Süddeutsche Zeitung

Italien und Libyen:Sühne für die Verbrechen der Kolonialzeit

Lesezeit: 2 min

Nach 40 Jahren zahlt Italien Libyen 3,4 Milliarden Euro Wiedergutmachung. Im Gegenzug erhält es Gas und Öl - und weniger illegale Einwanderung.

Julius Müller-Meiningen

Italien hat sich offiziell für die in der italienischen Kolonialzeit zwischen 1911 und 1943 in Libyen begangenen Verbrechen entschuldigt und sich verpflichtet, fünf Milliarden Dollar (3,4 Milliarden Euro) als Entschädigung zu zahlen.

Ein entsprechendes Abkommen unterzeichneten am Samstag der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi und der libysche Staatschef Muammar el Gaddafi im libyschen Bengasi. Das Geld soll innerhalb der nächsten 20 Jahre unter anderem in den Bau einer Autobahn sowie in die Errichtung von 200 bislang nicht näher bestimmten Gebäuden investiert werden.

Der Vertrag sieht überdies weitgehende Zusammenarbeit auf dem Gebiet von Wirtschaft und Sicherheit vor. "Wir werden mehr Gas und Benzin aus Libyen bekommen und weniger illegale Einwanderung", fasste der italienische Ministerpräsident die Vorteile des Abkommens für sein Land zusammen.

"Vertrag der Freundschaft"

Neben umfangreichen Mineralöl-Lieferungen ist nun auch der Start gemeinsamer Patrouillen von Booten des Grenzschutzes vor der Küste Libyens zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung nach Italien vorgesehen. Jährlich legen Tausende Flüchtlinge an der libyschen Küste ab, um Italien zu erreichen. Italienische Politiker hatten immer wieder die Nachlässigkeit der libyschen Grenzkontrollen als eines der Hindernisse für die Bekämpfung der illegalen Zuwanderung genannt. Die gemeinsame Überwachung war bereits 2007 verabredet worden, wurde aber bislang nicht in die Tat umgesetzt. Libyen benutzte die Steuerung der Flüchtlingsströme teilweise als Druckmittel für die nun verabredeten Entschädigungszahlungen.

"Mit diesem Abkommen beenden wir 40 Jahre gegenseitiges Unverständnis. Es bedeutet die vollständige und moralische Anerkennung der von Libyen durch Italien während der Kolonialzeit erlittenen Schäden", sagte Berlusconi in Bengasi. Als Geste seines guten Willens gab der Ministerpräsident bei seinem Besuch die spätrömische Statue der Venus aus Circene an Gaddafi zurück. Italienische Archäologen hatten die Skulptur 1913 in Libyen ausgegraben und mit nach Italien genommen.

Der als "Vertrag der Freundschaft" bezeichnete Pakt sieht den Bau einer 1600 Kilometer langen Autobahn von der ägyptischen bis zur tunesischen Grenze vor. Von diesem Projekt sollen auch italienische Firmen profitieren. Bereits jetzt ist Italien der größte Handelspartner Libyens, das bis 2003 einem internationalen Handelsembargo unterlag. Außerdem vereinbarten beide Länder Gas- und Mineralöl-Lieferungen an Italien, sowie eine verstärkte Zusammenarbeit auf den Gebieten Militärtechnik, Telekommunikation, Landwirtschaft und Tourismus.

Italienische Tourismus-Unternehmen hätten bereits Verhandlungen zum Bau von Ferienanlagen an der 2000 Kilometer langen, bislang weitgehend brachliegenden libyschen Küste aufgenommen, hieß es. Zudem versprach Italien Stipendien an junge Libyer zu vergeben, die an italienischen Universitäten studieren wollen. "Dieses historische Abkommen öffnet einer Zusammenarbeit und Partnerschaft mit Italien die Türen", sagte Gaddafi, der in Libyen 1969 durch einen Putsch an die Macht kam. 1956 hatte die italienische Regierung bereits 4,5 Milliarden Lire für den Wiederaufbau an das seit 1951 unabhängige Land gezahlt. Diese Zahlung bezeichnete Gaddafi später als "Heuchelei".

Die Spannungen im italienisch-libyschen Verhältnis haben ihren Ursprung in den von Italienern begangenen Verbrechen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. 1911 hatte Italien Tripolis und die ehemalige römische Kolonie Cyrenaica, eine der historischen Provinzen Libyens, annektiert und bis 1943 besetzt. Insgesamt wurden in dieser Zeit 100.000 Libyer getötet. Etwa 40.000 Menschen sollen in Konzentrationslagern umgekommen sein, Tausende wurden exekutiert oder starben bei Kämpfen und Übergriffen des italienischen Militärs. 4000 Libyer wurden während der Kolonialzeit in italienische Gefängnisse deportiert.

Bei der Vertragsunterzeichnung sagte Berlusconi in Anwesenheit von 300 Angehörigen nach Italien deportierter Libyer: "Im Namen des italienischen Volkes fühle ich mich verpflichtet, um Entschuldigung zu bitten und unseren Schmerz zu zeigen für das, was geschehen ist und viele eurer Familien gezeichnet hat."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.709231
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 01.09.2008/cag
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.