Italien: Silvio Berlusconi:Unselige Wut

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Berlusconi dreht auf: Keiner ist mehr sicher vor seiner beispiellosen Offensive. Nicht die Zeitungen, nicht die Europäische Union - und noch nicht einmal die katholische Kirche.

Julius Müller-Meiningen, Rom

Es war ein ruhiger Sommer in Italien. Die Strände trotz der Wirtschaftskrise gut besucht, die heißen Städte wie immer im August verwaist. Und wie sich zum Ende der Ferien nun die Straßen wieder gefüllt haben, die Hupkonzerte erklingen und die üblichen Flüche ausgestoßen werden, so scheint auch Ministerpräsident Silvio Berlusconi wieder zu Energie gekommen zu sein. Keiner ist mehr sicher vor seiner beispiellosen Offensive. Nicht die Zeitungen, nicht die Europäische Union und noch nicht einmal die katholische Kirche.

Als "Gegenangriff" bezeichnet Berlusconi selbst seine Klagen gegen die italienische und internationale Presse. Nun hat es das alte Parteiblatt L'Unità erwischt, gegründet vom kommunistischen Philosophen Antonio Gramsci. "Falsche Behauptungen" über Berlusconi habe L'Unità verbreitet und ihn unter anderem als "Subjekt mit Erektionsstörungen" verleumdet.

Grundlage der Klage, die Berlusconis Rechtsanwalt nun einreichte, ist die Berichterstattung über das Privatleben des Premiers, in der es um Nächte mit der Prostituierten Patrizia D'Addario und anderen Schönheiten ging. Noch im Frühsommer verfolgte der Premier eine eher defensive Verteidigungstaktik mit dem Hinweis, er sei schließlich auch "kein Heiliger". Nun holt er umso heftiger zur Attacke aus.

Schadenersatz verlangte Berlusconi bereits von der römischen La Repubblica, die auch nach Monaten nicht müde wird, zehn Fragen im Blatt abzudrucken, in denen vom Ministerpräsidenten Aufklärung über sein Privatleben und seinen Gesundheitszustand gefordert wird. Berlusconi sagt, er empfinde diese Fragen als ehrenrührig. Auch die Auslandspresse ist längst in seinen Fokus geraten. Die spanische Tageszeitung El País soll für veröffentlichte Bilder von Berlusconis Villa auf Sardinien büßen, auch der französische Nouvel Observateur wurde vor Gericht zitiert. Zuletzt traf die Zeitung der italienischen Bischofskonferenz, Avvenire, eine heftige Attacke aus dem Berlusconi-Lager.

Vittorio Feltri, einer der Medienvasallen des Premiers und Direktor der Berlusconi-Zeitung Il Giornale, griff in einem Artikel Dino Boffo, den Chefredakteur des Avvenire an. Dieser sei homosexuell, habe die Frau seines Liebhabers belästigt und sollte mit seiner Doppelmoral dem Ministerpräsidenten gefälligst keine Vorschriften machen. Boffo hatte als eine der wenigen offiziellen Stimmen des katholischen Italien öffentlich das Privatleben Berlusconis kritisiert. Dino Boffo trat am Donnerstagnachmittag zurück - "wegen einer Kampagne, die mich und meine Familie vergewaltigt".

Wie es heißt, sind die engsten Mitarbeiter Berlusconis verwundert über dessen Angriffe, die nicht nur Medien und Kirche trafen, sondern auch die EU; ein Kommissionssprecher hatte die Abschiebepraktiken Italiens im Mittelmeer kritisiert, woraufhin Berlusconi mit einer Blockade von EU-Entscheidungen drohte. Die Mitarbeiter wundern sich auch über den Zeitpunkt der Angriffe Berlusconis; seine Affären liegen einige Zeit zurück, die Öffentlichkeit hatte sich beruhigt.

Entsetzt haben auch Opposition und Journalistenverbände reagiert, die die Pressefreiheit in Italien gefährdet sehen. Tatsächlich hat Berlusconi, Eigentümer der größten drei Privatfernsehsender, ein eigenartiges Verhältnis zu den Medien. Nur in Italien sei es möglich, so echauffierte sich der 72-Jährige vor kurzem, dass das öffentlich finanzierte Staatsfernsehen die vom Volk gewählte Regierung kritisiert.

© SZ vom 04.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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