Wenn die Außenpolitik die Nachrichten bestimmt, hat es eine Opposition schwer, gegen die Regierung zu punkten – zumal, wenn die Regierungschefin keine großen Fehler macht. Das ist die Lage in Italien, wo Ministerpräsidentin Giorgia Meloni an der Spitze einer Rechts-außen-Koalition weiterhin sehr ordentliche Umfragewerte vorzuweisen hat.
Ihre in Teilen immer noch postfaschistischen Fratelli d’Italia stehen unverändert an der Spitze der Parteienpyramide, und die junge Regierungschefin selbst verbucht erst recht persönliche Spitzenwerte. Nach jetzigem Stand sollte sie die fünfjährige Legislaturperiode im Amt durchstehen können, was kaum einem ihrer – durchweg männlichen – Vorgänger vergönnt war.
Dass das nicht so kommen möge, ist das besondere Anliegen von Oppositionsführerin Elly Schlein. Die ebenfalls junge und unermüdlich ackernde Vorsitzende des sozialdemokratischen Partito Democratico, der Partei mit den zweithöchsten Umfragewerten, redet seit bald zwei Jahren auf den Plätzen des Landes gegen Meloni an, ohne dass sie deren Vormachtstellung brechen konnte. Allerdings hat die Opposition in dieser Zeit immerhin einige Regionalwahlen gewonnen und soeben einen weiteren Achtungserfolg errungen.
„Meloni hat die Umfragen auf ihrer Seite, aber wir siegen an der Wahlurne“, sagt Schlein
Bei Kommunalwahlen am Sonntag und Montag in 126 italienischen Gemeinden lag das von Schlein aufopferungsvoll zusammengehaltene Mitte-links-Bündnis insgesamt vorn. Vor allem konnten die Linken die Großstädte Genua und Ravenna bereits im ersten Wahlgang gewinnen, indem ihre Kandidaten dort die absolute Mehrheit holten. In anderen Städten und Gemeinden kommt es in zwei Wochen zur Stichwahl.

Vor allem der Sieg in der ligurischen Hauptstadt, in der man im Herbst noch die Regionalwahlen verloren hatte, ist bemerkenswert. In Genua setzte sich die politische Newcomerin Silvia Salis, 39, frühere Top-Athletin, mehrfache italienische Meisterin im Hammerwerfen und zweimalige Olympiateilnehmerin, mit knapp über 50 Prozent als neue Bürgermeisterin durch, in Ravenna der Sozialdemokrat Alessandro Barattoni mit 57,6 Prozent der Stimmen. Das inspirierte Schlein zu dem schönen Satz: „Meloni hat die Umfragen auf ihrer Seite, aber wir siegen an der Wahlurne.“
Nun sind allerdings Kommunalwahlen ein anderes Kaliber als nationale Wahlen, und bei letzteren sind die Umfragen durchaus geeignet, Meloni weiter in Sicherheit zu wiegen. Die Römerin, die überhaupt erst bei den Parlamentswahlen im Herbst 2022 nennenswerte nationale und internationale Verantwortung übernahm, gehört nach gut zweieinhalb Regierungsjahren jetzt schon zu den italienischen Regierungschefs mit der längsten Verweildauer seit dem Kriegsende.
Sie punktet durch eine realistische Außenpolitik an der Seite der EU und der westlichen Allianz, wofür sie in Brüssel, Berlin und anderswo Anerkennung erfährt. Neuerdings kann sie für sich sogar in Anspruch nehmen, die besten Beziehungen von allen europäischen Regierungschefs zum jähzornigen US-Präsidenten Donald Trump zu haben.
Die Schwachstelle der Premierministerin ist ihre Innen- und Wirtschaftspolitik
Der neue deutsche Kanzler Friedrich Merz (CDU), der sich in Deutschland heftig gegen die AfD abgrenzt, hat mit Meloni kein Problem; sie sei eine vernünftige, ernst zu nehmende Kollegin, hat er kürzlich ausdrücklich anerkannt, als er zum Antrittsbesuch in Rom war. Bei dieser Gelegenheit streichelte Merz die italienische Seele, indem er Meloni eine weitere Aufwertung in Aussicht stellte. Das bezog sich auf die Verhandlungen über das Schicksal der von Russland überfallenen Ukraine, bei denen bisher vor allem die Regierungschefs von Frankreich, England, Deutschland und neuerdings Polens eng zusammenarbeiten.
Meloni hörte das gerne, ging dann aber auf Nummer sicher und nahm die Dinge selbst in die Hand. Und siehe da, ihre Stimme tauchte plötzlich in der Telefonkonferenz der europäischen Führer mit US-Präsident Trump auf, als dieser über sein Telefonat mit Putin berichtete: Offenbar hatten die Amerikaner Meloni einfach mit in die Leitung genommen.
Melonis Schwachstelle ist ihre Innen- und Wirtschaftspolitik. Sie versucht zwar, ihre rechte Kernwählerschaft bei Laune zu halten, indem sie gelegentlich betont, wie rechts sie eigentlich sei und dass sie das Land von – wie sie das sieht – linken und liberalen Verirrungen befreien möchte. In einzelnen Bereichen wie der Kultur- und Medienpolitik besetzt sie verstärkt Führungspersonen mit ihren Gefolgsleuten, auch zulasten der Qualität, was ihre Gegner empört. Sie versucht eine härtere Migrationspolitik durchzusetzen, scheitert aber bisher häufig an der Justiz. Jedenfalls ist sie weit entfernt von der Radikalität, mit der sie einst Wahlkampf betrieben hat.
Italien hat sie weitere finanzielle Belastungen auferlegt
Auch hat sie ihrer Kernklientel bisher nicht viele soziale Wohltaten beschert, sondern dem Land eher weitere finanzielle Belastungen auferlegt. Wenn sich die Nato-Staaten auf amerikanischen Druck demnächst dazu verpflichten sollten, bis zu fünf Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben, wird es für den italienischen Haushalt erst recht sehr eng. Interessanterweise machen sich diese Zusammenhänge aber bisher nicht zulasten von Meloni bemerkbar. Weil die Exportnation Italien sehr wohl weiß, dass ihr Schicksal nicht zu Hause entschieden wird, sondern im europäischen Binnenmarkt und im internationalen Handel, kann Meloni weiter mit ihrer außenpolitischen Realpolitik punkten.
Allerdings zeigen die jüngsten Wahlergebnisse, dass sich die Ministerpräsidentin ihrer Macht nicht sicher sein kann. Das Land ist in zwei etwa gleich große eher rechte und eher linke Blöcke gespalten. Melonis Kalkül funktioniert, solange sie die drei rechten Regierungsparteien weiter zusammenhalten kann und die Oppositionsparteien links der Mitte sich weiter so viel Streit untereinander leisten wie bisher. Wenn sich das aber umkehren sollte, würde es für Meloni eng werden.
In diesem Sinne ist der populistische Vizepremier Matteo Salvini immer ein Unsicherheitsfaktor im Regierungslager. Und die Wahlsiegerin Salis hat in Genua gezeigt, wie die Opposition siegen kann: mit einer unverbrauchten und undogmatischen Kandidatin der linken Mitte, die glaubwürdig die Probleme der italienischen Gesellschaft benennt: die schlechte Infrastruktur, die katastrophalen wirtschaftlichen Perspektiven der italienischen Jugend und die soziale Not der Alten. Im Herbst bei den nächsten Regionalwahlen will die Linke nachlegen.