Süddeutsche Zeitung

Italien:Stolz der Verlierer

Der bei der Wahl gedemütigte Partito Democratico wird jetzt als Mehrheitsbeschaffer umworben. Die Partei erlebt ein ähnliches Dilemma wie die SPD.

Von Oliver Meiler, Rom

Den Verlierern muss es so vorkommen, als hätten sie gewonnen. Am Largo del Nazareno in Rom, exakt zwischen Spanischer Treppe und Fontana di Trevi, wo der bitter geschlagene Partito Democratico (PD) seinen Hauptsitz hat, drängen sich die Medienleute wie zu guten Zeiten. Die Fernsehteams campen auf der kleinen Piazza und passen jedes bekannte Gesicht ab - für ein Bonmot, eine Indiskretion, eine Intrige. Die Polizei hat Mühe, den Parteimitgliedern den Weg freizuhalten. Ein Chaos, dazwischen entgeisterte Touristen.

Die Partei erlebt ein Dilemma wie zuletzt die deutschen Genossen

Italien wird so bald keine neue Regierung erhalten, wenn die Sozialdemokraten nicht bereit sind, eine Allianz einzugehen - entweder mit dem rechtsbürgerlichen Bündnis (sehr unwahrscheinlich) oder mit der Protestbewegung Cinque Stelle (ziemlich unwahrscheinlich). Das Land ist politisch in drei Blöcke geteilt, zwei größere und einen kleinen. Keiner der drei hat genügend Sitze im Parlament gewonnen, um alleine regieren zu können. Und da eine Koalition aus Fünf Sternen und der fremdenfeindlichen Lega noch unwahrscheinlicher ist als andere, spielen die Sozialdemokraten nun das berühmte Zünglein an der Waage und werden heftig umgarnt.

Der PD erlebt also ein ähnliches Dilemma wie zuletzt die Genossen in Deutschland: Man gewinnt zwar keine große Wahlen mehr, wird aber von allen Seiten bekniet, für das höhere Wohl der Republik ein bisschen Regierungsverantwortung zu übernehmen. Ist es gescheit, da mitzumachen? Oder verliert man so noch mehr Zuspruch?

Der Partito Democratico steht gerade am Anfang der Zerreißprobe. In dieser ersten Phase sind sich noch alle Wortführer der Partei einig, wenigstens in ihren öffentlichen Verlautbarungen. Die Italiener, sagen sie, hätten ihnen die Ränge der Opposition zugewiesen, und genau dort würden sie nun auch Platz nehmen. Ehre und Pflicht, das Land zu regieren, falle den Wahlsiegern im rechten Lager und bei den Cinque Stelle zu: "Mögen sie doch regieren!" Das ist die Linie, bis in die Wortwahl abgesprochen.

In den kommenden Wochen dürfte der Richtungsstreit aber laut und wüst werden. Alles steht zur Debatte: Führung und Identität der Partei. Matteo Renzi, der den Partito Democratico vier Jahre lang geprägt und angetrieben hat, ist am Montag zurückgetreten. Persönlich mochte er an seinem Abschied nicht teilnehmen. Renzi schickte stattdessen einen Brief an den Vorstand, der in der Sitzung vorgelesen wurde. Das Karussell der Politik, schrieb er, werde sich schneller drehen, als man denke. "Ich gebe nicht auf."

Es wurde schon viel spekuliert darüber, was aus Renzi werden könnte. Eine These lautete so: Er wird versuchen, den "italienischen Macron" zu geben; den Alleingang wagen wie Emmanuel Macron vor der französischen Präsidentschaftswahl - mit einer eigenen, irgendwie postideologischen Reformpartei in der Mitte.

Doch Renzi sagt, er laufe nicht davon, das sei nicht seine Art. Er ist jetzt einfacher Senator. In den Gremien der Partei und in den Fraktionen im Parlament sitzen aber viele "Renzianer", alle von ihm ausgesucht. Im Vorstand etwa, einem Becken mit vielen Strömungen, steht Renzis Lager für sechzig Prozent. Niemand mag ihn offen kritisieren. Die Abrechnung kommt wohl erst, wenn die Partei sich eine neue Führung geben wird. Chancen auf Renzis Nachfolge haben Premier Paolo Gentiloni, Transportminister Graziano Delrio, Landwirtschaftsminister Maurizio Martina und der Gouverneur des Lazio, Nicola Zingaretti. Jeder steht für eine Linie: Gentiloni und Delrio sind christlichsoziale Politiker, Zingaretti kommt vom linken, postkommunistischen Flügel. Der 39-jährige Martina, der die Partei bis zum Kongress verwaltet, steht irgendwo dazwischen.

Frauen? Keine, weit und breit. Und vielleicht müssten sie auch darüber einmal nachdenken. Seit den Europawahlen 2014 hat die Partei mehr als fünf Millionen Wähler verloren. Viele gingen diesmal gar nicht erst wählen, weil sie enttäuscht und verwirrt sind über den liberalen Kurs der Partei. 1,8 Millionen der ehemaligen PD-Wähler stimmten nun für die Fünf Sterne. Darum finden nun stimmgewaltige Linksintellektuelle, der Partito Democratico müsse zulassen, dass die Cinque Stelle regieren. Notfalls mit einem Minderheitskabinett und einigen vorab vereinbarten Programmpunkten. Es würde dann reichen, wenn sich die Sozialdemokraten im Moment des Vertrauensvotums einfach der Stimme enthielten.

Noch kommt vom "Nazareno" ein lautes "No" zurück. Es ist ja auch noch früh, die Wahlen sind erst zehn Tage her, die taktischen Spiele haben erst begonnen. Und haben nicht die Deutschen gezeigt, dass eine Regierungsbildung auch mal fünf Monate dauern kann?

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SZ vom 14.03.2018
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