Italien:Wenn Meloni in Kiew hustet

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Die Widersprüche im Inneren ihrer Regierung folgen ihr auch auf Reisen: Giorgia Meloni und Wolodimir Selenskij in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. (Foto: Ukrainisches Präsidialamt/AFP)

Die römische Rechtsregierung zerreißt sich wegen ihrer Haltung zur Ukraine. Die Premierministerin steckt im Dilemma.

Von Oliver Meiler, Rom

Manchmal sprechen Gesten mehr als Worte, die Italiener sind ja Meister darin. Als Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni am Dienstag im ukrainischen Präsidentenpalast mit Hausherr Wolodimir Selenskij vor die Presse trat, ahnte sie, dass eine Frage kommen würde, die ihre ganze, lange vorbereitete Reise nach Butscha, Irpin und Kiew überschatten würde - fast zwangsläufig, eigentlich unausweichlich. Und die Frage nach Silvio Berlusconi und dessen Nähe zu Wladimir Putin, nach dieser falschen Note in Italiens Unterstützung der Ukraine im Krieg, kam auch prompt.

Sie war an Selenskij gerichtet, und der sagte diese nun viel kommentierten Sätze: "Niemand hat je Berlusconis Haus bombardiert mit den Raketen, wie das seine brüderlichen Freunde aus Russland tun. Nie sind sie mit ihren Panzern in seinen Garten vorgedrungen. Niemand hat seine Verwandten ermordet. Nie hat mal jemand um drei Uhr in der Früh die Koffer gepackt für die Flucht, oder nie musste mal eine Frau Essen suchen für die Familie. Alles das dank Russlands brüderlicher Liebe."

Die Schuld am Krieg gibt der alte Ex-Premier allein Selenskij

Meloni hustete und verlangte nach einer Flasche Wasser. Klar, sie war krank in den Tagen vor der Reise, aber der Husten war nun mal eine gute Metapher für die italienische Presse.

Plötzlich lagen alle inneren Widersprüche ihrer Regierung ausgebreitet auf der Weltbühne. Mag sie noch so glaubhaft und oft beteuern, dass sie an der Seite der Ukraine stehe, eins mit Europa, den USA, der Nato - ihre Regierungspartner Berlusconi von Forza Italia und Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Lega haben ihre alte Nähe zu Putin nie abgelegt. Berlusconi gibt sich gar nicht erst die Mühe, sich damit zu verstecken.

Vor zehn Tagen schob er Selenskij in einem öffentlichen Auftritt alle Schuld am Krieg zu. Der bezahle jetzt halt dafür, dass er die autonomen Republiken im Donbass angegriffen habe. Nie würde er ihn treffen wollen, sagte Berlusconi, denn "dieser Signore" lasse zu, dass sein Land zerstört und seine Bürger getötet würden. "Darum beurteile ich das Verhalten dieses Herrn sehr, sehr, sehr negativ."

Die Quertreiber in der Koalition unter Kontrolle zu halten, ist eher illusorisch

Selenskij konterte mit ebenso wenig Diplomatie, wer kann es ihm verdenken. Von Berlusconi hört man jetzt, er sei "verärgert", ja "irritiert". Selenskij, ließ er über seine Gefolgsleute ausrichten, wisse nichts über ihn. Er, Berlusconi, habe einst im Krieg auch vor den Bomben fliehen müssen, das Haus seiner Familie sei damals geräumt worden. Sein Ärger über Selenskij war so groß, dass er ihm in einem offiziellen Communiqué Luft machen wollte, die Falken in seiner Entourage sollen ihn angefeuert haben. Am Ende gewannen dann aber die Tauben, vorerst wenigstens.

Ähnlich groß wie der Ärger über Selenskij scheint aber der Unmut über Meloni zu sein. Bei Forza Italia wirft man ihr vor, sie habe Berlusconi nach Selenskijs Breitseite nicht verteidigt. Ihre rituelle Bemerkung, Italiens Regierungsmehrheit habe bisher alle Gesetzesdekrete für die Ukraine geschlossen durchs Parlament getragen, auch die sechs zu den Waffenlieferungen an Kiew, reichte den Partnern nicht. Im Gegenteil. Der Hinweis hörte sich in ihren Ohren eher so an, als wollte Meloni der Welt mitteilen: Hört nicht auf Berlusconi, der schwätzt nur viel.

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Das metaphorische Husten offenbart aber Melonis ganzes Dilemma: Distanziert sie sich allzu offensichtlich von Berlusconi, der den Bauch des Volkes immer etwas besser deuten kann als seine Konkurrenz, riskiert sie einen Bruch der Koalition. Dieses Risiko ist umso größer, als auch Salvini nur darauf zu warten scheint, seine ungewöhnliche Gefügigkeit im Parlament möglichst bald ablegen zu können. In Umfragen sagen immer mehr Italiener, sie seien des Krieges müde. Distanziert sich Meloni hingegen nicht klar genug von den "Putiniani", den Putinisten, verspielt sie wohl sehr schnell ihre persönliche Glaubwürdigkeit, die sie sich mit einem verlässlichen außenpolitischen Kurs in der Welt erarbeitet hat.

Bisher gelang es, die Spannungen in der Regierung ziemlich gut unter dem Deckel zu halten - etwa damit, dass man nicht nach außen kommunizierte, welche und wie viele Waffen man genau der Ukraine schickt. Die Debatte über eine mögliche Lieferung von Kampfjets entschärft die Regierung schon, ehe sie begonnen hat: Sie würde das Kabinett sprengen. Nach Berlusconis jüngsten Äußerungen hat Meloni intern offenbar auch gefordert, den Querschläger unter Aufsicht zu stellen. Damit der nicht ständig Italiens Position untergräbt. Aber das ist eine Illusion. Berlusconi hat sich noch nie vorschreiben lassen, wie und wann er reden soll. Mögen andere auch verzweifeln darob, oder husten.

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