Es waren Tage wie im Taumel, auch fürs Publikum. Als ginge es um viel, um alles schon. Matteo Renzi polterte in der vergangenen Woche von allen Wahlkampfbühnen herab, gab jedem Lokalsender zwischen Apulien und Ligurien ein Interview, talkte und twitterte sich in einen Flow, besuchte Autofabriken für Selfies mit verdächtig fröhlich lächelnden Arbeitern, erfand immer neue Slogans.
An manchen Tagen tauchte Italiens Premier in schneller Folge an so vielen Orten auf, dass man ihn der Bilokation befähigt wähnte. Renzi bewegt sich nun mal gerne mit einem Hubschrauber der Luftwaffe fort. Und diesmal, vor den Wahlen am Sonntag in sieben Regionen und etwa tausend Gemeinden, schien ihm die rauschhafte Beehrung möglichst vieler der 17 Millionen geladenen Wähler besonders lohnend. Bei allem Lokalcharakter, der ihr anhängt: Die Wahl ist eine nationale "partita", wie sie die Medien mit einer Entlehnung aus dem Sportjargon nennen - ein nationales Match.
Renzi spielt um seine politische Zukunft. Alles schaut auf den Ausgang bei den Wahlen in den sieben der insgesamt zwanzig Regionen Italiens: Gewählt wird im Veneto, in Ligurien, in den Marken, der Toskana, Umbrien, Kampanien und Apulien.
Renzis erträumtes Tennis-Resultat
Zur Zeit regiert Renzis sozialdemokratischer Partito Democratico in fünf von ihnen, in allen nämlich außer dem Veneto und Kampanien. Gelänge es, dieses 5:2 zu halten, wäre man zufrieden. Verlöre man eine zusätzliche Region und siegte nur 4:3, wäre man zwar ziemlich enttäuscht, aber nicht geschlagen. Ein 3:4 scheint ausgeschlossen zu sein, wenn man den Demoskopen folgt, wäre aber natürlich eine krachende Niederlage. Renzis erträumtes Resultat aber ist eines, wie man es aus dem Tennis kennt: 6:1. Kampanien scheint reif für einen Wechsel, obschon sich dort auch bei den Linken eine betrübliche Anzahl windiger Kandidaten um Sitze im Regionalparlament bemühen. Ein sattes 7:0 hingegen ist unwahrscheinlich. Im Veneto, einer Hochburg der rechtspopulistischen Lega Nord, ist die Linke wohl chancenlos.
Ein 6:1 würde Renzis Herrschaft über die Partei festigen. Nach einem 6:1 würden sich wohl auch die internen Kritiker geschlagen geben, die Dissidenten vom linken Parteiflügel - und Reformer Renzi hätte freiere Hand. Ein 6:1 wäre auch eine Bestätigung des erstaunlichen Erfolgs aus dem letzten Jahr, als es der Partito Democratico bei den Europawahlen allein auf 41 Prozent der Stimmen brachte. Dank Renzi. Dank dieser jugendlichen und zuweilen ungestümen Dynamik, mit der der 40-jährige Toskaner das Land ein bisschen aus der Lethargie riss. Ein 6:1 würde belegen, dass die Dynamik trotz des Unmuts über gewisse Reformen und trotz Kritik an Renzis selbstgefälligem bis selbstherrlichem Regierungsstil noch immer wirkt.
Die wichtigste Partie spielt der Premier in Ligurien, der Küstenregion im Norden. Auf diesem schönen und engen Landstreifen zwischen Alpenausläufern und Mittelmeer, mit Genua im Zentrum, muss der Partito Democratico gewinnen. Möglichst deutlich zudem, damit er auch alleine regieren kann, ohne Alliierte. Die Aussicht auf einen Triumph ist aber eher klein, obschon die Linke da ein Heimspiel austrägt. Genua ist traditionell rot, das war es schon zu Zeiten, als der PD noch PCI hieß, Partito Comunista Italiano. Ligurien war immer eine Hochburg der Arbeiterlinken. Bei den Europawahlen vor einem Jahr lag Renzis Zuspruch dort bei 45 Prozent.
Man sollte also meinen, dass es seine Kandidatin, die Politikerin Raffaella "Lella" Paita, eine militante "Renziana" und ebenfalls 40 Jahre alt, einfach haben würde. Doch dann mutierte Ligurien zum Schauplatz für die große Abrechnung, zum politischen Labor, zum Finalspiel. Sowohl die parteiinternen Kritiker als auch die rechte Opposition konzentrierten ihre Kräfte auf diese Regionalwahl, um Renzi den Durchmarsch, das 6:1, möglichst zu vermiesen.
Links von Paita präsentiert sich Luca Pastorino, ein Vertreter der orthodoxen Linken, der auf die Unterstützung der Gewerkschaften und der Dissidenten im PD zählt. Pastorino ist eben erst aus der Partei ausgetreten. Gewinnen kann er nicht. Doch mit genügend Stimmen kann er verhindern, dass Genossin "Lella", die reformerische Linke, gewinnt.
Gegenspieler Pastorino nannte Renzi einen "Masochisten"
Renzi ist so besorgt darüber, dass er in den letzten Tagen gleich zwei Mal an Paitas Seite auftrat, einmal in deren Heimatstadt La Spezia. Gegenspieler Pastorino nannte er da einen "Masochisten", einen Vertreter jener Linken, die lieber verliere: "Die neue radikale Linke ist die beste Freundin Silvio Berlusconis", sagte Renzi, "sie leistet der Rechten erste Hilfe, sie gibt deren Krankenschwester auf der Intensivstation." Die gesuchten Metaphern offenbaren eine gewisse Nervosität.
Die wächst auch deshalb, weil sich die angeblich siechende Rechte ob des linken Bruderkampfs einige Chancen ausrechnet und auf einmal geschlossen auftritt. In Ligurien einigten sich Forza Italia, Lega Nord und die Partei Nuovo Centro Destra, die in Rom mit Renzi regiert, auf einen gemeinsamen Kandidaten, den Europaabgeordneten Giovanni Toti. Berlusconis politischen Berater aus der Toskana verbindet mit Ligurien zwar nur der gelegentliche Urlaub in einem der vielen Badeorte der Region. Doch das scheint nicht wichtig zu sein. Wichtig ist, dass die Kandidatur Totis der Wahl eine zusätzliche nationale Note gibt. Verlöre er, wäre Berlusconis Zeit wohl definitiv überholt und die Rechte müsste sich neu konstituieren.
Fragezeichen hinter dem Erfolg der Protestparteien
Bleibt die Frage nach dem Erfolg der Protestparteien und Systemkritiker, der ja auch andere Länder Europas überzieht, zuletzt jener von Podemos bei den Regional- und Kommunalwahlen in Spanien. In Italien sind die Beliebtheitswerte des Movimento 5 Stelle des früheren Komikers Beppe Grillo konstant hoch, bei etwa 20 Prozent. Die vielen Korruptionsfälle der letzten Monate könnten den Zuspruch mehren, den Verdruss der Wähler über das alte politische Establishment noch schärfen. Und Grillo stammt aus Genua. Er war daheim aber nie sonderlich beliebt, wurde schon ausgepfiffen bei Auftritten.
Dennoch traut Renzi den Prognosen nicht. Sie sehen Paita knapp vorne, viel zu knapp für einen ruhigen Sonntagabend. Er wird lange dauern, länger als eine Sportveranstaltung, ob im Fußball oder im Tennis. Die Wahllokale schließen erst um 23 Uhr.