Italien:Wirre Inszenierung eines Dramas

Second round of talks to form a new government, in Rome

Bizarr bleibt diese Krise bis zuletzt, mit ständigen Volten der Protagonisten.

(Foto: REUTERS)
  • Italiens Staatspräsident Mattarella hat eine weitere zweitägige Konsultationsrunde eröffnet, die letzte, wie er die Politiker wissen ließ.
  • Cinque Stelle und Partito Democratico ist daran gelegen, dass ihre Wählerschaften nicht denken, sie würden diese Allianz leichten Herzens eingehen.
  • Immerhin hatte man sich bis vor genau drei Wochen noch inbrünstigst bekämpft und gegenseitig beschimpft.

Von Oliver Meiler, Rom

Einige Stunden noch, dann sollte "die verrückteste Regierungskrise der Welt" vorbei sein. So, als gäbe es an dieser Einschätzung keine plausiblen Zweifel, nennen die italienischen Medien den überraschenden und offenbar nicht zu Ende gedachten Bruch von Matteo Salvinis rechter Lega mit den Cinque Stelle nach nur 14 Monaten an der Macht, mitten im August. Und bizarr bleibt diese Krise bis zuletzt, mit ständigen Volten der Protagonisten.

Staatspräsident Sergio Mattarella hat am Dienstag eine weitere zweitägige Konsultationsrunde eröffnet, die letzte, wie er die Politiker wissen ließ - eilig und auch ein bisschen verärgert über die taktischen Spielchen im Hintergrund. Doch als die ersten Gäste im Quirinalspalast erschienen, war noch immer nicht klar, ob sich die Fünf Sterne und die Sozialdemokraten vom Partito Democratico einigen würden auf eine neue Koalitionsregierung: Sie nahmen sich die ganze Zeit, die ihnen Mattarella zur Verfügung gestellt hatte, um bei den Verhandlungen jeweils möglichst viel für sich herauszuholen. Das Staatsoberhaupt hatte gedroht, er werde die Kammern auflösen und Neuwahlen anordnen, sollten die beiden Parteien nicht zusammenfinden. Im frühesten Fall wären Wahlen Mitte November möglich.

Allen Wirren zum Trotz blieb zunächst aber die Bildung eines neuen, gelb-roten Kabinetts das wahrscheinlichste Szenario, und zwar mit Premier Giuseppe Conte als altem und neuem Regierungschef. Salvini, den man in Italien noch bis vor drei Wochen für unschlagbar hielt und für den neuen starken Mann - er würde in diesem Fall seine beiden Posten als Innenminister und Vizepremier verlieren und in der Opposition landen, theoretisch für dreieinhalb Jahre. So lange dauert die laufende Legislaturperiode noch.

Doch wenn die Verhandlungen als Gradmesser dienen, kann man davon ausgehen, dass eine neue Regierung nicht viel ruhiger navigieren würde als die verflossene. Sie sind voller Dramen, kleiner und großer, getaktet von geheimen oder nächtlichen Treffen, Gerüchten und Vorwürfen. Am Dienstag sagte man ein fest eingeplantes Gipfeltreffen im Palazzo Chigi, dem römischen Regierungssitz, in letzter Minute ab. Ein Teil des großen Dramas ist wohl inszeniert: Beiden Parteien ist daran gelegen, dass ihre Wählerschaften nicht denken, sie würden diese Allianz leichten Herzens eingehen. Immerhin hatte man sich bis vor genau drei Wochen noch inbrünstigst bekämpft und gegenseitig beschimpft.

Der bisherige Premier Conte ist zentraler Streitpunkt

Der Partito Democratico sträubte sich deshalb gegen eine Bestätigung Contes als Premier, obschon sich der durch seine denkwürdige Abrechnung mit Salvini im Senat ein neues politisches Image erredet hatte: In nur 50 Minuten gelang es ihm, ein Jahr der Bücklinge zu löschen. Nicola Zingaretti, der Sekretär der Sozialdemokraten, aber fand, das reiche nicht aus, um nach dem Kollaps des populistischen Experiments eine Wende zu markieren - eine "Diskontinuität", wie er es nennt. Dafür brauche es einen neuen Premierminister, ein rundum erneuertes Kabinett und ein radikal neu ausgerichtetes, sozialeres, grüneres Regierungsprogramm.

Zingaretti blieb zunächst hart, obschon die Fünf Sterne ultimativ auf dem Anwalt und Rechtsprofessor bestanden, weichte sein Veto gegen Conte aber später auf. Es hatte nämlich zusehends auch Druck von einem schönen Teil der Linken gegeben, von Politikern, Intellektuellen und Gewerkschaftern. Allen ist gemeinsam, dass sie Salvini verhindern wollen. Auch aus der katholischen Hierarchie gab es Pressionen. Conte ist nun mal beliebt im Volk, er pflegt gute Beziehungen zum Vatikan, und er hat nun den Ruf des "Anti-Salvini".

Doch ist er auch parteilos? In der populistischen Regierung hatte es immer geheißen, Conte sei ein Notar von Lega und Cinque Stelle, der nur über die Einhaltung des Koalitionsvertrags wachen sollte. Spätestens seit der Standpauke im Senat und den Umarmungen der Minister von den Cinque Stelle ist er nun ein Politiker in aller Form. Ein Stern. Und als solcher, finden die Sozialdemokraten, soll er auch gezählt werden, wenn über die gerechte Vergabe der Posten in der neuen Regierung geredet wird.

Hier kommt Luigi Di Maio ins Spiel, der angeschlagene Chef der Cinque Stelle. Er kämpft gerade um sein politisches Überleben, nachdem die Partei unter seiner Leitung zuletzt viel Gunst im Volk verloren hatte. Bei jeder Gelegenheit erhöht Di Maio nun den Einsatz, um Zingaretti in die Ecke zu drängen. Er soll nicht nur ein klares Bekenntnis zu Conte als Premier verlangt haben, sondern für sich selbst den Verbleib im Amt als Vizepremier und dazu noch das Innenministerium, das ja nun frei wird. Auch Italiens neuen EU-Kommissar will Di Maio bestimmen, wie man hört.

Den Sozialdemokraten ging das alles viel zu weit. Weil sie Conte für einen Stern halten, soll es nur einen Vizepremier geben - einen der Ihren, für die Balance. Und im Innenministerium wünschen sie sich jemanden, der nicht so direkt mit Salvinis Migrationspolitik verbunden ist wie Di Maio. Außerdem pocht der Partito Democratico für sich auf einige gewichtige Ressorts, damit die Wende auch nach außen klar erkennbar wird. Die Rede ist vom Wirtschafts-, Arbeits-, Industrie- und Außenministerium.

Salvini wirft den beiden Parteien deshalb vor, sie klebten nur an ihren "poltrone", an Sesseln und Posten also. Sie hätten diesen "Umsturz" schon lange geplant gehabt, behauptet er. Das ist eine etwas merkwürdige Erzählweise: Salvini war es ja, der am 9. August alle überraschte mit seinem Sommermanöver. Nun redet er schon wie der neue Oppositionschef.

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