Italien:Spalten statt versöhnen

Jedes Jahr am 25. April gedenkt Italien der Befreiung von Faschismus und Krieg. Diesmal debattiert das Land heftiger denn je darüber, denn Vizepremier Salvini von der rechten Lega provoziert mit demonstrativer Ignoranz.

Von Oliver Meiler, Rom

Nichts ist mehr heilig, nicht einmal die "Liberazione", die Befreiung von Faschismus und Krieg am 25. April 1945. Schon oft entbrannten rund um den nationalen Feier- und Gedenktag Diskussionen darüber, ob er das Land eint oder trennt. Doch diesmal ist die italienische Politik vielleicht so stark gespalten wie nie zuvor. Die Nostalgiker des Faschismus, denen der Geist noch nie nach Feiern stand, haben prominenten Zuspruch erhalten - nicht direkt, aber doch suggestiv genug.

Matteo Salvini, Vizepremier und Innenminister von der rechten Lega, sagte dieser Tage, dieses "Derby zwischen Kommunisten und Faschisten" langweile ihn. Statt an einer der vielen Kundgebungen teilzunehmen, die im Land stattfinden, reise er nach Corleone, in die frühere Hochburg von Cosa Nostra, Siziliens Mafia, um dort ein neues Polizeikommissariat zu eröffnen. Ihn interessierten die Gegenwart und der Kampf gegen die Mafia, die Camorra und die 'Ndrangheta mehr als die alte Geschichte.

Natürlich hätte er die neue Polizeiwache auch an einem anderen Tag einweihen können, am 24. oder 26. April zum Beispiel. Aber dass er den 25. wählte, ist ja gerade der Punkt. Das Bekenntnis zum Kampf gegen die Mafia mutete auch deshalb etwas ironisch an, da gerade einer von Salvinis engsten Vertrauten und Beratern, Staatssekretär Armando Siri, im Verdacht steht, sich in seiner Rolle als Politiker für einen Unternehmer eingesetzt zu haben, der Verbindungen zur Cosa Nostra haben soll. Salvini stützt Siri ohne Vorbehalt.

Viel zu reden gab auch das Wort Derby. Salvini braucht oft Begriffe aus dem Fußball, um sein Denken möglichst volksnah zu vermitteln. Doch im historisch dramatischen Kontext erschien der seichte Jargon vielen Kommentatoren als besonders deplatziert. Auch sein Koalitionspartner Luigi Di Maio von den Cinque Stelle distanzierte sich. "Der 25. April ist keine Frage der politischen Zugehörigkeit", sagte er. "Er dient jedes Mal dazu, die Treue zu unserer schönen Verfassung zu erneuern." Offene Freude über Salvinis Stellungnahme bekundeten dagegen die neofaschistischen Parteien Casa Pound und Forza Nuova.

Die Zeitungen zeigten in großen Grafiken, welcher Politiker wo am Tag der "Liberazione" auftreten wird. Die Spitzenleute des sozialdemokratischen Partito Democratico etwa marschieren mit den Gewerkschaften und der Vereinigung der antifaschistischen Partisanen durch Mailand zur Piazza del Duomo, wo Zehntausende erwartet werden. Staatspräsident Sergio Mattarella und Premier Giuseppe Conte legen Blumen vor die Grabstätte des unbekannten Soldaten in Rom. Di Maio hat sich im Ghetto angemeldet, dem jüdischen Viertel der Hauptstadt. Kein einziger Minister der Lega nimmt an einem Gedenkanlass teil.

Den 25. April begeht man in Italien seit 1946, per Dekret. Die Idee dafür hatte Alcide De Gasperi, der erste Premier des republikanischen Italien, ein Christdemokrat. Dennoch hielt sich seitdem der falsche Mythos, die Linke feiere an diesem Gedenktag nur sich selbst. In den Reihen der Widerstandskämpfer, die Italien von den Faschisten und den Nazis befreiten, befanden sich nicht nur Kommunisten, sondern auch Liberale, Monarchisten und Katholiken. Es einte sie die Sehnsucht nach Freiheit, die meisten auch jene nach Demokratie. Die italienische Verfassung fußt auf dem Antifaschismus. Es gibt darin einen Paragrafen, der eine Neugründung der faschistischen Partei ausdrücklich verbietet.

In der Zeitung La Repubblica schreibt Liliana Segre: "Freiheit ist eine absolute und unverzichtbare Kategorie, egal, ob der eine oder andere Minister das anders sieht. Am 25. April werden wir wieder sehr viele sein, die diese Emotion teilen." Segre ist 88, sie hat Auschwitz überlebt. Vor einigen Jahren wurde sie von Mattarella zur Senatorin auf Lebenszeit ernannt - als Zeugin wider das Vergessen.

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