Corona-Leugner in Italien:Kundgebungen nur noch am Stadtrand

November 6, 2021, Trieste, Italy: A moment of the No Green Pass rally in Trieste, northern Italy, 06 November 2021. The

Bis hierher und nicht weiter: Polizisten halten im Zentrum von Triest Demonstranten auf. Nirgendwo gibt es so viele Corona-Neuinfektionen wie hier im Nordosten Italiens.

(Foto: Paolo Giovannini/imago)

Zertifikats- und Impfgegner haben wochenlang in Triest demonstriert: Nun explodieren die Infektionszahlen. Und die Regierung in Rom beschließt eine Einschränkung der Demonstrationsfreiheit für das ganze Land.

Von Oliver Meiler, Rom

Triest ist nicht gerade das Zentrum Italiens. Die Stadt liegt so weit im Nordosten des Landes, dass sie schon Mitteleuropa ist. In den vergangenen Wochen aber war sie plötzlich sehr präsent in den Köpfen der Italiener. Es verging kaum ein Tag, an dem sie nicht in den Abendnachrichten erwähnt wurde - immer im selben Zusammenhang. Triest war gewissermaßen zur Hauptstadt der "No Pass" und "No Vax" geworden, zum Zentrum der Zertifikats- und Impfgegner. Die prachtvolle Piazza dell'Unità d'Italia war ihre Bühne, ihr Schaufenster.

Hauptantreiber des Protests waren zunächst die Hafenarbeiter. Sie drohten damit, die logistische Drehscheibe im internationalen Handel lahmzulegen, wenn die Regierung den "Green Pass", der seit 15. Oktober für Arbeiter in allen Ämtern und Firmen gilt, nicht zurückziehe. Soweit kam es nicht, auch die Blockade blieb aus, und die Hafenarbeiter zogen sich zurück. Doch die Kundgebungen gingen weiter. Tausende kamen jeweils auch aus anderen Regionen Italiens, eine heterogene Schar von Menschen ohne Sinn fürs Abstandhalten und Maskentragen. Bis es dem Bürgermeister zu viel wurde, und das ist kein Wunder.

Über Nacht war Triest zum Hotspot der Pandemie geworden, wegen der Proteste. Nirgendwo in Italien verbreitet sich das Coronavirus schneller als im äußersten Nordosten. Die Wocheninzidenz auf 100 000 Einwohner liegt bei 410 - achtmal höher als der nationale Durchschnitt. Die Krankenhäuser in der Provinz haben sich gefüllt. Die Auslastung der Intensivstationen nähert sich dem Wert, ab dem im italienischen Ampelsystem ein Farbwechsel und damit eine Verschärfung der Maßnahmen ansteht.

Stefano Puzzer prende la parola in piazza dell Unita d Italia al termine dell incontro con il Ministro Patuanelli durant

Von Hafenarbeitern gingen die Proteste aus, Stefano Puzzer ist ihr Anführer - hier ergreift er das Wort auf einer Demo auf dem Platz der Einheit.

(Foto: Luca Tedeschi/imago)

Der Ruf als Hauptstadt der "No Pass" ist auch wirtschaftlich eine mittlere Katastrophe: Hotels, Restaurants und Läden klagen über stornierte Buchungen und einbrechende Einnahmen. Bürgermeister Roberto Dipiazza verfügte deshalb, dass der schöne Platz der Einheit Italiens bis Ende des Jahres für Kundgebungen gesperrt bleibt. Doch das reicht nicht, zuweilen durchbrechen die Kundgeber die Sperre.

Meinungsäußerung nur noch in der Peripherie

Nun schickt sich das italienische Innenministerium an, die Demonstrationsfreiheit im ganzen Land einzuschränken, also auch in anderen Proteststädten, etwa in Mailand und Rom, in Padua und Novara: Es soll keine Märsche mehr durch Stadtzentren geben dürfen, sondern nur noch Sitzstreiks weitab von den Einkaufszonen, den Partei- und Gewerkschaftssitzen, den Palästen der Macht. So wäre gewährleistet, dass Bürgerinnen und Bürger ihre Meinung öffentlich frei äußern könnten, wie es im Artikel 21 der italienischen Verfassung festgeschrieben steht, ohne dass dadurch Artikel 32 verletzt wird, der vom Grundrecht auf Schutz der Gesundheit handelt.

Was wiegt schwerer: Artikel 21 oder Artikel 32? Lassen sie sich überhaupt kombinieren in einer Pandemie? Umfragen ergeben ein klares Bild: Nur eine kleine Minderheit der Italienerinnen und Italiener unterstützt die Zertifikatsgegner, sie tut das aber besonders laut und zuweilen gewalttätig. "Wir hören uns an, was die Gegner sagen", schreibt die Zeitung Corriere della Sera in einem Kommentar. "Aber wir lassen nicht zu, dass sie sich gegen diejenigen behaupten, die wieder leben und arbeiten wollen."

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