Süddeutsche Zeitung

Italien:Stimmung gegen das Fremde

Während Italiens neue Berlusconi-Regierung erwägt, einen Straftatbestand für illegale Einwanderung einzuführen, herrscht mancherorts Pogromstimmung - bei Neapel wurden Nomadencamps angesteckt.

Julius Müller-Meiningen, Rom

Als die Feuerwehr anrückte, wurde sie mit Pfiffen begrüßt. Anstatt die Löscher zu unterstützen, applaudierten die Umstehenden dem lodernden Feuer. Zwei Nomadencamps am Stadtrand Neapels waren bereits am Dienstagabend in Flammen aufgegangen, am Mittwoch wurden weitere Barackensiedlungen von bislang Unbekannten in Brand gesetzt. Verletzt, so hieß es, wurde dabei niemand. In den Ruinen der Holzhütten fand die Polizei die Spuren mehrerer Molotowcocktails.

Während aufgebrachte Bürger in Neapel Selbstjustiz üben, geht auch der italienische Staat rigoros gegen illegal eingewanderte und als kriminell verdächtigte Ausländer vor: Die Regierung von Ministerpräsident Silvio Berlusconi bereitet strenge Sicherheitsgesetze vor, am Donnerstagmorgen nahm die italienische Polizei bei einer groß angelegten Razzia im ganzen Land knapp 400 Menschen, darunter zahlreiche illegal Eingewanderte, fest. Von mehr als 100 Ausweisungen ist die Rede.

Die Ausschreitungen in Neapel hatten folgenden Auslöser: Am vergangenen Wochenende wurde eine 17-jährige Roma in einer Privatwohnung angetroffen, die dort angeblich versuchte, einen Säugling zu entführen. Die Polizei nahm die Frau fest. Sie soll aus einem der Lager stammen, die nun in Flammen aufgegangen sind.

Die Bewohner, aus Osteuropa zugewanderte Roma, verließen noch Dienstagnacht fluchtartig ihre Behausungen und wurden von der Polizei in eine Schule am anderen Ende der Stadt eskortiert.

Hunderte Festnahmen

Am Mittwoch wurden neue Brände gemeldet. Erst jetzt, so scheint es, ist die Pogromstimmung im Viertel Ponticelli gespannter Ruhe gewichen. Der Präsident der Region Kampanien, Antonio Bassolino, sagte: "Diese intoleranten Vorkommnisse gegen die Roma sind schlimme Taten und absolut zu verurteilen." Bassolino vermutet Mitglieder der Camorra hinter den Attentaten. Beweise dafür gibt es bislang nicht.

Als sich die Rauchschwaden über Ponticelli verzogen hatten, gab die italienische Polizei am Donnerstagmorgen bekannt, im ganzen Land eine koordinierte Aktion gegen illegal Eingewanderte sowie gegen mutmaßliche Drogenhändler durchzuführen.

Am Vormittag wurden knapp 400 Festnahmen aus neun italienischen Regionen gemeldet. Die Durchsuchungen richteten sich sowohl gegen illegal nach Italien eingewanderte Menschen, als auch gegen Italiener.

Ziel der Aktion waren jedoch nicht nur Nomadencamps, die an den Stadträndern aller italienischer Großstädte zu finden sind, und die nach offiziellen Angaben von insgesamt etwa 30.000 Personen bewohnt werden. Auch Nachtklubs und andere Lokale wurden durchsucht. Nach Angaben der Polizei wurden neben rumänischen Staatsbürgern auch Italiener, Albaner, Serben, Nigerianer, Ägypter und Tunesier festgenommen.

Jobs als Kindermädchen und Pflegekräfte

Am Donnerstagmorgen durchsuchte die Polizei auch die größte Barackensiedlung in Rom, in der 700 Personen leben. Dort wurden 50 Ausländer ohne Aufenthaltsgenehmigung festgenommen.

Gleichzeitig wurde bekannt, dass Unbekannte in der vorangegangenen Nacht einen Brandsatz in ein verlassenes Gebäude in Mailand geworfen hatten, in dem zwei Immigranten aus Rumänien schliefen. Nach Angaben der Polizei wurde niemand verletzt. Die beiden Rumänen, so schrieb die italienische Nachrichtenagentur Ansa, wurden wegen der Besetzung eines öffentlichen Hauses angezeigt.

Die aktuellen Ereignisse erinnern an den vergangenen Herbst. Im Oktober wurde an einem Bahnhof der Peripherie Roms eine Frau von einem Rumänen überfallen, die dann an den Folgen des Überfalls starb. Daraufhin reagierte die damalige Mitte-Links-Regierung von Ministerpräsident Romano Prodi mit der Ankündigung von Massenausweisungen, die dann nicht durchgeführt wurden. In Italien leben Schätzungen zufolge mindestens 650.000 Einwanderer ohne Aufenthaltserlaubnis, aber mit Arbeit.

Viele von ihnen arbeiten als Kindermädchen oder Pflegekräfte in italienischen Familien. Das Innenministerium berichtete erst im April wieder über die stetig ansteigende Ausländerkriminalität. Rumänische Staatsbürger liegen dabei an der Spitze der Statistik. Im Wahlkampf spielte deshalb die Debatte um die Sicherheit eine tragende Rolle, die vor einem Monat neu gewählte konservative Regierung von Ministerpräsident Silvio Berlusconi hat die Sicherheit zu einem ihrer Hauptanliegen gemacht.

Internierung in Lagern - bis zu 18 Monate

Bereits am kommenden Mittwoch, bei der ersten offiziellen Sitzung des Ministerrats, sollen strenge Maßnahmen beschlossen werden. Das von Innenminister Roberto Maroni vorgeschlagene Gesetzespaket sieht unter anderem vor, illegal Eingewanderte bis zu 18 Monate in Lagern festzuhalten.

Kriminell gewordene Ausländer sollen sofort ausgewiesen werden. Überlegt wird auch, einen Straftatbestand der illegalen Einwanderung einzuführen. Dies gilt jedoch angesichts der angespannten Finanzlage in Italien als unwahrscheinlich. Die bereits überfüllten Gefängnisse würden noch voller, Kosten für zusätzliche Prozesse würden anfallen.

An diesem Donnerstagnachmittag will Maroni seinen rumänischen Amtskollegen in Rom treffen, um bilaterale Maßnahmen zu beraten. Überlegt wird etwa, wie der Zustrom rumänischer Staatsbürger und Angehöriger der Roma gebremst werden kann.

Die italienische Regierung hat sich für strengere Grenzkontrollen, sowie im Fall Rumänien für die Aussetzung des Schengener Abkommens, das die Bewegungsfreiheit aller EU-Bürger garantiert, ausgesprochen. Von kommendem Montag an sollen 15 rumänische Polizeibeamte die italienischen Ermittler bei ihrer Arbeit unterstützen.

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