Italien:Bürgermeister begehren gegen "Legge Salvini" auf

Italien: In Rom demonstrierten Migranten und Bürgerrechtler gegen die Verschärfung der Sicherheits- und Einwanderungsgesetze.

In Rom demonstrierten Migranten und Bürgerrechtler gegen die Verschärfung der Sicherheits- und Einwanderungsgesetze.

(Foto: Vincenzo Pinto/AFP)
  • In Italien wehren sich prominente Bürgermeister aus großen Städten gegen das unlängst verabschiedete Sicherheits- und Immigrationsgesetz der populistischen Regierung.
  • Sie sagen, es stutze auf unzulässige Weise die Grundrechte der Zuwanderer und verursache so statt weniger mehr Chaos.
  • Das fragliche Gesetz ist auch als "Legge Salvini" bekannt, weil es das ideologische Siegel des rechten Innenministers Matteo Salvini trägt.

Von Oliver Meiler, Rom

Ziviler Ungehorsam ist eine alte, oftmals noble Form des politischen Handelns - zumal dann, wenn er im guten Gewissen geboren ist, in der Empörung etwa über die Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit eines Gesetzes. In Italien begehren zum Jahresbeginn prominente Bürgermeister aus großen Städten wortmächtig auf gegen das unlängst verabschiedete Sicherheits- und Immigrationsgesetz der populistischen Regierung. Manche von ihnen drohen damit, es zu ignorieren. Sie sagen, es stutze auf unzulässige Weise die Grundrechte der Zuwanderer und verursache so statt weniger mehr Chaos, mehr Unsicherheit in den Städten und mehr Schwarzarbeit. Sie müssen es ja wissen, als Verwalter vor Ort.

Das fragliche Gesetz ist auch als "Legge Salvini" bekannt, weil es das ideologische Siegel von Matteo Salvini trägt, dem Innenminister und Vizepremier von der rechtsnationalistischen Lega. Seinen gesamten politischen Aufstieg verdankt er dem Thema. Kontrovers ist das Gesetz vor allem deshalb, weil es Zehntausende Asylsuchende, die bisher mit einer "Aufenthaltsbewilligung aus humanitären Gründen" ausgestattet waren, in die Illegalität schickt, in den Untergrund. Den Status des humanitären Bleiberechts gibt es nur noch in ganz seltenen Härtefällen.

Viele dieser neuerdings statusfreien Menschen verlassen das Land aber nicht, weder freiwillig noch zwangsweise: Sie landen auf der Straße. Laut Schätzungen gibt es etwa 120 000 Betroffene - über Nacht gewissermaßen. Alle Rechte und Integrationshilfen, die sie unter dem alten Gesetz genossen, erlöschen sofort.

Das hat vor allem mit Artikel 13 der "Legge Salvini" zu tun. Er verbietet es den Gemeinden, diese Personen in das Register ihrer Einwohner aufzunehmen, wie das bislang der Fall war. Und ohne Eintrag verlieren sie ihr Recht, die Kinder zur Schule zu schicken. Das Gesundheitswesen? Es bleibt ihnen verschlossen. Arbeit finden die Papierlosen höchstens noch in der Schattenwirtschaft, auf den Gemüsefeldern im Süden zum Beispiel, wo sie vom organisierten Verbrechen ausgebeutet werden. Die kritischen Bürgermeister sprechen von einer "sozialen Bombe".

Kosmopolit gegen Nationalist

Ihr Anführer ist Leoluca Orlando, ein alter Fuchs der italienischen Politik. Zum fünften Mal ist der 71-Jährige nun schon Bürgermeister von Palermo. Orlando kündigte an, er werde die neue Norm einfach ignorieren, weil sie "unmenschlich" sei, "kriminogen" und "verfassungswidrig". Das Einwohneramt werde er anweisen, weiterhin alle zu registrieren. Seine Kollegen aus Bari und Neapel, Antonio Decaro und Luigi de Magistris, reden ähnlich entschlossen wie Orlando. Jene aus Florenz, Mailand, Reggio Calabria, Reggio Emilia, Livorno und Parma sind zwar ebenfalls kritisch, überlegen es sich aber noch mit dem zivilen Ungehorsam. Die meisten stehen links, manche aber gehören auch den mitregierenden Cinque Stelle an.

Leoluca Orlando aus Palermo hat sich an die Spitze der Rebellion gestellt

Die italienischen Medien handeln Orlando nun als "Rebellenführer", und diese dramatische Bezeichnung dürfte ihm ganz gut gefallen. Orlando rebelliert gegen seine politische Nemesis: Man kann sich in Italien kaum zwei unterschiedlichere Politiker vorstellen als den Kosmopoliten Orlando und den Nationalisten Salvini, den Sizilianer und den Mailänder. Orlando nannte Salvini einen "Protofaschisten". Der Minister konterte mit "Verräter" und "Freund der illegalen Einwanderer": Wenn Orlando sich tatsächlich weigere, das Gesetz anzuwenden, dann schicke er seine Inspektoren nach Palermo. Die "Party" sei nämlich jetzt auch für die Bürgermeister vorbei, sagte Salvini und brauchte dafür einen alten Kampfbegriff seiner Propaganda - "la pacchia": Party eben, schönes Leben. Im vergangenen Sommer hatte er Aufregung ausgelöst, als er den "Migranten auf Kreuzfahrt über das Mittelmeer" ein Ende der "pacchia" verhieß. Mit solchen Sprüchen macht er Stimmung.

Die Kritik der Bürgermeister mag politisch legitim sein. Doch lange können sie sich dem Gesetz nicht widersetzen. Nachdem der Staatspräsident es unterzeichnet hat, kann nur das Verfassungsgericht es noch kassieren, so es denn angerufen wird und zum Schluss gelangen würde, dass es mindestens in Punkten dem Grundgesetz widerspricht. Vor allem Artikel 13 könnte verfassungswidrig sein: Der Eintrag im Einwohneramt ist ein Grundrecht; er belegt nur, dass die jeweilige Person in der jeweiligen Gemeinde wohnt, mit Namen und Daten.

Italiens Premier Giuseppe Conte stellte sich zunächst ganz auf die Seite seines Innenministers. Doch als er merkte, dass die harte Haltung einem Teil der Cinque Stelle, denen er politisch nahesteht, missfiel, zeigte er sich plötzlich bereit zum Dialog mit den Aufmüpfigen. Es soll nun ein Treffen geben.

Salvini übrigens fand früher, als er noch nicht an der Macht war, dass das gewaltlose Rebellieren durchaus seinen Platz im demokratischen Leben habe. 2016 rief er "im Namen der Lega" allen Bürgermeistern zu, sie möchten sich dem Gesetz zu den eingetragenen Partnerschaften für gleichgeschlechtliche Paare widersetzen. "Ungehorsam gegenüber einem verkehrten Gesetz ist eine Tugend", sagte er damals. Nun ist bürgerlicher Ungehorsam also Verrat am Volk.

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