Italien und der Faschismus:Berlusconi und die kalkulierten Tabubrüche

Der erste Wahlsieg von Silvio Berlusconi ebnete den Weg: In Italien findet der Faschismus seine Verteidiger längst in der guten Gesellschaft. Der Ministerpräsident verharmlost Mussolini und fördert Rechtsextreme - auch die Enkelin des Duce.

Aram Mattioli

Silvio Berlusconis Aufstieg zum mächtigsten Mann Italiens wurde durch den korruptionsbedingten Zusammenbruch des alten Parteiensystems und eine "lautlose Kulturrevolution" (Alexander Stille) ermöglicht, die die Gesellschaft seit Mitte der achtziger Jahre grundstürzend veränderte. Kulturell schlug sich die transizione italiana in einem neuen Politikstil der großspurigen Ankündigungen, maßgeschneiderten Gesetze und rechtsstaatlichen Tabubrüche nieder. Immer dreister rücken die dem "Cavaliere" wohlgesinnten Medien Kritik an seinem Regierungsstil in die Nähe von Landesverrat.

Berlusconi, Alessandra Mussolini, Italien, dpa

Silvio Berlusconi mit der Alessandra Mussolin, der Enkelin des "Duce".

(Foto: Foto: dpa)

Selbst Schriftsteller wie Claudio Magris oder Antonio Tabucchi werden von ihnen inzwischen als "Antiitaliener" und "Exportintellektuelle" geschmäht, wenn sie sich besorgt über den Berlusconismus und die ihm innewohnenden Gefahren äußern. Ein neuer Populismus verwandelte das Land zu einer Demokratie ohne wirkliche Demokratie.

Im Fahrwasser des soziokulturellen Wandels rückte die Gesellschaft nach rechts, die Themen der Rechten erhielten jetzt einen kaum für möglich erachteten Raum in den öffentlichen Debatten. Dies gilt auch für die in ihrer wirklichen Bedeutung oft unterschätzte Geschichtspolitik. Heute sind Faschismusapologie und "Duce"-Bewunderung in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Im Unterschied zu anderen westeuropäischen Ländern werden revisionistische Thesen in Italien nicht allein von Ewiggestrigen und den typischen Rechtsextremisten vorgetragen, sondern oft auch von bürgerlichen Honoratioren.

Spitzenpolitiker, die der Mussolini-Diktatur positive Seiten abgewinnen; Straßen, die nach "Helden" des Regimes benannt werden oder "gute Faschisten", die als Filmhelden in die Wohnstuben der Fernsehnation flimmern, gehören seit 1994 ebenso zum Alltag der Zweiten Republik wie Gesetzesinitiativen, die Mussolinis letztes Aufgebot und die Kollaborateure von Salâ den Kämpfern der Resistenza gleichstellen wollen. Besorgt bilanzierte der ehemalige christdemokratische Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro schon 2005: "Heute sehen wir, dass in Italien eine Geschichtspolitik betrieben wird, die im Zeichen der Befriedung auf eine Geschichtsrevision zielt und eine Aufwertung des Faschismus betreibt."

Krieg der Erinnerungen

Seit Berlusconi 1994 in die politische Arena stieg, erlebte das Land einen Krieg der Erinnerungen. Über Jahrzehnte hatte die politische Kultur der 1946 gegründeten Republik Italien auf der Überzeugung beruht, die Italiener hätten den Faschismus aus eigener Kraft überwunden und das von den Deutschen von Herbst 1943 an besetzte Land mit der Waffe in der Hand befreit. Das war eine sympathische Lebenslüge, die mithalf, in Italien nach über 20 Jahren der Diktatur dauerhaft eine Demokratie zu installieren. Die 1948 in Kraft gesetzte Verfassung war und ist dem Geist des republikanischen Antifaschismus verpflichtet.

Begünstigt durch das Ende des Kalten Krieges und den Korruptionssumpf der Ersten Republik geriet die antifaschistisch geprägte politische Kultur immer stärker in Bedrängnis. Historiker, Publizisten und Filmemacher ebneten einer revisionistischen Geschichtsdeutung den Weg, die auf Denkfiguren der neofaschistischen Subkultur zurückgriff.

Nach Berlusconis drei Wahlsiegen erhielt sein Bündnis die Gelegenheit, die Erinnerungskultur aus der Regierungsverantwortung heraus in ihrem Sinn umzubauen, auf der nationalen Ebene genauso wie in den Provinzen und Kommunen. Tatsächlich verwandelte sich dieses Politikfeld in der Zweiten Republik zu einem zentralen Ort gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse. Freilich geht es in diesen Debatten nie nur um die Vergangenheit, sondern stets auch um die kulturelle Deutungshoheit und um künftige Mehrheiten.

"Keine Faschisten in meiner Regierung"

"Es gibt doch gar keine Faschisten in meiner Regierung", meinte Silvio Berlusconi im Juni 1994, wenige Wochen nachdem er die Neofaschisten von Gianfranco Fini und die separatistische Lega Nord von Umberto Bossi erstmals zu Regierungsparteien gemacht hatte. In dieser Reaktion des neuen Premiers zeigte sich ein Grundmuster, das für seinen Umgang mit brisanten erinnerungskulturellen Fragen typisch ist. Die Kritik besorgter Demokraten, dass er mit seiner rechten Regierungskoalition erstmals den antifaschistischen Grundkonsens im Nachkriegseuropa durchbrochen habe, wischte er als unbegründet vom Tisch.

Gianfranco Fini, Silvio Berlusconi, AP

Gianfranco Fini und Silvio Berlusconi bei einer Pressekonferenz im Jahr 1998.

(Foto: Foto: AP)

Berlusconi trat in den Erinnerungsdebatten, die auf eine revisionistische Umdeutung der jüngeren Geschichte zielten, allerdings nie als treibende Kraft auf. Doch als Ministerpräsident, der eine solche Re-Interpretation politisch erst möglich machte, war die Rolle des "Cavaliere" entscheidend. Berlusconi ließ die Revisionisten gewähren, wo er sie hätte zurückbinden müssen; und er redete deren Ansichten schön oder hüllte sich in Schweigen, wo er sich deutlich vernehmbar hätte distanzieren müssen.

Fehlende Berührungsängste gegenüber der harten Rechten charakterisieren Berlusconis ganze Karriere, nicht nur deren Beginn. Nach seinem zweiten Wahlsieg von 2001 machte er nicht nur den Altfaschisten Mirko Tremaglia, der noch mit der Waffe in der Hand für Mussolini gekämpft hatte, zum Minister für die Auslandsitaliener. Eine freundschaftliche Beziehung pflegt er seit Jahren zu Alessandra Mussolini. Nach Finis Israel-Reise hatte die Enkelin des Diktators die ultrarechte Alternativa Sociale ins Leben gerufen.

Ohne alle historische Sensibilität bot Berlusconi Anfang 2005 der rechtsextremen Politikerin die Präsidentschaft von Kampanien an. Selbst für die Republik Italien handelte es sich um einen unerhörten Vorgang. Um des reinen Machterwerbs willen war Berlusconi bereit, an der Spitze eines großen Rechtsbündnisses eine bekennende Faschistin zu akzeptieren. Alessandra Mussolini dankte für des Premiers politische Avancen damit, dass sie diesen als wahren "Leader" lobte.

"Duce"-Rufe während Berlusconi-Reden

Während des Wahlkampfs 2006 kam es bei Berlusconis Auftritten auf den Piazze vor, dass Zuhörer aus Begeisterung in "Duce"-Rufe fielen und ihm gar mit gerecktem Arm die Ehre erwiesen. Bezeichnenderweise trat er solchem Treiben nie entgegen. Nicht genug damit schloss der Führer der Rechtskoalition Casa delle Libertà vor den Parlamentswahlen ein paar zusätzlicher Prozentpunkte wegen Bündnisse mit Kleinparteien am neofaschistischen Rand des politischen Spektrums. Dass ein konservativer Spitzenpolitiker in einem westeuropäischen Land mit ultrarechten Bewegungen paktiert, ist eine Eigentümlichkeit der besonderen Art. In Frankreich und Deutschland wäre das schlicht undenkbar.

Seit seinem Einstieg in die Politik verwischte Berlusconi die Grenzen zwischen bürgerlich-konservativer und neofaschistischer Rechter systematisch. Für die Parlamentswahlen vom Frühjahr 2008 kandidierten einige Faschismus-Bewunderer für das von Berlusconi angeführte Rechtsbündnis Popolo della Libertà: Alessandra Mussolini für das Abgeordnetenhaus und Giuseppe Ciarrapico für den Senat der Republik. Der Fall des Verlegers Ciarrapico war besonders brisant, weil dieser für Berlusconis FI kandidierte. In einem Interview mit dem Corriere della Sera meinte Berlusconi über seinen faschistischen Parteifreund bloß: "Wir sind mitten im Wahlkampf und haben die Aufgabe, zu gewinnen. Der Verleger Ciarrapico besitzt Zeitungen, die uns nicht feindlich gesonnen sind. Es ist absolut wichtig, dass sich das nicht ändert, weil alle anderen großen Zeitungen gegen uns sind."

Nach seinem dritten Wahlsieg blieb Berlusconi am 25. April 2008 dem Staatsakt zum "Befreiungstag" fern. In einer Geste von hoher Symbolkraft empfing er am Nationalfeiertag lieber den neu gewählten Senator Ciarrapico zu einer Unterredung. Der starke Mann Italiens zeigte sich nicht nur in seinen Kontakten zur extremen Rechten erstaunlich inkorrekt. Immer wieder glitt er auch auf dem glatten Parkett unbewältigter Vergangenheit aus, wenn er seine laienhaften, aber stets populären Ansichten zur Geschichte des 20. Jahrhunderts öffentlich kundtat.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum der Kommunismus für Berlusconi das "unmenschlichste Unternehmen der Geschichte" war.

Unmenschlicher Kommunismus

Berlusconi, dpa

So sieht er sich am liebsten: Bei seiner Rückkehr aus dem Krankenhaus nach der Mini-Dom-Attacke wird der Ministerpräsident von vielen weiblichen Fans empfangen.

(Foto: Foto: dpa)

Zentral in Berlusconis revisionistischem Geschichtsbild ist die Behauptung, dass nicht der Nationalsozialismus, sondern der Kommunismus das "unmenschlichste Unternehmen der Geschichte" war. Historisch nicht sonderlich bewandert, vertritt Berlusconi seit Jahrzehnten eine krude Variante der Totalitarismustheorie. Er betrachtet es insbesondere als seine moralische Pflicht, die Erinnerung an die Gewaltverbrechen der kommunistischen Regime wachzuhalten. Am 27. Januar 2006, dem Gedenktag für die Opfer der Schoah, bezeichnete er den Massenmord am europäischen Judentum zwar als "Wahnsinn".

Doch neben dem Nazismus habe es einen kommunistischen Totalitarismus gegeben, der weit mehr Opfer auf dem Gewissen habe. Dadurch ließ er den Eindruck entstehen, dass der "Rassenmord" des NS-Regimes weniger schlimm gewesen sei als der kommunistische "Klassenmord". Dies war keine einmalige Unbedachtsamkeit, hält der große Vereinfacher den Kommunismus doch für die mit Abstand schrecklichste Tragödie des 20. Jahrhunderts.

Berlusconis Warnungen vor den "roten Richtern"

Dass er auf seinem antikommunistischen Kreuzzug gegen eine Fata Morgana kämpft, irritierte Berlusconi nie. Seit er sich in die politische Arena begab, hämmerte er seinen Landsleuten ein, die Gefahr einer kommunistischen Machtübernahme in Italien sei nicht gebannt. Die Lage präsentiere sich noch immer wie 1948, als sich bei den Parlamentswahlen eine linke Volksfront und das Freiheitslager gegenüberstanden.

Wenn die Linke hierzulande in die Regierungsverantwortung zurückkehre, orakelte er im Januar 2005, wäre das gleichbedeutend mit "Elend, Tod und Terror" - wie überall, wo der Kommunismus regierte. Lange Jahre zeigte er sich geradezu besessen von der Vorstellung, dass es unter seinen Gegnern nur so von erklärten oder verkappten Kommunisten wimmle, ganz gleich, ob es sich um Politiker, Intellektuelle, Medienleute, Komiker oder "rote Richter" handelt. Hemmungslos verunglimpfte er selbst Christdemokraten wie Romano Prodi als "kathokommunistische Leader", welche in ihrer grenzenlosen Naivität der extremen Linken in die Hände spielen würden.

Wie andere Politiker, Publizisten und Historiker rückte auch der "Cavaliere" den bewaffneten Widerstandskampf in die Nähe eines kommunistischen Machtergreifungsversuchs. Das revolutionäre Modell, das die italienischen Kommunisten während der Resistenza inspiriert habe, sei eine Vorstufe zu einer "bolschewistischen Revolution" nach sowjetischem Muster gewesen. Eine moderne demokratische Nation könne sich jedoch nur dann wirklich antitotalitär nennen, wenn sie sich zur selben Zeit antifaschistischen und antikommunistischen Werten verpflichtet wisse.

Für Silvio Berlusconi, der doch sein antitotalitäres Bekenntnis vor sich her trägt, stellt das faschistische Gesellschaftsexperiment keine verdammungswürdige Diktatur dar. Gegenüber der Washington Post meinte der Premier im Mai 1994 vielmehr: "Für eine gewisse Zeit hat Mussolini gute Dinge in Italien getan - das ist eine durch die Geschichte belegte Tatsache."

Freilich sei das Endresultat der faschistischen Diktatur letztlich negativ, weil sie Italien der Freiheit beraubt und das Land in den Zweiten Weltkrieg geführt habe. Für die italienischen Revisionisten hörte sich dies wie Balsam an. Berlusconi gab damit zu verstehen, dass der Mussolini-Faschismus erst unter dem Einfluss des nationalsozialistischen Deutschland aus dem Ruder gelaufen sei. Dieses weitverbreitete Vorurteil, das die Geschichtsforschung längst widerlegt hat, bediente er in seiner Regierungszeit wiederholt.

Der "gutartige Faschismus"

Im Spätsommer 2003 bezeichnete Italiens Premierminister die faschistische Diktatur sogar als "gutartig" und behauptete gegen alle historischen Fakten, dass der "Duce" und seine Schergen nie gemordet und die Antifaschisten bloß in den Urlaub geschickt hätten.

Als bei der Opposition und im Ausland daraufhin ein Sturm der Entrüstung losbrach, verteidigte sich Berlusconi damit, dass er als italienischer "Patriot" Mussolini lediglich vor einem unangemessenen Vergleich mit dem Massenmörder Saddam Hussein habe in Schutz nehmen wollen.

Dass es sich dabei nicht um einen einmaligen Ausrutscher handelte, bewies der Herr der Peinlichkeiten im Dezember 2005, nur wenige Monate vor dem Ablauf der Legislaturperiode.

Während eines Pressegesprächs gab Berlusconi vor einer Vielzahl von Journalisten zu Protokoll, dass der Faschismus nie "kriminell" gewesen sei: "Es gab die fürchterlichen Rassengesetze, weil man den Krieg zusammen mit Hitler gewinnen wollte. Der Faschismus in Italien besitzt einige Makel, aber nichts dem Nazismus oder Kommunismus Vergleichbares."

Der Schmerz der Widerstandskämpferin

Die Geringschätzung für die antifaschistische Kultur ist eine der Konstanten in Berlusconis Politkarriere. Sie macht selbst vor der seit dem 1. Januar 1948 geltenden Verfassung nicht halt, die für ihn ein "sowjetisches Gepräge" besitzt. Berlusconis Geschichtspolitik bewirkte, dass sich Antifaschisten heute für ihre Haltung rechtfertigen müssen.

Immer stärker zeichnen sich die Konturen einer anti-antifaschistischen Erinnerungskultur ab, in der ohne Scheu an die angeblich positiven Leistungen von Mussolinis Diktatur und der Kollaboration mit Nazi-Deutschland erinnert wird.

Innerhalb von Westeuropa schlug Italien mit seiner Teilrehabilitierung des Faschismus einen Sonderweg ein. Dies blieb nicht folgenlos für die politische Kultur. "Es tut mir weh", bilanzierte die Christdemokratin Tina Anselmi, die als junge Frau dem antifaschistischen Widerstand angehört hatte, bitter, "dass man heute in Italien wieder Faschist sein kann, ohne dass sich jemand daran stört."

Aram Mattioli lehrt Geschichte an der Universität Luzern. Er ist Autor des Buchs "Viva Mussolini! - Die Aufwertung des Faschismus im Italien Berlusconis", das Mitte März im Ferdinand Schöningh Verlag erscheint.

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