Italien:Aus dem Schatten in die Legalität

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Die teils erbärmlichen Zustände für Landarbeiter seien in Zeiten von Corona eine Gefahr für alle, warnt die italienische Agrarministerin. (Foto: Patrizia Cortellessa/imago)
  • Italiens Regierung gibt Hunderttausenden Schwarzarbeitern, darunter zahlreiche illegalen Einwanderer, die Möglichkeit, sich zu legalisieren.
  • Dem Land fehlen Saisonarbeiter in der Agrarwirtschaft und in der Pflege. Ungefähr 600 000 Menschen könnten zeitlich beschränkte Aufenthaltsbewilligungen erhalten.
  • Durch die Maßnahme sollen sich auch die Lebensbedingungen der Betroffenen bessern.

Von Oliver Meiler, Rom

Italiens Regierung übersteht eine Zerreißprobe, ausgetragen in nächtlichen Krisensitzungen, die gar nicht nötig gewesen wäre. Und doch gab es politisches Drama, als würde das Kabinett gleich auseinanderfallen. Am Mittwochabend präsentierte Premier Giuseppe Conte aber das im April angekündigte Hilfspaket, auf das sich das Kabinett nun einigte. Es umfasst 55 Milliarden Euro, mit denen Wirtschaft, Familien und Arbeitslosen gestützt werden sollen. Zuvor war die Koalition noch über etwas anderes einig geworden: Italien gibt nun Hunderttausenden aus der Schattenwirtschaft, unter anderem auch vielen illegal eingewanderten Immigranten und deren Arbeitgebern, die Möglichkeit, ihre Situation zu "sanieren", wie die Italiener es nennen - sie zu legalisieren also.

Nötig ist das vor allem auf zwei Gebieten, nämlich in der Agrarwirtschaft und in den Haushalten. Auf den Feldern im Land drohen ganze Ernten zu verderben, weil nach den Grenzschließungen wegen Corona keine Saisonarbeiter nach Italien kommen dürfen. In den Familien braucht es die vielen Helfer und Pfleger ohne Papiere nun, da kein Schulbetrieb ist und die Betagten oft allein sind, ganz besonders. Ungefähr 600 000 Menschen könnten zeitlich beschränkte Aufenthaltsbewilligungen erhalten. Die Rede ist von vorerst sechs Monaten, der Dauer einer Saison.

Allerdings müssen sie beweisen können, dass sie schon vor dem 8. März 2020 in Italien waren und in den Dateien des Staates aufscheinen, mit Foto. Zudem brauchen sie einen Vertrag des Arbeitgebers, der bei der Anmeldung des Angestellten, den er bis dahin schwarz beschäftigt hatte, der staatlichen Pensionskasse auch gleich 400 Euro entrichtet - als Buße und Einstieg. Dazu kommen 160 Euro für Verwaltungsaufwand. Das Angebot dauert nur bis 15. Juli, dafür gibt es aber strafrechtliche Immunität für begangenes Unrecht.

Ausgenommen von dem Deal sind unter anderem Landwirte, die in den vergangenen fünf Jahren nicht nur Arbeitskräfte vor dem Finanzamt versteckten, sondern diese auch wie Sklaven behandelten, oder weil sie wegen Begünstigung von Prostitution und illegaler Immigration verurteilt wurden. Eingebracht hatte die Idee Landwirtschaftsministerin Teresa Bellanova. Sie forderte den Passus zur Legalisierung als Teil des "Dekrets Wiederbelebung", mit dem die Regierung die kommende Krisenphase gestalten und finanzieren will. Im Hintergrund drängten linke Kreise, aber auch Arbeitgeberverbände, die verzweifelt Kräfte für die Agrarindustrie suchen. Bellanova argumentierte auch mit der prekären sanitären Lage in vielen Lagern der Feldarbeiter im Süden Italiens. Tausende Afrikaner leben in schändlichen Verhältnissen. Bellanova sagte, diese Menschen würden behandelt, "als wären sie Ratten". Sie leben eng an eng, medizinisch nicht versorgt, das Virus könnte sich in diesen Ghettos schnell ausbreiten: "Das ist eine Gefahr für sie selbst und für uns alle."

Außer dem rechten Flügel der Cinque Stelle, vertreten von Interimschef Vito Crimi, waren alle Parteien im Regierungsbündnis einverstanden mit Bellanovas Vorstoß. Von Crimi heißt es, er trauere den Zeiten nach, als die Cinque Stelle mit Matteo Salvinis rechtspopulistischer Lega regierten. Und dieser Salvini hat ein grundsätzliches Problem mit Migranten. Crimi stellte sich lange quer, dann lenkte er ein. Inhaltlich passt die Maßnahme ja gut zum traditionellen Credo der Cinque Stelle: Sie sehen sich als oberste Verfechter von Legalität und Rechtschaffenheit. Die Aufdeckung eines Teils der Schattenwirtschaft gehört dazu. Dass es dafür wieder eine Amnestie braucht, wie es schon oft der Fall war, gilt manchen Kommentatoren als weiterer Beleg der chronischen Unzulänglichkeit der politischen Führungsklasse, rechter wie linker. Als die Rechte noch auf Silvio Berlusconi hörte, gab es mehrere solcher "Sanatorie" für insgesamt mehr als eine Million Einwanderer ohne Dokumente.

Die unmenschlichen Zustände auf den Feldern sind lange bekannt, doch zu strukturellem Wandel fehlte der politische Wille. Bestsellerautor Roberto Saviano erinnert in einem Artikel daran, dass dies vor allem der Mafianütze. Sie verdiene an allem: der Vermittlung billiger, rechtloser Arbeiter; der Preistreiberei in Großmärkten; am Transport von Gemüse und Früchten in alle Landesecken und noch weiter: "Wenn wir den Migranten auf den Feldern keine Rechte geben, dann tun wir vor allem der Mafia einen Gefallen."

© SZ vom 14.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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