Italien:Nur nicht stillstehen

Rom beharrt auf seinem expansiven Haushalt. Das Zerwürfnis mit Brüssel könnte der rechtspopulistischen Regierung sogar nutzen.

Von Oliver Meiler und Alexander Mühlauer, Rom/Brüssel

Da stellt sich jemand auf einen Dauerlauf ein, sinnbildlich und auch sonst. Matteo Salvini, Italiens Innenminister und starker Mann in der populistischen Regierung, ließ sich filmen und fotografieren, wie er am Dienstagabend durch die dunklen Gassen Roms joggte: mit einem verschwitzten Poloshirt der Polizei, einer Schirmmütze und Socken bis zu den Knien. Eines der Bilder postete er dann auf Twitter: "Ein bisschen rennen vor der Ministerratssitzung. Wer stillsteht, der verliert." Da bei Salvini auch platte Sprüche nie einfach nur banal sind, ließ sich der Tweet als Einstimmung auf die Eskalation verstehen, auf die sich die Regierungsspitze kurz darauf einigte.

Rom beharrt nun also tatsächlich auf seinen expansiven Haushaltsplänen. Es nimmt in Kauf, dass die EU-Kommission ein Defizitverfahren gegen Italien einleiten könnte. Zwei Mahnungen aus Brüssel haben nichts gebracht. Es wäre das erste Mal überhaupt in der Geschichte, dass das Prozedere durchgeführt würde. Ein Defizitverfahren kann zu einem Bußgeld von bis zu 0,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts führen. Im Fall von Italien wären das etwa 3,4 Milliarden Euro. Auch der Entzug von EU-Fördermitteln wäre möglich. Die anderen Mitgliedsstaaten müssten einem Verfahren wegen exzessiven Defizits nicht zustimmen. Verhindert werden könnte dies nur, wenn eine Mehrheit der Länder dagegen votierte. Doch das ist nicht absehbar.

Italy's Luxury Resort As Austerity Measures Grip Country

Luxus in Portofino: Viele Italiener sind durchaus vermögend. Die Staatskassen dagegen sind leer.

(Foto: Alessia Pierdomenico/Bloomberg)

Brüssel will sich zu den Haushaltsplänen aller EU-Staaten am 21. November äußern. Entscheidet sich die Kommission für ein Defizitverfahren, wäre das eine durchaus umstrittene Premiere. Schließlich bliebe Italien mit einer bislang geplanten Neuverschuldung von 2,4 Prozent der Wirtschaftsleistung unter der erlaubten Grenze von drei Prozent. Das anvisierte Defizit wäre allerdings drei Mal so hoch wie von der Vorgängerregierung mit Brüssel vereinbart. Die EU-Kommission spricht deshalb von einer "beispiellosen" Abweichung von den Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Die Behörde verweist darauf, dass damit Italiens Staatsverschuldung von etwa 130 Prozent des Bruttoinlandsprodukts weiter wächst.

In Brüssel hegt man keine große Hoffnung, dass Italien überhaupt noch einlenkt. Das wäre wohl nur der Fall, wenn der Spread, die Zinsdifferenz zwischen italienischen und deutschen Staatsanleihen, über eine gefährliche Schwelle springen und die Schulden unerschwinglich machen würde: 400. Diese Zahl gilt in Rom als Grenzmarke, um doch noch einmal die Budgetpläne zu überarbeiten. Weit weg ist man nicht mehr: Am Mittwoch lag der Spread zeitweise bei 315 Punkten.

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EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte Rom in den vergangenen Wochen immer wieder aufgefordert, die Pläne zu korrigieren. "Das Regelwerk muss respektiert werden, und es kann auch von Italien respektiert werden, weil wir seit 2015 in den Anwendungsbereichen des Stabilitätspakts so flexibel waren, dass die Italiener in den letzten Jahren 30 Milliarden Euro mehr ausgeben konnten, ohne dass die Stabilitätsklappe gefallen ist", sagte er beim SZ-Wirtschaftsgipfel in Berlin. Man habe sich "von der sturen Anwendung des Stabilitätspakts entfernt", so Juncker, "und ich hätte gerne von Italien, dass man das anerkennt."

Die Aussicht ist gering. Im jüngsten Antwortbrief der Italiener steht, man habe die Gründe für die Einführung eines Bürgerlohns, für bessere Renten und Steuersenkungen schon hinlänglich erklärt: Italien brauche diese Maßnahmen, damit seine Volkswirtschaft aus dem Tief finde. Einige Milliarden seien überdies nötig, um die Schäden der jüngsten Unwetterkatastrophen zu beheben. Dennoch sei man überzeugt, dass Italien seine Schuldenlast in den kommenden Jahren sukzessive verringern könne. Außerdem sei man bereit, für 18 Milliarden Euro Immobilien des Staates zu veräußern, damit das Defizit die angepeilte Quote nicht überschreite. Vizepremier Luigi Di Maio von den Cinque Stelle schickte nach, der "Familienschmuck" werde nicht verkauft, nur Verzichtbares. Doch ob sich für Verzichtbares Käufer finden lassen? 18 Milliarden, das ist viel Geld.

Das Problem an der ganzen Budgetrechnung ist, dass sie mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht aufgehen wird. Das findet nicht nur die EU-Kommission, sondern auch Italiens Zentralbank, der römische Rechnungshof, der Arbeitgeberverband Confindustria, der Internationale Währungsfonds, die Europäische Zentralbank. Die Regierung geht unbeirrt davon aus, dass Italiens Wirtschaft 2019 um 1,5 Prozentpunkte wachsen wird, obschon alle Finanzinstitute die Prognose für viel zu optimistisch halten. Im Moment steht Italiens Motor nämlich still: 0 Prozent Wachstum.

Natürlich wissen das Salvini und Di Maio. Doch der Showdown ist gewollt, man will daraus Profit schlagen. Lega und Cinque Stelle sind EU- und Euro-skeptisch. Kommt es zum Defizitverfahren, würden Salvini und Di Maio behaupten, Brüssel hindere sie daran, Gutes zu tun für das Volk. Und zwar würden sie das jeden Tag sagen - bis zu den Europawahlen im kommenden Mai. Ein Dauerlauf. Die simple Formel geht bisher auf: Der Zuspruch für die beiden Parteien liegt konstant bei insgesamt sechzig Prozent.

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