Italien:Per Mausklick zur Regierung

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Das Land erwartete mit Höchstspannung den Ausgang der Internet-Abstimmung bei den Fünf Sternen. Dann folgte die Erleichterung: 79 Prozent votierten für ein Bündnis mit den Sozialdemokraten.

Von Oliver Meiler, Rom

Für ihn soll nun das Verteidigungsministerium freigemacht werden: Luigi Di Maio. (Foto: Andreas Solaro/AFP)

Im Nachhinein wird man dann einmal den Kopf schütteln, ganz bestimmt. Italien erlebt in diesem Sommer 2019 ein politisches Drama, das sich ganz gut eignen würde für eine dieser Fernsehserien. Alles wirkt wie aus einem Drehbuch: die barocken Figuren, die Szenen, die immer neuen Wendungen. Heroen fallen, vermeintliche Loser beginnen plötzlich zu glänzen. Als dann endlich alles entschieden zu sein schien, wartete das routinierte, zuweilen belustigte und öfters noch verwunderte Publikum einen vollen Dienstag lang gebannt auf das Verdikt von einigen Zehntausend Italienern, die auf einer mysteriösen Onlineplattform namens "Rousseau" Ja oder Nein sagen sollten zu einer neuen Koalitionsregierung aus zwei früheren Rivalen: den ideologisch schwer verortbaren Cinque Stelle und dem sozialdemokratischen Partito Democratico.

Nun, sie sagten Ja, ziemlich massiv sogar: 79 Prozent. Da auf "Rousseau" ein Mausclick genügt, erfuhr man das Ergebnis schon eineinhalb Stunden nach Abschluss der Abstimmung am Dienstagabend. Teilgenommen hatten 80 000 User, ein neuer Rekordwert. Über den Ausgang war im Vorfeld heftig gerätselt worden, und das allein war ungewöhnlich. Normalerweise ist allen Teilnehmenden klar, wie die Spitze der Cinque Stelle die Angelegenheit sieht, und sie folgen deren Linie. Diesmal nicht. Nicht alle Spitzenleute warben gleich enthusiastisch für das neue Bündnis, manche waren gar offen dagegen. Etwa Alessandro Di Battista, der Popstar der Bewegung, der sich gerne als eine Art römischer Che Guevara geriert. "Dibba", wie sie ihn nennen, kann nur gewinnen, wenn es bald Neuwahlen gäbe: Die jüngsten Parlamentswahlen hatte er ausgelassen, er nahm auch keinen Ministerposten an und reiste stattdessen mit seiner jungen Familie durch Südamerika. Eher lauwarm reagierte auch Luigi Di Maio, der politische Chef der Partei und bisherige Vizepremier, und auch das verwundert nicht: Als ehemaliger Alliierter von Matteo Salvini von der Lega, wird ihm angelastet, die Seele der Sterne an die Ultrarechten verkauft und die Stimmen in einem Jahr halbiert zu haben.

Beppe Grillo soll dem störrischen Luigi di Maio eine monumentale Zurechtweisung verpasst haben

Di Maio kämpfte bis zuletzt darum, auch im geplanten Kabinett "Conte II", benannt nach dem alten und vielleicht auch neuen Regierungschef Giuseppe Conte, Vizepremier zu bleiben. Tagelang spielte er mit den Nerven aller Beteiligten, setzte Ultimaten und forderte immer mehr Konzessionen vom neuen Koalitionspartner. Bis Beppe Grillo einschritt. Der Gründer und "Garant" der Bewegung soll den jungen Neapolitaner in einer monumentalen Zurechtweisung dazu gedrängt haben, seine Spielchen um Posten, Punkte und Macht aufzugeben.

Unterdessen hatte nämlich der Partito Democratico seinerseits auf die Benennung eines eigenen Vizepremiers verzichtet. Di Maio fehlte nun jede Verhandlungsbasis, um selbst Vize zu bleiben. Für ihn soll nun das Verteidigungsministerium freigemacht werden. In einem Video erklärte er der Basis, dieses ganze Gerede über seine persönlichen Ambitionen sei erfunden. Ihm sei nur wichtig gewesen, dass die Cinque Stelle in der Regierung Giuseppe Contes der "super partes" seien und eine adäquate Vertretung stellen.

Dass Conte über den Parteien schwebt, wie Di Maio behauptet, ist natürlich eine etwas sonderbare Deutung: Die Sterne hatten den Rechtsprofessor ja vorgeschlagen - und zwar ultimativ: Entweder mit Conte oder gar nicht, ließen sie die Sozialdemokraten schon ganz zu Beginn der Gespräche wissen.

Conte selbst gefällt sich auch in dieser Rolle. Sie ermöglicht es dem neuen Liebling der Italiener, alle bei Laune zu halten. Auch Conte drehte ein Video, er wandte sich darin hauptsächlich an die User auf "Rousseau". Es sei ihm bewusst, dass viele "perplex" seien ob der Entwicklungen der vergangenen Wochen. Doch sei es nun Zeit, die Zweifel abzulegen, man habe nämlich eine einmalige Chance, Italien zu verändern. "Legen wir unsere Träume nicht in die Schublade", sagte Conte in der zentralen Passage seiner Eigenwerbung.

Der Satz brachte ihm viel Zustimmung und auch etlichen Spott ein. Manche erinnerten sich an einen anderen euphorischen Satz Contes, gar nicht lange her. In den Neujahrswünschen für 2019 sagte er: "Das wird ein wunderschönes Jahr werden." Un anno bellissimo. Damals regierte er noch mit der Lega.

Matteo Salvini hält Conte nun für eine "Marionette von Merkel und Macron", einen "Usurpatoren der Macht", einen "Wendehals". Im Senat, erzählt die Lega herum, seien neun Sterne bereit, bei der Vertrauensabstimmung gegen Conte zu stimmen. Und da im Senat die Mehrheitsverhältnisse äußerst knapp sind, könnte es auch dann noch eine dramatische Wendung geben. Sehr wahrscheinlich ist das Szenario nicht, aber bei dem Plot dieser Sommerserie scheint nichts ganz ausgeschlossen zu sein.

© SZ vom 04.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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