Italien:User-Demokratie

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Ein kleiner Teil der Wähler der Fünf Sterne entscheidet über eine neue italienische Regierungskoalition. Damit missachtet die Partei allerdings die Regeln des Parlamentarismus.

Von Oliver Meiler

Direkte Demokratie ist eine schöne Sache. Je öfter das Volk mitreden kann, desto demokratischer ist das System, in dem es lebt. Im Prinzip wenigstens. In Italien gibt es eine Partei, die Cinque Stelle, die dieses Prinzip in ihrer Gründungsphilosophie so radikal angelegt hat, dass es in äußerster Konsequenz die repräsentativen Institutionen der Republik obsolet machen würde. Die Parlamentarier? Überflüssig. Die prächtigen Plenarsäle von Senat und Abgeordnetenkammer? Museen.

Damit alles schnell und einfach funktioniert, haben die Fünf Sterne vor einigen Jahren eine Internetplattform eingerichtet, die den pompösen und ambitiösen Namen "Rousseau" trägt. Betrieben wird diese Plattform von einer Privatfirma, ohne äußere Kontrolle. Auf dem Server von "Rousseau" sind 115 000 User eingeschrieben und, wie die Partei versichert, "zertifiziert". Wer diese 115 000 sind, weiß außer der Partei und der Firma niemand.

Die Eingeschriebenen hielten nun aber an diesem Dienstag bis in den Abend hinein das ganze Land in Atem: Es wurde ihnen anheimgestellt zu entscheiden, ob Italien, immerhin ein G-7-Staat, eine neue Regierung aus Cinque Stelle und dem sozialdemokratischen Partito Democratico erhalten soll. Per Mausklick. Schon kurz nach dem Start stürzte das System ab, wegen ein paar Tausend Zugriffen, und das nicht zum ersten Mal: "Rousseau" ist anfällig für Pannen. Hacker machen sich einen Spaß daraus, die Plattform zu knacken. Transparenz? Null.

Die User sagten Ja - immerhin. Damit deckt sich das dubiose Prozedere mit dem Prozess der letzten Wochen, dem verfassungsmäßigen Ablauf einer Regierungsfindung in einer parlamentarischen Demokratie. Giuseppe Conte sollte nun sein Kabinett bilden können. Hätte "Rousseau" ihn gestoppt, wäre das eine mittlere Katastrophe gewesen - eine Verspottung des Parlaments, der Republik, der Demokratie. Fragwürdig ist auch, warum die Partei mit der Abstimmung wartete, bis die Koalitionsverhandlungen schon beinahe beendet waren. Korrekter wäre es gewesen, schon kurz nach dem Bruch der Koalition aus Fünf Sternen und rechter Lega abstimmen zu lassen - in einer Phase, als über die künftige Politik einer möglichen neuen Regierung diskutiert wurde.

In der Zwischenzeit haben sich die Parlamentarier der Cinque Stelle längst damit einverstanden erklärt, es mit den Sozialdemokraten zu versuchen. Der Präsident hat dem bisherigen Premier Giuseppe Conte einen neuen Regierungsauftrag erteilt, damit er an einem Programm und an der Bildung eines Kabinetts arbeite. Ganz so, wie das in der Verfassung steht.

Nun gibt es auch in anderen Ländern Parteien, die Koalitionsabsprachen ihren Mitgliedern vorlegen - allerdings nicht auf einer dubiosen Plattform wie "Rousseau". Gewiss, das Parlament der italienischen Republik hat in den sieben Jahrzehnten seiner Existenz schon manch unheilige Palastrevolte samt Postengeschacher erlebt: 65 Regierungen sind eine fast groteske Illustration dafür. Doch solange es Regeln gibt, sollten diese für alle gelten. In einer parlamentarischen Demokratie müssen alle großen Änderungen am politischen System primär im Parlament bestimmt werden. Dazu gehört, wer die nächste Regierung stellt. Darüber haben die Stimmen der Abgeordneten als Volksvertreter zu entscheiden - und nicht die Klicks einer kleinen Minderheit.

© SZ vom 04.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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