlkampf.

Der Verlag Feltrinelli, der "Avanti" am Mittwoch auf den Markt brachte, verrät nicht, wie viele Exemplare er für die erste Auflage gedruckt hat. Wahrscheinlich sehr viele. Renzi mag Glanz verloren haben seit der Niederlage. In seiner politischen Familie halten ihn viele für verbraucht, mit 42 Jahren, für einen unbotmäßigen Häretiker, zu wenig links. Dennoch wird "Avanti" wohl nun an die Spitze der Bestsellerlisten stürmen. Lesen werden das Buch auch Leute, denen der Autor nicht sympathisch ist.

Renzi reizt die Italiener im doppelten Sinn: Er verführt sie mit seinem jugendlichen Elan, nervt sie aber auch mit seiner brüsken Ungeduld. Seine Entourage habe ihm geraten: "Matteo, zeig' den Leuten eine andere Seite von dir." Doch ihn interessiere es nicht, wie er wirke. "Ich mime doch nicht plötzlich den Sympathischen", schreibt er. Das Buch kommt trotzdem daher wie ein Flirt, wie eine amouröse Avance des Ex. Im Herbst beginnt Renzi dann seine Tour im Zug, fünf Monate lang quer durchs Land, durch alle 110 Provinzen. Mit der vagen Hoffnung auf eine Rückeroberung.

© SZ vom 14.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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