Italiens Zeitrechnung mit der harten Rechten an der Macht beginnt mit einem Knall. Der Senat, die kleinere Kammer des römischen Parlaments, hat in seiner ersten Sitzung nach der Wahl vom 25. September und bereits im ersten Durchgang den 75-jährigen Postfaschisten Ignazio La Russa zum Vorsitzenden gewählt. Damit ist der Sizilianer aus Paternò hinter dem Präsidenten der Republik der zweithöchste Amtsträger im Land. Nie zuvor in der italienischen Nachkriegsgeschichte hatte ein Nachlassverwalter des Faschismus eine so prominente Position inne.
Die Promotion ist auch deshalb denkwürdig, weil La Russa zwar alle Wandel mitgemacht hat, vom Neofaschismus des Movimento Sociale Italiano über Alleanza Nazionale bis zu den Fratelli d'Italia. Doch der Faschistenführer Benito Mussolini ist ihm bis heute lieb, dazu steht er auch öffentlich. 2018 lud La Russa einen Reporter der Zeitung Corriere della Sera in seine Wohnung in Mailand ein, wo er schon lange lebt. Der durfte auch im Wohnzimmer filmen, es ist voll mit Memorabilien aus dem "Ventennio", wie die Italiener die 20-jährige Herrschaft des Duce nennen. Bilder von Schwarzhemden, Standarten, Büsten und Statuen des Diktators. In einem Interview sagte er einmal: "Mussolini ist meine bevorzugte historische Persönlichkeit, ich unterstreiche: historisch."
Mit vollem Namen heißt Italiens neuer Senatspräsident Ignazio Benito Maria La Russa, da ist die Verneigung seines Vaters vor dem Duce schon mit drin. Antonio La Russa, ein Anwalt, hatte einst die Sektion der faschistischen Partei auf Sizilien gegründet und war dann während sechs Legislaturperioden italienischer Abgeordneter. Als der Junge 13 war, zog die Familie nach Mailand. Ignazio La Russa wurde an ein internationales Gymnasium im schweizerischen St. Gallen geschickt. Als er zurückkam, schloss er sich dem Fronte della Gioventù an, der oftmals prügelnden Jugendorganisation der Neofaschisten. Selbst prügelte er sich offenbar nie.
La Russa ist Melonis Mentor - und ihre Brücke zum nostalgischen Flügel
1995, als sich die Neofaschisten beim Kongress von Fiuggi zur gemäßigteren Alleanza Nazionale wandelten, um nach vielen Jahren der politischen Isolation etwas Salonfähigkeit zu gewinnen, saß La Russa bereits im Parlament. Selbst seine Freunde fanden, er sehe ein bisschen diabolisch aus - sie nannten ihn "Mefisto", Teufel. La Russa kokettierte mit dem Spitznamen, wie er überhaupt oft versucht, mit Selbstironie und schrägem, nicht selten deplatziertem Humor sein Image zu korrigieren. Seine tiefe, rauchige Stimme und sein sizilianischer Akzent sind so charakteristisch, dass er am Radio nie eingeführt werden müsste. Imitatoren mögen das.
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La Russa war 2012 einer der Mitbegründer von Fratelli d'Italia, der Partei von Giorgia Meloni, der jüngsten Wahlsiegerin. Er ist ihr Mentor und ihre Brücke zum nostalgischen Flügel im Rechtslager. In der ersten Phase der Pandemie sagte La Russa einmal, der römische Gruß mit ausgestrecktem rechten Arm, identisch mit dem Hitlergruß, schütze am besten vor einer Ansteckung. Die meisten Italiener buchen solche Sprüche als Studentenhumor ab. La Russa war in der vergangenen Legislaturperiode bereits Vizepräsident des Senats. Berühmt wurde ein Foto, das ihn zeigt, wie er die Sportzeitung Gazzetta dello Sport liest, während er die Sitzung leitet.
Seiner Wahl zum Präsidenten gingen bemerkenswerte Szenen voraus. Den Vorsitz am ersten Sitzungstag hatte ausgerechnet die Senatorin auf Lebenszeit Liliana Segre, eine Überlebende von Auschwitz, mit 92 Jahren die älteste Anwesende. Sie hielt eine Rede voller Referenzen an den Antifaschismus, bevor sie dann einem Postfaschisten zur Wahl gratulieren musste. Gewählt wurde La Russa überraschend im ersten Durchgang, obschon viele Senatoren von Silvio Berlusconis Forza Italia, der Partnerpartei von Fratelli d'Italia, sich der Stimme enthalten hatten. Etwa zwanzig Stimmen erhielt er von Senatoren aus der Opposition. Als La Russa an Berlusconi vorbeiging, dessen Verteidigungsminister er einmal gewesen war, und ihm etwas zuraunte, entfuhr dem früheren Premier ein "Vaffa", gut erkennbar auf den Aufnahmen: "Fahr zum Teufel!"