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Italien:21 Kanonenschüsse und ein Finale mit viel Würde

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Italiens alter und neuer Präsident, Sergio Mattarella, ist vereidigt. In einer bewegenden Rede erklärt er den Italienern, was er unter Würde versteht.

Von Oliver Meiler, Rom

Italien ist schon lange keine Monarchie mehr, seit fast 76 Jahren. Für den Tag der Vereidigung ihrer Präsidenten aber holen die Italiener immer ein quasiroyales Zeremoniell mit viel Formalem und rotem Teppich aus der Kiste. Als Sergio Mattarella, der widerwillig wiedergewählte Staatschef, am Donnerstag für ein zweites Mandat von sieben Jahren auf die Verfassung der Republik schwor, tönten vom Gianicolo, einem Hügel Roms, 21 Kanonenschüsse rüber zum Palazzo Montecitorio, Sitz der Abgeordnetenkammer. Die Aula war zum ersten Mal seit Beginn der Pandemie wieder einmal voll besetzt und festlich behangen mit riesigen Trikoloren. Alle großen Fernsehanstalten übertrugen live. Man fragte sich, ob Mattarella die Politik schelten würde dafür, dass sie ihn zu einem Weitermachen nötigt, wie das sein Vorgänger Giorgio Napolitano getan hatte. Auch Napolitano war 2013 gegen seinen Wunsch wiedergewählt worden, als Erster in der Geschichte.

Doch Mattarella hat ein ganz anderes, weniger lehrerhaft strenges Naturell. Die Wiederwahl, sagte er in seiner bewegenden halbstündigen Rede an die Nation, sei für ihn "unerwartet" gekommen. "Ich kann und will mich dieser Verantwortung aber nicht entziehen." Die Italiener, vor allem die in Schwierigkeiten, hätten ein Recht darauf, dass sie mit ihren Problemen nicht alleingelassen würden. "Hätten die tiefe politische Ungewissheit und die Spannungen noch länger angedauert, wären ihre Erwartungen kompromittiert worden." Mattarella sprach von "quälenden Tagen" beim langwierigen Prozedere der Präsidentenwahl vergangene Woche. "Sie waren quälend für alle, auch für mich." Und dieses Bewusstsein habe ihn dazu gebracht, die Wiederwahl anzunehmen. Das Virus sei noch nicht besiegt, die sanitären, wirtschaftlichen und sozialen Notstände seien noch nicht überwunden: "Wir können uns keinen Verzug und keine Ungewissheiten leisten."

Mattarella wurde alle paar Sätze unterbrochen von Beifall und stehenden Ovationen. Selbst die oppositionellen Senatoren und Abgeordneten von den postfaschistischen Fratelli d'Italia klatschten meistens mit, dabei hatten sie ihn gar nicht gewählt. Ein bisschen Kritik am politischen Betrieb gab es dann aber doch: "Ohne mitreißende Parteien fühlt sich der Bürger allein und wehrlos", sagte Mattarella. Besonders deutlich fiel die Passage aus, die er der reformbedürftigen Justiz widmete. "Seit viel zu langer Zeit schon ist die Justiz ein Spannungsfeld, in dem oftmals das Interesse der Kollektivität vergessen wird." Italiens Staatspräsident ist auch Chef des Obersten Rats für das Gerichtswesen.

Im offenen Cabriolet zurück in den Palast, aus dem er schon ausgezogen war

In Erinnerung bleiben wird Mattarellas Rede aber vor allem für das Finale. Es bestand aus einer langen Reihe von Erklärungen dafür, was er unter Würde versteht - unter dignità. Würdevoll sei zum Beispiel, wenn man sich gegen Rassismus und Antisemitismus erhebe, gegen die Gewalt an Frauen, gegen den Tod auf den Fluchtrouten nach Europa und gleichzeitig gegen die Schlepper, gegen Armut, gegen die Mafia. Würde bedeute auch, dass man nicht wählen müsse zwischen Arbeit und Mutterschaft. "Würde also soll der Grundstein unseres Engagements sein, unserer Leidenschaft als Bürger." Zum Schluss zitierte Mattarella die letzten Worte von David Sassoli, dem kürzlich verstorbenen Präsidenten des Europaparlaments: "Die Hoffnung sind wir."

Zum Zeremoniell gehört auch, dass der vereidigte Präsident die Treppen des Altars des Vaterlandes hochsteigt, des "Vittoriano", und am Grab des Unbekannten Soldaten Blumen niederlegt, während die Jets der Frecce Tricolori die drei Landesfarben an den römischen Himmel malen. Darauf stieg Mattarella in einen Lancia Flaminia 335 aus den Sechzigerjahren, mit offenem Dach trotz Winterkälte, flankiert von Corazzieri, einer Sondereinheit der Carabinieri zu Ross. Und ließ sich zurück in den Quirinalspalast fahren, aus dem er eigentlich schon ausgezogen war.

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