Süddeutsche Zeitung

Italienisches Dekret gegen Seenotretter:"Eine Aufforderung zum Ertrinkenlassen"

Italiens rechte Regierung versucht, Seenotretter im Mittelmeer zu kriminalisieren. Sie sollen nur noch einmal pro Fahrt Menschen aufnehmen dürfen - ansonsten drohen harte Konsequenzen.

Von Oliver Meiler, Rom

Das betrübliche Kräftemessen zwischen Italien und den zivilen Seenotrettern im zentralen Mittelmeer geht in eine neue Runde - mit offenem Ausgang. Die römische Rechtsregierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat per Gesetzesdekret einen "Verhaltenskodex" erlassen, der den NGOs unter Androhung von Strafen im Detail vorschreibt, wie sie zwischen Libyen und Italien vorzugehen haben. Im Kern geht es darum, die Arbeit der Helfer zu behindern. Ob der Regierung das zusteht oder sie damit gegen internationale Konventionen verstößt, vielleicht auch gegen die italienische Verfassung - das wird sich erweisen.

Das Dekret dreht sich hauptsächlich um drei Punkte. Erstens soll jedes Schiff pro Expedition nur noch eine einzige Rettungsoperation ausführen dürfen. Kreuzt es auf seiner Fahrt weitere Schiffbrüchige, müsste die Crew demnach wegschauen. Haben die Helfer einmal Menschen in Seenot an Bord geholt, müssen sie deren Anzahl und Herkunft sofort melden, sowohl den Behörden in Italien als auch in dem Land, unter dessen Flagge sie fahren. Italien weist ihnen dann einen sicheren Hafen zu, den die Retter umgehend ansteuern sollen. Der kann auch mal weit weg sein: Die Ocean Viking von SOS Mediterranée zum Beispiel ist gerade mit 113 Migranten unterwegs nach Ravenna an der Adria, nachdem man sie zunächst nach La Spezia am Tyrrhenischen Meer geschickt hatte - allein der Routenwechsel kostete das Schiff vier zusätzliche Tage Fahrt, rund um den Stiefel. Die NGOs fragen sich nun, ob auch das eine neue Taktik sei, um sie möglichst lange von der Rettungszone vor den libyschen Küsten fernzuhalten.

Geldstrafen und Festsetzungen

Zweitens sollen die Geretteten dazu angehalten werden, ihren Asylantrag zu stellen, sobald sie an Bord sind. Die Idee dahinter: So soll das Dubliner Abkommen unterlaufen werden. Es sieht vor, dass Flüchtlinge in dem Land ein Bleiberecht beantragen, in dem sie als erstes europäischen Boden betreten. Italien findet das unfair und will die Länder in die Pflicht nehmen, unter deren Fahne die Schiffe der internationalen NGOs unterwegs sind.

Drittens gibt es nun wieder Geldstrafen für Verstöße gegen den Kodex - bis zu 50 000 Euro. Neu daran ist, dass es sich um Ordnungsbußen handelt, die von den Präfekten, den Abgesandten des Innenministers in den Regionen, verhängt werden. Als Matteo Salvini Innenminister war, lief die Norm unter Strafrecht. Der Unterschied ist beträchtlich: Bislang gingen NGOs einfach vor Gericht und gewannen immer, denn internationales Seerecht steht über nationalem Recht. Administrativstrafen dagegen müssen sofort bezahlt werden. Der Präfekt kann die Schiffe im Wiederholungsfall auch für mehrere Wochen oder Monate festsetzen und ist dabei ziemlich frei.

Experten kritisieren, das Dekret sei viel zu vage gehalten und verführe zu Willkür. Die NGOs können Strafen vor den regionalen Verwaltungsgerichten anfechten, doch die sind in aller Regel langsam.

Auch Italiens Bischöfe sind empört

Alles Schikanen? Italiens Rechte sieht in den Hilfsorganisationen Komplizen der Schlepperbanden, sie nennt sie "Taxis im Meer". Beweise für diesen Vorwurf fehlen. Auch ist die Zahl der von NGOs geretteten und nach Italien gebrachten Flüchtlingen viel kleiner, als es die rechte Propaganda glauben machen will: Von den etwa 103 000 Migranten, die 2022 italienische Küsten erreicht haben, sind 12 000 an Bord privater Rettungsschiffen transportiert worden. Größer ist der Anteil derer, die von Italiens Küstenwache und Marine ins Land gebracht werden.

Die NGOs halten das neue Dekret für eine Kampfansage, einen weiteren Versuch, die private Seenotrettung zu kriminalisieren. Und sie geloben, den Kodex zu ignorieren und weiterzuarbeiten wie bisher. La Stampa titelt: "NGO, die Revolte bricht aus". Die italienische Organisation Emergency erinnert daran, dass allein im Jahr 2022 fast 1400 Menschen bei dem Versuch, über das Mittelmeer nach Europa zu fliehen, ertrunken seien. "Das neue Dekret ist eine Aufforderung zum Ertrinkenlassen", lässt die deutsche Organisation Sea-Watch ausrichten.

Kritisch ist auch die katholische Kirche. Die italienische Bischofskonferenz findet, das Dekret blende einfach aus, dass es Menschen gebe, die im Meer ihr Leben riskierten und einen sicheren Hafen verdient hätten. Die Bischöfe hoffen, dass sich der Vorstoß als juristischer Kurzschluss erweist: "Dieses Dekret fußt auf dem Nichts, es wird bald auseinanderfallen."

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