Wenn Donald Trump an Europa denkt, dann kommt ihm zuerst Viktor Orbán in den Sinn. Der Amerikaner schätzt den ungarischen Ministerpräsidenten für seinen Kampf gegen Migranten und allerlei liberales Gedankengut. Das muss den italienischen Rechtspopulisten Matteo Salvini hart ankommen, denn er ist ein glühender Trump-Anhänger. Auch im Kontakt zur Justiz sind Übereinstimmungen erkennbar: Wie Trump hat auch Salvini schwerwiegende Gerichtsverfahren am Hals, beide wähnen sich von einer feindseligen Justiz verfolgt. Insbesondere für den Italiener könnte es bald ziemlich ungemütlich werden.
Salvini hat deshalb in dieser Woche die Führungsmannschaft der von ihm dominierten zweitgrößten Regierungspartei Lega zusammengetrommelt und sich deren Solidarität versichert. Das hat er womöglich auch nötig, denn im sizilianischen Palermo drohen dem jetzigen Verkehrs- und Infrastrukturminister aufgrund seiner Handlungen als Innenminister im Jahr 2019 sechs Jahre Haft wegen Freiheitsberaubung in zahlreichen Fällen und Amtsmissbrauch. In diesem Sinne hat die Anklage am vergangenen Samstag ein präzises Plädoyer gehalten. Am 18. Oktober wird die Verteidigung vortragen, ehe das Gericht urteilt.
Bekannt wurde in Deutschland vor allem der Fall der jungen Kapitänin Carola Rackete
Noch ist Salvini nicht verurteilt, das Verfahren kann auch mit einem Freispruch enden wie in zwei früheren Fällen. Aber Salvini ist alarmiert, er hat bereits angekündigt, durch alle Instanzen zu gehen. Doch die politischen Konsequenzen für den Minister und stellvertretenden Ministerpräsidenten Salvini können rasch akut werden.
Das Ganze führt zurück in die Zeit, als in Italien eine merkwürdige links-rechtspopulistische Koalition unter Premierminister Giuseppe Conte regierte, in der der damalige Innenminister Matteo Salvini ein starker Mann war. Er hatte nie ein Hehl daraus gemacht, dass ihm die Bekämpfung der Migration ein zentrales Anliegen ist, und als Innenminister hatte er dann die passenden Hebel. Die bediente Salvini brachial. Mehrfach verweigerte er Schiffen mit Hunderten auf dem Mittelmeer vor dem Ertrinken geretteter Menschen die Einreise in italienische Häfen – obwohl er damit klar gegen internationales Recht verstieß.
Bekannt wurde in Deutschland vor allem der Fall der jungen Kapitänin Carola Rackete, die im Juni 2019 mit ihrem Schiff Sea-Watch 3 gegen behördliche Anweisungen in den Hafen der Insel Lampedusa einlief, um die Geretteten an Land bringen zu können. Dafür kam sie vorübergehend in Haft und vor Gericht, später wurde sie freigesprochen und ist mittlerweile ein Fraktionsmitglied der Linken im Europaparlament. Salvini überzog sie und andere private Seenotretter mit heftiger Kritik.
Salvini hatte sich seitdem mehrfach vor Gericht zu verantworten. Bisher ging das immer gut für ihn aus. Einmal verweigerte die damals noch regierende Conte-Regierung die Aufhebung seiner Immunität. Später, nach einem Regierungswechsel, wurde dann zwar mit den Stimmen seines früheren Koalitionspartners, der Fünf-Sterne-Partei, Salvinis parlamentarische Immunität aufgehoben, das Gericht folgte aber seiner Argumentation, dass er nur die Linie der seinerzeitigen Regierung durchgesetzt habe.
Die „Open Arms“ irrte unter den Augen der Weltöffentlichkeit übers Meer
In Palermo verhält es sich nun etwas anders. Zahlreiche damals direkt oder indirekt Beteiligte haben zulasten Salvinis ausgesagt. Möglicherweise wird das Gericht zu der Erkenntnis kommen, dass die Regierung Conte ihren Innenminister Salvini zum Einlenken gedrängt habe, dieser aber eigenmächtig auf seiner Position beharrte. Dann würde die Lage für ihn heikel.
Verhandelt wird der Fall des spanischen Rettungsschiff Open Arms, das im August 2019 vor der tunesischen Küste 163 Migranten von mehreren Booten aus Seenot gerettet hatte. Sowohl die Regierung in Malta als auch die in Rom verweigerten die Zuweisung eines Hafens, um die zuletzt noch 146 Migranten an Land zu bringen. Das Schiff irrte unter den Augen der Weltöffentlichkeit übers Meer, die Situation an Bord wurde zunehmend unhaltbar. Einige Personen mussten mit Hubschraubern an Land geflogen werden, mehrere Migranten sprangen über Bord und versuchten, die Küste aus eigener Kraft zu erreichen.
Doch Salvini verweigerte weiter das Einlaufen – mit dem Argument, zunächst müsse sich die EU auf eine Verteilung der Migranten einigen. Das Drama endete erst, als ein sizilianischer Staatsanwalt sich eigenmächtig an Bord des Schiffes bringen ließ, es beschlagnahmte und damit die Einfahrt nach Lampedusa ermöglichte.
Damals bereits wurde der Ton angestimmt, der in Salvinis Reaktionen bis heute nachhallt. Nach seiner Lesart hat er die EU mit der „Politik der geschlossenen Häfen“ zu notwendigen Beschlüssen zwingen wollen. Ferner habe er durch Abschreckung weitere Migranten von der gefährlichen Überfahrt über das Mittelmeer abgehalten; in der Tat gingen die Zahlen zunächst zurück. Als Mitglied der gewählten Exekutive habe er die „Sicherheit und Würde Italiens“ verteidigt, während ihm eine linksorientierte Justiz in der autonomen Region Sizilien in den Arm gefallen sei und nun im Prozess wieder Front gegen ihn mache. So sieht das entschieden auch Ministerpräsidentin Giorgia Meloni von der Mehrheitspartei Fratelli d'Italia. In ihrer Justizkritik sind sich die Rechten in Italien mit Donald Trump in den USA sehr einig.
Eine weitere Parallele könnte sich im Verhalten von Salvinis Anhängern abzeichnen. Sie diskutieren derzeit, ob sie zu einer großen Kundgebung vor dem Gericht erscheinen sollen. Die aufgebrachte Menge draußen, das Gericht hinter Mauern – das könnte einen dann schon an die Situation vor dem Sturm der Trump-Anhänger aufs Kapitol erinnern.
Zwar gibt es in der Lega auch gemäßigte Kräfte, die von einem „Ruf zu den Waffen“ abraten. Man wolle den Konflikt nicht weiter verschärfen und habe „absolutes und volles Vertrauen in die Justiz“, zitiert die Zeitung Corriere della Sera Salvinis Anwältin, seine Parteifreundin und frühere Ministerin Giulia Bongiorno. Aber die Lunte ist gelegt, es fragt sich nur, wie weit und wie lange sie glimmt.