Süddeutsche Zeitung

Italien:Vergiftetes Klima in Rom

  • Die Regierungskoalition in Rom ist tief zerstritten und könnte schon bald auseinanderbrechen.
  • Die Entlassung eines Staatssekretärs sorgt für Aufregung. Eigentlich hat das Land aber andere Probleme.
  • Die wirtschaftliche Lage ist schlecht, die Arbeitslosigkeit hoch.

Von Oliver Meiler, Rom

Für eine Pressekonferenz blieb keine Zeit, und darüber schien Italiens Premier Giuseppe Conte ganz froh zu sein. Die 58. Sitzung des Ministerrats in der Ära der Populisten war die heikelste von allen und dauerte so lange, dass schon der nächste öffentliche Termin drängte, als sie fertig war. Kamerateams verfolgten Conte bis zur römischen Synagoge, wo er erwartet wurde, um ihm doch noch einen Fetzen zu entlocken: "Wir haben alles unternommen, damit die Bürger das Vertrauen in uns nicht verlieren", sagte Conte. Überzeugt wirkte er allerdings nicht.

Gemeint war der Umgang mit der Akte Armando Siri. So heißt der 47 Jahre alte, bisherige Staatssekretär im Transportministerium und Wirtschaftsguru der Lega, dessen Schicksal in diesem 58. Ministerrat verhandelt wurde. Die Staatsanwaltschaften von Palermo und Rom ermitteln wegen angeblicher Korruption gegen den engen Vertrauten von Parteichef Matteo Salvini. Nun wurde Siri aus dem Amt entlassen. Per Machtakt des Premiers, einem Enthebungsdekret, anders ging es nicht. Siri hatte sich davor standhaft geweigert, zurückzutreten, obschon ihn Regierungschef Conte mehrmals dazu aufgefordert hatte. So etwas war noch nie vorgekommen.

Wahrscheinlich hielt sich Siri für ein Bauernopfer im übergeordneten Kampf zwischen Salvini und Luigi Di Maio von den Cinque Stelle. Der Tonfall der Auseinandersetzung zwischen den beiden Vizepremiers in der "Affäre Siri" war selbst für italienische Verhältnisse ungewohnt rüde. Auf dem Blog der Cinque Stelle, so etwas wie das Zentralorgan der Bewegung, hatte es geheißen, Salvini solle "Eier zeigen" und Siri fallen lassen. Salvini konterte, die Fünf Sterne möchten "das Maul halten und arbeiten". Zwei Wochen lang ging das so, im Crescendo.

Am Ende gewann also Di Maio. Er war dann auch der einzige, der sich nach dem Ministerrat im Pressesaal des Palazzo Chigi zeigte, des Regierungssitzes. Di Maio gab sich bescheiden im Triumph. Das sei nicht sein Sieg, sagte er, sondern "der Sieg aller ehrlichen Italiener". Man werde jetzt weiter am Wandel des Landes arbeiten, gemeinsam mit der Lega. Als Konzession erwartet Salvini, dass die Cinque Stelle seine "Flat Tax" unterstützen, die Einführung also eines einzigen, tiefen Steuersatzes für alle - wenigstens nach außen. Eigentlich sind die Fünf Sterne gegen die Flat Tax. Doch, so hörte man Di Maio nun plötzlich sagen, die Regierung treibe diese voran und gleichzeitig auch noch den Mindestlohn.

Die Attacken unter Alliierten und die Propaganda mit immer neuen Versprechen - alles dient der Kampagne vor der Europawahl und der Profilierung der beiden Parteien. Die wahren Probleme Italiens gehen dabei unter, und auch das ist allen Beteiligten ganz recht so.

Wie die jüngsten Wirtschaftsprognosen aus Brüssel zeigen, ist momentan keine Wirtschaft in Europa schlechter beieinander als die italienische: Für das laufende Jahr ist ein Wachstum von nur 0,1 Prozent vorausgesagt. Greift Rom nicht ein, wird das staatliche Defizit den vereinbarten Rahmen sprengen und im kommenden Jahr 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen. Die Staatsschulden wiederum nähern sich einem italienischen Rekordwert: 135 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung. Die Arbeitslosigkeit soll wieder ansteigen, auf 10,9 Prozent - mehr als drei Prozentpunkte höher als der europäische Durchschnitt.

Die römischen Populisten tragen natürlich nicht die ganze Schuld am trüben Wirtschaftsgang, doch nach Ansicht der Analysten verschärft die Politik von Lega und Cinque Stelle die Probleme zusätzlich. Der Haushaltsplan für 2020, der im Herbst ansteht, dürfte zur Großherausforderung werden; ohne substanzielle Erhöhung der Mehrwertsteuer ist sie wohl nicht zu meistern.

Die wirtschaftliche Verfassung des Landes könnte eine zentrale Rolle spielen bei den politischen Weichenstellungen der kommenden Monate. Zumal dann, wenn die populistische Regierung nach den Europawahlen auseinanderfällt, wie das viele voraussagen. Gewinnt die Lega bei den Europawahlen hoch, wird sie versucht sein, ihre Popularität auch in Sitzen im nationalen Parlament gespiegelt zu sehen. Dafür wären Neuwahlen nötig, und ob es solche gibt, entscheidet in Italien der Staatspräsident.

Implodiert die Regierung, könnte es sein, dass Staatsoberhaupt Sergio Mattarella sich gegen sofortige Neuwahlen entscheidet und stattdessen Experten in ein Übergangskabinett berufen wird, dem dann die Aufgabe zufiele, Wirtschaft und Haushalt vor noch mehr Unbill zu schützen. Für dieses Szenario zirkuliert schon der Name eines möglichen Premiers: Mario Draghi, der bisherige Chef der Europäischen Zentralbank, steht ja kurz vor dem Ende seines Mandats. Sehr populär wäre eine solche Lösung nicht. Aber vielleicht wird sie nötig sein.

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Quelle:
SZ vom 09.05.2019
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