Mit Nostalgie ist es so eine Sache, man bringt sie fast nicht aus dem Herzen. Claudio Anastasio, Informatikingenieur und Unternehmer aus Rom, 53 Jahre alt, verspürt Wehmut nach der nun doch schon fernen Zeit, da Italien vom Duce regiert wurde, von Benito Mussolini.
Das ist keine üble Nachrede. Er könnte die Neigung auch schlecht leugnen, selbst wenn er wollte. 1997, als das Internet noch ein kleines Netz war, schuf Anastasio den Blog "Mussolini". Die Firma dahinter nannte er "Mussolini Internet", er war deren "Exekutivpräsident". Der erste Eintrag war eine Hommage an Vittorio Mussolini, den Sohn des Faschistenführers. Dessen Tod berührte ihn "zutiefst".
Erst Blitzkarriere, dann spektakuläre Selbstdemontage
Das wäre dem großen Publikum wohl für immer verborgen geblieben, hätte Giorgia Meloni, Italiens Ministerpräsidentin, diesen weitgehend unbekannten Parteigänger ihrer Fratelli d'Italia neulich nicht an die Spitze einer Staatsfirma befördert, auf einen Topposten im öffentlichen Management. Anastasio wurde aus dem Nichts Chef von 3-I - so heißt ein Unternehmen mit großem Budget, das die Digitalisierung der italienischen Verwaltung vorantreiben soll. Die vielen inkompatiblen Datenbanken soll sie endlich miteinander verlinken, die ganze Verkrustung der Bürokratie aufbrechen. Ein titanischer Auftrag.
Anastasio schien höchstens mäßig prädestiniert für den Job. Seine eigene Firma, sagen seine Freunde, hatte große Probleme. Vor zwei Jahren schrieb sie fünf Millionen Euro Verlust. Doch der Informatiker hatte nun mal gute Verbindungen zur neuen Macht im Land. Seine Jugendfreundin Rachele Mussolini, eine Enkelin des Duce, hatte Anastasio einst zur Partei gebracht. Und da wurde er eng mit Francesco Lollobrigida, dem Schwager Melonis, Italiens neuem Landwirtschaftsminister. Es geht dort eben sehr familiär zu.
Nun ist die Blitzkarriere allerdings schon vorbei, beendet mit einer spektakulären, schier surrealen Selbstdemontage. In einer Mail an den Aufsichtsrat von 3-I, einer Art Leitfaden für die Führung, bediente sich Anastasio Wort für Wort bei einer berühmten Rede Mussolinis. Anastasio machte einfach "Copy & Paste", ersetzte das Wort "fascismo" durch "3-I", und so stand in der Mail unter anderem dieser Satz: "Ich erkläre hier, vor Euch, und vor der ganzen Regierung, dass ich (ich allein!) die Verantwortung trage für 3-I (Politisch! Moralisch! Historisch!) und für alles, was passiert ist."
Meloni muss die Spitzen von Staatskonzernen neu besetzen, doch ihr fehlt das Personal
Einer der Aufsichtsräte hielt den Duktus der Mail für so auffällig, dass er den Text bei Google eingab, da waren schnell alle Zweifel weg. In jener Rede vom 3. Januar 1925, die viele Historiker als Auftakt der faschistischen Diktatur in Italien deuten, anerkannte der Duce seine politische Verantwortung für die Entführung und den Mord an Giacomo Matteotti, einen sozialistischen Oppositionellen.
Die Zeitung La Repubblica erfuhr von der Mail und zitierte daraus in extenso. Anastasio musste sofort zurücktreten. Selbst seine Mentorin Rachele Mussolini fand, er habe einen "unverzeihlichen Fehler" begangen.
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Meloni dagegen mochte die Personalie nicht kommentieren, und das ist kein Wunder: Dieser neuerliche Fall unverhohlener Nostalgie in ihren Reihen steht ziemlich quer zur allenthalben herumgereichten Narration, sie habe da eine moderne, neue konservative Rechte geschaffen. Es gibt in ihrer sogenannten postfaschistischen Partei jedoch noch immer eine Menge Leute, die sich im Präfix "neo" eher gespiegelt sehen als im "post", auch prominente. Ignazio La Russa etwa, der Präsident des Senats, hat zuhause eine Büste Mussolinis stehen. Seit dem Wahlsieg der Fratelli d'Italia fühlen sie sich frei.
Fast ebenso bedenklich aber ist, so finden ihre Gegner, dass Meloni kein fähiges Personal hat für die vielen wichtigen Posten im Staat und bei dessen Firmen. Bald müssen die Führungsetagen der ganz großen Unternehmen neu besetzt werden: etwa beim Energiekoloss Eni, bei dem Rüstungskonzern Leonardo, bei den Poste Italiane. Das Gerangel ist im schon Gang, die Auswahl im eigenen Lager dramatisch dürftig.