Süddeutsche Zeitung

Italien:Rasante Flucht übers Mittelmeer

  • Sizilianische Ermittler sind einer Schlepperbande auf die Schliche gekommen, die Migranten per Schnellboot nach Italien gebracht haben soll.
  • Fünfzehn mutmaßliche Mitglieder wurden festgenommen, darunter auch der Chef.
  • In einem der beschlagnahmten Boote befand sich Schmuggelware.

Von Oliver Meiler, Rom

Die Flucht über das Mittelmeer muss nicht gefährlich sein. Es geht auch bequem und sicher; an Bord von modernen Schlauchbooten, deren Motoren so stark sind, dass die Schiffe über das Wasser gleiten, ja fast fliegen. Zum Beispiel von Kap Bon, der Spitze einer Halbinsel bei Tunis, auf direktem Weg nach Marsala, einer Hafenstadt am südwestlichen Rand Siziliens, Provinz Trapani, in nur dreieinhalb Stunden. Für 3000 Euro.

Die Staatsanwaltschaft von Palermo hat eine Bande ausgehoben, die wie eine Reiseagentur für wohlhabende Migranten aus dem Maghreb gearbeitet hat. Alles soll sie organisiert haben: die Unterkunft vor der Überfahrt, den Empfang bei Ankunft in Marsala, die Weiterreise in den Norden Italiens und, gegebenenfalls, ins nördliche Europa - nach Deutschland, Belgien, Frankreich. Die Steuermänner waren erfahrene Seeleute und gut bezahlt: 5 000 Euro pro Fahrt. An Bord führten sie genügend Treibstoff mit, um notfalls gleich wieder umkehren zu können, 365 Liter in Kanistern. Maximal 14 Passagiere reisten jeweils mit. Die italienischen Medien beschreiben den Fluchtdienst als "Luxustaxi".

Operation "Scorpion Fish"

Seit vergangenem Januar hatten die Ermittler im Rahmen der Operation "Scorpion Fish" die Umtriebe der Organisation beobachtet. Die Guardia di Finanza, Italiens Finanzpolizei, hörte dafür die Telefongespräche der Mitglieder ab, verfolgte die Routen, filmte die Boote, bevor sie zuschlug. 15 Mitglieder der Bande wurden festgenommen, unter ihnen auch der mutmaßliche Chef, ein 28 Jahre alter Tunesier, und dessen Partnerin, eine 55 Jahre alte Italienerin. Die wichtigsten Figuren, sagen die Ermittler, seien allesamt Nordafrikaner. Bei ihrer Razzia beschlagnahmte die Polizei zwei Schnellboote und zehn Autos. In einem der Schiffe fanden sie einen Zentner Zigaretten.

Besondere Aufmerksamkeit erlangte die Operation "Scorpion Fish" aber nicht wegen der Schmuggelware, sondern wegen eines Verdachts, den der Oberstaatsanwalt von Palermo, Francesco Lo Voi, nach der Razzia vor den Medien äußerte: Die Ermittler hätten Konversationen gelauscht, die darauf hindeuteten, dass auch Dschihadisten den Fluchtdienst der Bande benutzt haben könnten, um nach Europa zu gelangen. In einem Gespräch höre man einen skeptischen Passagier sagen, er hoffe nur, dass er ans Ziel komme und ihn die Italiener nicht "wegen Terrorismus" wieder nach Tunesien zurückbringen würden. In einem anderen Telefonat sagt die italienische Partnerin des mutmaßlichen Bandenchefs, als der besorgt ist über ihre Loyalität: "Ich schwöre auf Mohammed, der mein Leben ist." Einmal ist die Rede von "der gerechten Causa".

Italien als Transitstaat

Mehr als ein Verdacht ist es nicht. Doch dem Oberstaatsanwalt schien dieser doch so bedeutend zu sein, dass er die Aktivitäten der Bande nicht nur als Begünstigung illegaler Einwanderung einstufte, die in Italien unter Strafe steht, sondern als "Bedrohung für die nationale Sicherheit". Man werde nun weiter ermitteln.

Die Vermutung Lo Vois facht eine alte Diskussion neu an: Seit einigen Jahren fragt man sich in Italien, ob Terrororganisationen den Fluchtweg über das Mittelmeer nach Italien als Reisekorridor für ihre Emissäre benutzen. Auch dafür gibt es keine Indizien. Doch in der politischen Debatte kommt das Thema immer wieder auf, regelmäßig angeheizt von der rechtspopulistischen Lega Nord. Es wird dann auch spekuliert, dass Italien in jüngerer Vergangenheit womöglich deshalb im Gegensatz zu allen anderen großen europäischen Ländern keine islamistischen Terroranschläge erleiden musste, weil es wegen der vergleichsweise einfachen Ein- und Ausreise als Transitstaat dient - und deshalb gezielt verschont wird.

Eine weitere abenteuerliche, jedoch oft herumgereichte These lautet so: Die Mafia arbeite mit den Islamisten zusammen, und darum ließen die Terroristen Italien in Ruhe. Völlig unbelegt. Recht erstaunlich erscheint indes, dass da eine tunesische Bande über lange Zeit ungestört einen lukrativen Fluchtdienst betrieben haben soll, ohne dass die Mafiaclans von Trapani, denen sonst kein Geschäft auf ihrem Territorium entgeht, davon gewusst haben. Das wäre eine Sensation.

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SZ vom 09.06.2017/ees
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